Mannheim. Es ist ein spannender Doppelpack, der da fürs Zeltfestival Rhein-Neckar geschnürt wurde: Zwei Deutschpopstars, die 2015 fast gleichzeitig mit Radio-Dauerbrennerhits groß rauskamen, inzwischen jeweils zwei Platten im Gepäck haben und trotz aller künstlerischen Unterschiede ein ähnliches Publikum begeistern - darunter viele Kinder. Die sind ebenfalls oft im Doppelpack gekommen, als Kombination junge Mutter/Tochter. Namika, Joris und der fürs Vorprogramm passend ausgewählte Mannheimer Songschreiber Julian Philipp David fesseln die Aufmerksamkeit selbst der kleinsten Zuhörer insgesamt mehr als drei Stunden lang. Wobei das den beiden Co-Headlinern auf sehr unterschiedliche Art und Weise gelingt.
Joris startet eher ruhig mit „Wie man es auch dreht“, setzt dann aber voll und ganz auf die Zutaten einer Rockshow: Aufwendiges Licht, eine erstklassige Band mit hohem Kumpelfaktor, die er beim Studium an der Mannheimer Popakademie kennengelernt hat, und seine eigene, massiver gewordene Präsenz als Frontmann. Wenn es Coldplay nicht schön gäbe, hätte der 29-Jährige die Band von Chris Martin erfinden können. Nach „Bis ans Ende der Welt“ bekundet er früh seine Verbundenheit zur Quadratestadt, wo er das Rüstzeug bekommen habe, um dauerhaft auf großen Bühnen stehen zu dürfen. „Dafür bin ich euch unendlich dankbar“, ruft er „Mannheim-City“ zu - und erntet spitze Begeisterungsschreie.
Plädoyer für Toleranz
Als Kommunikator hat Joris zuletzt am meisten zugelegt: Wie er den Sturm, der über dem Zelt vorbeizieht, nach „Kommt schon gut“ in eine gesellschaftspolitische Ansprache integriert („da draußen tobt ständig ein Sturm“) ist subtil, trotzdem eindrucks- und wirkungsvoll. So kommt seine Botschaft von Zusammenstehen und Toleranz („egal, welche Religion jemand hat - oder selbst wenn er aus Ludwigshafen kommt“) locker, aber bestimmt über die Rampe - und leitet zu seiner vielleicht stärksten Nummer, dem Hoffnungsmacher „Glück auf“ über.
Hier zeigt sich die ganze Bandbreite musikalischer Qualität des Joris-Ansatzes: Er startet ganz intim, alleine am Piano, dann hebt der Song immer wuchtiger ab - wozu ein Posaunisten-Trio um Gerralt Sieben, Jazz-Absolvent der Musikhochschule Mannheim, wesentlich beiträgt. Das leistet sich nicht jeder für ein paar, wenn auch effektvolle, Einsätze auf einer Tournee. Der Lohn: extrem intensiver Applaus. Durch diese Opulenz fallen auch randständigere Lieder wie „Signal" oder das originell mit Gläsern und Schreibmaschine instrumentierte „Sommerregen“ auf sehr fruchtbaren Boden.
„Danke, ihr beiden!“
Nach Konfettiregen setzt die Zugabe mit den Hits „Du“ (mit Julian Philipp David als Gastsänger) und „Herz über Kopf“ inklusive ausführlicher Bandvorstellung die noch größeren Knalleffekte. Bei seinem ersten, größten und am heftigsten mitgesungenen Hit demonstriert der gelernte Niedersachse auch noch Sinn für Selbstironie, als er „nur die Männer“ zum Mitsingen auffordert - und das gar nicht sooo magere Echo trocken mit „Danke, ihr beiden!“ kommentiert. Die Popakademie kann weiterhin stolz auf ihren Vorzeigestudenten und dreifachen Echogewinner sein.
Gleich zwei große Hits
Namika toppt schon unmittelbar vor ihrer Zugabe diese Stimmung sogar noch. Schließlich hat die Frankfurterin 2018 mit dem flotten Popchanson „Je ne parle pas français“ einen Fanfavoriten nachgelegt, die genau so eingängig-mitreißend daherkommt wir ihr Durchbruchshit „Lieblingsmensch“. Ein Kunststück, dessen Ausmaß vom Publikumschor unterstrichen wird, der beide Lieder auch allein komplett durchsingen könnte - und das auch noch sehr schön. Es herrscht allgemeine Seligkeit, die sich noch steigert, als Namika in der Zugabe nach zwei neueren Songs den Ohrwurm „Je ne parle pas français“ zum Abschied noch einmal, in einer etwas flotteren Version interpretiert. Große Eurphorie ist die Folge, obwohl der Heimweg und die Wartezeiten zwischen den Auftritten wegen der Witterung etwas ungemütlich ausfielen.
Texte schwer zu verstehen
Davor hat die 27-Jährige ihre ungeheure stilistische Bandbreite demonstriert. Mit „Que Walou“ startet sie das Konzert in Hip-Hop-Manier und leicht nordafrikanischer Tonalität, „NA-MI-KA“ nimmt noch mehr Fahrt auf bevor der groovende Pop von „Zirkus“ein erstes Glanzlicht setzt - überstrahlt von der Ballade „Ich will dich vermissen“. Das Problem: Der Sound ist eigentlich nicht schlecht, die Textverständlichkeit aber miserabel. Was schade ist, denn die Geschichten und Perspektiven sind das Spannendste an dieser Künstlerin, die aufgrund ihres wachen, auch selbstanalytischen Blicks und ihrer marokkanischen Wurzeln auch ohne explizite Erklärungen starke politische Botschaften vermittelt. Wie in ihrer liedgewordenen Spurensuche „Nador“.
An ihrer Stimme oder Intonation liegt es nicht, dass anfangs wenig zu verstehen ist: Namika ist glänzend aufgelegt, manchmal meint man, sie weiß noch gar nicht, wie gut sie singen könnte - etwas, das bei vielen Musikern zu beobachten ist, die sich in erster Linie als Rapper definieren. Über Hip-Hop-Songs transportiert sie dann auch ihre stärksten Inhalte wie in „Ahmed (1960-2002)“ über ihren Vater oder der Flüchtlingsgeschichte „Wenn sie kommen. Es mag am Blick in die vielen niedlichen und glückstrahlenden Kindergesichter im Publikum liegen, dass Namikas Ansprache manchmal an eine Grundschullehrerin erinnert. Oder etwas kurz angebunden wirkt. So bleibt nach ihrem guten Konzert das Gefühl, dass sie das irgendwann noch viel besser machen wird. Wenn dann ihre Band noch etwas mehr Spielraum für etwas Improvisation bekommt ... kaum auszudenken. Dann kann man vielleicht in das strikt, durch einige Einspielungen streng durchgetaktete Programm auch Spielraum - etwa für ein spontan eingeflochtenes Duett mit dem Co-Headliner, das viele gern gesehen hätten. So haben die Zeltfestivalianer zwei sehr unterschiedliche Seiten der Deutschpop-Medaille gesehen, die dank großer Hits begeistern und ihr Publikum gern auf Kommando kuscheln lassen.
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