Opernbesprechung

Nationaltheater Mannheim: Und die Liebe bricht eben doch

Mit Henry Purcells Oper „Dido and Aeneas“ veranstaltet das Nationaltheater Mannheim erstmals Oper in der alten Schildkrötfabrik in Mannheim-Neckarau. Der Abend ist schön und solide

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Sie ist auch in der Mannheimer Produktion von Cordula Däuper die Verlassene, Enttäuschte und Zerstörte: Shachar Lavi als Henry Purcells starke Dido. © Christian Kleiner

Es ist vielleicht das größte Elend auf der Welt, dass sich der Mensch mit allem, was er um sich herum gebaut hat, zu ernst nimmt – und mit sich selbst seine Götter noch dazu. Aeneas zum Beispiel. Nur, weil der unbewiesene Gott Merkur meint, der Sohn Aphrodites müsse auf italienischem Boden eine Stadt namens Rom gründen, gehorcht der ihm und lässt seine heiß geliebte Dido im Stich. Götter, wir wissen es, die so etwas tun, gleichen auch nur (herzlosen) Menschen, ergo: Wahrscheinlich ist ihr Gott-Sein nur billige Maskerade.

Liebesleidenschaft vor dem Bruch: Shachar Lavi als Dido und Nikola Diskic als Aeneas. © Christian Kleiner

In Mannheim, das gewiss mit Didos Heimat Karthago in Tunesien wenig gemein hat, lieben sich Dido und Aeneas nun in der ehemaligen Puppenfabrik von Schildkröt. Das mag gerade im Falle von Henry Purcells Oper passen, entwickeln seine Protagonisten doch – rein theatral – kaum mehr psychologische Plastizität als Figuren aus Holz und Stoff. Die Handlung: bis zur Inexistenz vordergründig und schmal. Ein dramaturgischer Bogen: na ja. Es bleibt: die herrliche Musik der Chöre und Arien wie „Ah! Belinda“ oder des suizidal-schönen Lamento Didos mit dem charakteristischen „Remember me“, das Didos Tod durch das „When I am laid in earth“ (wenn ich bestattet werde) unmissverständlich andeutet. Was macht man da als Theatermacher?

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Cordula Däuper – die Regisseurin, die schon so viel Gutes in Mannheim sehr lustig inszeniert hat – versucht offenbar, Purcells fragmentarisches Geschehen in Didos Kopf zu verlagern. Die Bühne ist eine Psychokammer. Schon im kleinen Prolog mit entfernt klingenden Chorstimmen hält sich die wunderbare Shachar Lavi als Dido verzweifelt die Ohren zu, als leide sie wie Georg Büchners Woyzeck am psychischen Marterpfahl dämonischer innerer Stimmen. Lavi macht das gut. Sie ist Leidende, Herrschende und Begehrenswerte in einem. Sie verkörpert das toxische Dreieck mit vokaler Beseeltheit und physischem Sex-Appeal gut, füllt die zentrale Figur damit gut aus.

Didos gesammelte Werke

Der Chor indes und überhaupt alle Protagonisten sitzen derweil auf dem schwarz-weiß karierten Fliesenboden an Schultischen und gehen dort kuriosen persönlichen Interessen nach – zwischen Radio-Reparieren und Muffins-Verzieren. Dido selbst schreibt. Und zerknüddelt. Schreibt. Und zerknüddelt. Uwe Eikötter, der fast die kompletten 65 Minuten Aufführungszeit als Seemann (und Geist) den Boden kehrt, nimmt irgendwann gegen Schluss Didos gesammelte Werke im Papierkorb mit. Ihre Notizen wären sicher aufschlussreich.

"Dido and Aeneas" in der Mannheimer Schildkrötfabrik

  • Henry Purcell: Der wahrscheinlich zwischen 1659 und 1695 lebende Barockkomponist ist neben Georg Friedrich Händel und Benjamin Britten der bedeutendste englische Komponist.
  • Dido and Aeneas: Uraufgeführt wurde die Oper 1689 im Mädchenpensionat zu Chelsea. Das Libretto ist von Nahum Tate. Darin wirkt Vergils sagenhafte Beschreibung von Roms Gründungsmythos nach.
  • Die Handlung: Nach dem Untergang von Troja gelangt Aeneas, Sohn der Aphrodite, auf der Flucht nach Karthago an den Hof Didos. Die beiden verlieben sich. Aber Aeneas folgt – durch die Intrige von Didos ärgster Feindin, einer Hexe, ausgelöst – dem Gebot der Götter und fährt nach Italien, um Rom zu gründen. Dido, entehrt und entwürdigt, geht in den Flammentod.
  • Die Termine: 2., 4., 6., 8., 9., 11., 12.04, 20.30 Uhr, Schildkrötfabrik (METRO-Gelände, Floßwörthstraße 36-38, 68199 Mannheim).
  • Info: 0621/1680 150.

 

Weniger aufschlussreich ist, man kann es nicht anders sagen, der Abend als spannendes Theatererlebnis. Er kommt übers Nice-to-have kaum hinaus. Däuper tut einiges, um die Armut der Handlung zu torpedieren, die von außen an die großen Fenster projizierten Videos von Lukas Eicher und Benjamin Jantzen, das Bühnenbild Friedrich Eggerts und Sarah Hilschers Kostüme sind ästhetisch, poetisch, schön und schaffen mit Sternen, Wolken und wogenden Wassern eine anregende Gegenwelt zu dem, was uns täglich umgibt.

Der Mangel des Werks, erstmals an Mannheims Nationaltheater aufgeführt, wird dadurch jedoch keineswegs ausgeglichen. Und das ist nicht unbedingt nur Däupers Team anzulasten. Denn ein bewegender Opern- und Theaterabend kann bei „Dido“ nur musikalisch entstehen. Mit abenteuerlichen Affekten. Mit extremen Tempi. Mit konsequenten Artikulationen, Agogik und zuspitzenden Accelerandos. Mit perkussiver Radikalität. Quasi nichts davon nutzt David Parry am Pult des wacker spielenden und singenden Nationaltheaterchores und -rumpfensembles, das statt der fürs Genre üblichen Zupf-Sektion ein – wer denkt sich so etwas aus? – Vibrafon zum Einsatz bringt und ohnehin viel zu weit weg in die Ecke der Schildkröthalle verfrachtet ist. Die Lach-Chöre, der Hexentanz und der musikalische Rest: ordentlich, solide, bemüht. Nicht mehr, nicht weniger.

Dido allein mit ihren Traumata: Shachar Lavi und Ensemble. © Christian Kleiner

Man sitzt und bewundert

Dabei wird, zumal für ein Repertoire-Opernensemble, gut gesungen. Shachar Lavis Dido ist bestens geführt, edel artikuliert und gestaltet. Fast alles makellos. Dennoch stört das bei Purcell deplatzierte operale Vibrato immer wieder. Nikola Diskics Aeneas klingt erdverbunden, emphatisch und gut. Nichts Anderes ist man von ihm gewohnt. Die größte Überraschung ist vielleicht Marie-Belle Sandis’ Zauberin, die stilistisch mit Schnörkellosigkeit am ehesten dem State of the Art Alter Musik entspricht, wobei auch die Belinda von Estelle Kruger und die Chloe von Rebecca Blanz erstaunlich schlicht und damit stilistisch auf der Höhe sind. Uwe Eikötter (zwei tolle Arien), Frédérique Friess (Hexe 1) Jelena Kordic (Hexe 2) sowie der Chor (Dani Juris) gehören unbedingt zu den Pluspunkten dieses ersten Wurfs in der Schildkrötfabrik, dem es am Ende vielleicht einfach nicht gelingt, über reine Ästhetik hinauszukommen, obwohl so viel Schmerz und Trauer der gesamten Menschheit in Didos Schicksal und dem Werk überhaupt stecken.

Man sitzt und bewundert. Die Schönheit. Das Bild. Die Musik. Das ist viel. Doch aufregende, aufwühlende und erschütternde Kunst geht anders. Vielleicht ist das, auch mit zu viel Ernst betrachtet, zu viel erwartet in diesen auch für das Nationaltheater schwierigen Zeiten der Sanierung.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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