Klassik

Meister*innenkonzert abseits des Gängigen

Stücke von Glinka, Borodin und Fazil Say bot die Deutsche Staatsphilharmonie bei ihrem Meister*innenkonzert im Rosengarten. Gäste waren der Schweizer Klarinettist Reto Bieri und der taiwanesische Dirigent Tung-Chieh Chuang.

Von 
Hgf
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Trifft den rhapsodischen Ton: Reto Bieri mit seiner Klarinette. © Marco Borgreve

Es ist ein Programm, das dankenswerterweise einen Bogen macht um von der Dauerlast des klassischen Musikbetriebs entsprechend ramponierte Repertoire-Säulen. Und seltener gespielte Stücke anbietet: von Glinka, Borodin und Fazil Say. Dies alles ist zudem mit einer schönen Überschrift geschmückt. „Identität“ könnte sie lauten, aber dieses mittlerweile doch politisch allzu aufgeladene, fast angstbesetzte Wort meidet die Deutsche Staatsphilharmonie bei ihrem gut besuchten Mannheimer Konzert im Musensaal des Rosengartens. Lieber spricht sie von „Verbundenheit“, das klingt versöhnlicher und „inklusiver“. Schließlich geht es um die völlig legitime Pflege kultureller Wurzeln.

Die von Fazil Say befinden sich in der Türkei. Beinahe alle Werke dieses Pianisten-Komponisten sind an einer Schnittstelle platziert. Beziehungsweise gleich an mehreren: jener von Orient und Okzident, Crossover und moderner Klassik, und so weiter. Das gilt auch für das „Khayyam“ betitelte Konzert für Klarinette und Orchester. In formaler Hinsicht ist es dreisätzig gehalten, wie es in der „westlichen“ Konzertgattung seit drei Jahrhunderten die Regel darstellt. Reto Bieri als Solist skandiert die Hauptthemen, trifft aber den rhapsodisch freien Ton, die quasi-improvisatorischen Bestrebungen des Jazzliebhabers Fazil Say genauso gut. Er führt auch einen feinen Dialog mit dem Cellisten Florian Barak. Und der Mann aus dem Orchester hat sogar das letzte Wort.

Angenehm aufgerauter Ton

Freilich nicht ganz, denn Reto Bieri bläst noch eine Klezmer-Zugabe, in einem irgendwie „authentisch“ aufgerauten Tonfall, der den Schmutz und Staub von alten Dorfstraßen zu inhalieren scheint. Eine bemerkenswerte kulturelle Anverwandlung: Bieri ist von Haus aus Schweizer, lebt im Berner Oberland - wo manche Bergbauern selbst ihre Wiesen putzen und vom kleinsten Kuhfladen befreien.

Ob die zweite Sinfonie von Alexander Borodin von ihrem Beinamen „Heroische“ gereinigt werden sollte, ist dagegen fraglich. Borodin war slawophil und russisch nationalbewusst, der Möchtegern-Zar Putin kann mit solchem musikalischen Imperialismus sicherlich noch heute eine Menge anfangen. Doch Komponisten aus dem 19. Jahrhundert auf eine Sanktionsliste zu setzen, wäre ahistorisch und von lächerlichem Übereifer.

Militärisch schnittig kommt Borodins Zweite bei der Staatsphilharmonie aber durchaus daher, die Themen aus dem ersten Satz werden dem Hörer förmlich eingehämmert, eingebläut. Die Leitung hat der junge Taiwanese Tung-Chieh Chuang. Ein Hoffnungsträger auf der Überholspur? Eilig hat er es in jedem Fall, sein Dirigat ist – auch schon in Michail Glinkas „Ruslan und Ljudmila“-Ouvertüre – von einer gewissen atemlosen Unrast. Aufgewühlt und aufgeputscht. Bei Borodin bringt schließlich das Andante den ersehnten Ruhepunkt. Und ziemlich exquisite Solobeiträge der Bläser. Im Finale punkten abgrundtiefe, schicksalskundige Posaunen und der Seidenglanz der hohen Streicher.

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