Interview

Nationaltheater Mannheim: „Das Spielhaus am Goetheplatz wird vermisst“

Der Geschäftsführende Intendant des Nationaltheaters hat Verständnis für Kritik an der Präsenz seines Hauses. Im Interview überwiegt bei Tilmann Pröllochs aber die Freude auf die Wiedereröffnung nach der Sanierung

Von 
Stefan M. Dettlinger
Lesedauer: 
Der Geschäftsführende Nationaltheater-Intendant Tilmann Pröllochs an der Baustelle am Goetheplatz. © Christian Kleiner

Mannheim. Natürlich kennt er auch die bösen Leserbriefe und Stimmen, sagt er - durchaus besorgt - in einem Mannheimer Café. Kommentieren will Tilmann Pröllochs sie aber nicht. Verständlich. Dennoch lässt sich der Geschäftsführende Intendant des Nationaltheater Mannheim auf ein Gespräch ein über die Außenwirkung des Hauses während der Zeit der Sanierung, die - für alle natürlich - eine schwierige ist, zumal freilich die Hauptspielstätte für die Musiktheatersparte, die Oper am Luisenpark (Opal), nach der Insolvenzpleite des Totalunternehmers fehlt.

Herr Pröllochs, ich fange mal ganz gezielt mit einer geschlossenen Frage an: Hören Sie auch, was auch wir hören: Einen latenten Vorwurf quer durch die Mannheimer Bürgerschaft gegenüber dem Nationaltheater, dass dort zu wenig getan würde, um die Menschen bei der Stange zu halten?

Tilmann Pröllochs: Nein, wenn ich mit Menschen spreche, die die Vorstellungen besuchen. Ja, wenn ich über die Planken gehe.

Sie sprechen mit Leuten auf den Planken?

Pröllochs: Setzen Sie das in Anführungsstriche. Ich habe schon gelernt, dass man das in Mannheim so sagt.

Wenn aber jemand meint, es gibt keine publikumszugewandten Produktionen in der Oper, kann ich sagen: Oh, dann haben Sie die „Fledermaus“ im Rosengarten oder die „Carmen“ im Pfalzbau übersehen.
Tilmann Pröllochs Geschäftsführender Intendant NTM

Und was entgegnen Sie den Leuten dann, wenn Sie die Planken-Version hören, die ich auch oft höre - durchaus von Leuten, die ins Theater gehen?

Pröllochs: Eigentlich entgegne ich nicht, sondern frage nach, was ihnen fehlt und kann auch Verständnis äußern. Die Menschen vermissen einfach das Spielhaus am Goetheplatz, das Gewohnte. Das ist nachvollziehbar. Es ist mit der Generalsanierung einhergehende Realität für uns alle.

Sie entgegnen nichts und haben auch Verständnis. Okay, heißt das, dass Ihr Standpunkt ist: Wir können an der Situation nichts ändern und machen alles richtig?

Pröllochs: Nein, niemand macht alles richtig, und wir auch nicht. Aber wir arbeiten stets an konkreten Lösungen in den möglichen Abläufen. Einem latenten Vorwurf, wir würden zu wenig tun, um das Publikum bei der Stange zu halten - wie Sie es zu Beginn nannten - ist schwerlich konstruktiv zu begegnen. Schon „das Publikum“ ist nicht genau genug. Wenn aber jemand meint, es gibt keine publikumszugewandten Produktionen in der Oper, kann ich sagen: Oh, dann haben Sie die „Fledermaus“ im Rosengarten oder die „Carmen“ im Pfalzbau übersehen. Darüber hinaus trauen wir den Mannheimerinnen und Mannheimern und unserem Publikum insgesamt vollkommen zu, sich auch auf komplexere und ausgefallenere Stoffe einzulassen. Auch das ist unsere Aufgabe.

Zur Person

  • Tilmann Pröllochs, 1966 in Künzelsau geboren, ist Diplom-Verwaltungswirt und studierte an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung Kehl.
  • Als Geschäftsführender Intendant und Erster Eigenbetriebsleiter des Nationaltheaters Mannheim folgte er 2022 auf Marc Stefan Sickel, der im Mai 2021 angekündigt hatte, seinen Ende August 2022 auslaufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen.
  • Pröllochs war 1994 bis 2010 Verwaltungsdirektor des Landestheaters Tübingen und von 1991 bis 1994 Verwaltungsleiter der Opernfestspiele Heidenheim, ehe er 2010 Verwaltungsleiter des Oldenburgischen Staatstheaters wurde. Dort hatte er gerade erst eine Vertragsverlängerung bis 2029 verhandelt, ehe er angesprochen wurde, ob er nach Mannheim kommen will. In Mannheim bekam er einen Fünf-Jahres-Vertrag

Meinen Sie nicht, es geht tatsächlich um etwas Anderes, vielleicht gar nicht so sehr Faktenbasiertes? Um ein Gefühl?

Pröllochs: Spannende Frage an einen Geschäftsführenden Intendanten! Meine Gefühle sind dann am stärksten, wenn ich mich mit etwas auseinandersetze: Zum Beispiel, wenn ich in der Produktion „Turandot“ die Unentrinnbarkeit der Musik geradezu körperlich erlebe, in „Als wäre es gestern gewesen“ in Fremdsprachen vom singenden Schauspielensemble die Furchtbarkeit von Gewalttaten nahegebracht bekomme, auf eine geisterhafte Bahnfahrt vom Tanzensemble in „Identity“ mitgenommen werde oder in der Produktion für die ganz Kleinen „Schaum ich an“ in einer anderen Welt lande. Also ja, es geht auch um Gefühle, und wir bieten wunderbare Anknüpfungspunkte dazu.

Kompliment: Frage gut umschifft. Da treffen also Realitäten unverrückbar aufeinander. Einige meinen, es passiere zu wenig am Nationaltheater, das Nationaltheater sagt, oder eben Sie: Stimmt nicht. Wenn Sie, Herr Pröllochs, recht haben, dann gibt es zumindest ein Kommunikationsproblem, sonst hätten die Leute nicht das Gefühl, das sie haben - auch wenn Sie nun wieder sagen werden: Die Leute, das ist keine Kategorie.

Pröllochs: Wir alle haben einen - sagen wir mal - inneren Maßstab, was das Nationaltheater leisten soll. Daneben gibt es die Zielvorgaben durch den Rechtsträger. Nehmen wir die Zahlen von vor der Pandemie, dann sind das bis zu 1300 Vorstellungen und bis zu 350 000 Besucher. Das war zuletzt in der Spielzeit 2018/19 der Fall. Aktuell haben wir diese Zahlen noch nicht wieder erreicht, das ist auch kein Thema des Gefühls, es ist faktisch. Die Realitäten treffen anscheinend dort aufeinander, wo es um die Einschätzung geht: Wie sollen wir dem Weniger begegnen? Wir können aber auch positive Entwicklungen verzeichnen. Allein über die sichere Planung der Spielzeit war beispielsweise erstmals seit Corona wieder ein verlässliches Abo-Angebot realisierbar. So konnten wir die Zahl der Abonnenten um 27,8 Prozent steigern, von 3981 auf 5088. Hier scheint unsere Kommunikation also zu klappen.

Nationaltheater

Warum die Sanierung des Nationaltheaters Mannheim teurer wird

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren

Okay, und das werden Sie ja ab Herbst mit der Eröffnung der Opal noch deutlich steigern, nehme ich an - oder wackelt der Termin?

Pröllochs: Unsere Spielzeitplanung sieht die Eröffnung im Oktober 2024 vor. Das möchten wir unbedingt hinbekommen, damit die Oper auf Mannheimer Stadtgebiet wieder eine eigene Spielstätte zur Verfügung hat. Daran arbeiten wir sehr hart und ich kann mich hier insgesamt nur bei allen Beschäftigten des NTM für Ihren immensen Einsatz bedanken, konkret für Opal aber auch in der Interimssituation des gesamten Betriebes.

Was wäre hier ein Plan B, was dann ja eigentlich schon Plan D wäre?

Pröllochs: Wie gesagt, wir setzen alles daran, den Termin zu realisieren. Alternativen kommunizieren wir, wenn wir sie benötigen.

Okay, gehen wir mal davon aus, dass in dieser Sache alles nach Plan läuft. Sie sprachen vorhin von bis zu 350 000 Besuchern im Jahr und dass Sie diese Zahl noch nicht wieder erreicht haben. Was, denken Sie, wird in der Opal-Zeit, in der ja dann der Interimsstandard wirkt, möglich sein?

Pröllochs: Im Rahmen der Entscheidungen zur Generalsanierung sind wegen der Interimssituation die Zuschauer- und Einnahmeerwartungen um 30 Prozent gesenkt worden. Die Basis für diese Erwartungen war eine Welt vor Corona. Nach den Pandemieeffekten halte ich diese Ziele für ambitioniert. Wir können es schaffen, wenn es uns gelingt die Menschen für das Theater zu begeistern.

Mehr zum Thema

Kommentar Nationaltheater: Es wird teurer – das war klar

Veröffentlicht
Kommentar von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren

Leserbrief Was ist los mit dem Nationaltheater?

Veröffentlicht
Von
Susanne Bergler
Mehr erfahren
Nationaltheater Mannheim

So feiert das Nationaltheater Mannheim den "Mannheimer Sommer"

Veröffentlicht
Von
Stefanie Čabraja
Mehr erfahren

In vier, fünf oder sechs Jahre, wenn das Haus am Goetheplatz wieder öffnet, wird die Welt eine andere sein - und auch das Publikum wird ein anderes sein. Teils wird Stammkundschaft aus Altersgründen nicht mehr kommen können, und auch die Leute in den besten Jahren werden älter sein. Auch wenn Gefühle, wie Sie zuvor andeuteten, für den Geschäftsführer vielleicht nicht das angestammte Gebiet sind: Mit welchen Gefühlen denken Sie an die Wiedereröffnung?

Pröllochs: Da gibt es sehr unterschiedliche. Da sind Sorgen, dass es nicht gelingt, wieder den Zuspruch zum NTM zu erreichen, für den Mannheim eigentlich steht. Und auf der anderen Seite steht die Freude, an einem Projekt beteiligt zu sein, das solches Potenzial für die Zukunft besitzt. Wenn ich mir vorstelle, dass der Goetheplatz klimaresilienter werden wird, flirrende Aufenthaltsqualität entsteht, das Theater stadtoffen ist und sich die Gesellschaft da gerne trifft und Theaterkunst als gesellschaftsrelevanten Diskursraum wahrnimmt, bin ich überzeugt, dass das Nationaltheater das weiterhin für die Mannheimerinnen und Mannheimer sein kann, was es in jetzt 245 Spielzeiten bereits war und ist. Deshalb überwiegt bei mir ganz deutlich die Vorfreude.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke