Zeltfestival

Nur Gewinner: Clueso und 1800 Fans sorgen für einen ekastatischen Auftakt des Zeltfestivals

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Ein strahlender Clueso (vorn) konnte im Palastzelt auf dem Maimarktgelände gar nicht genug bekommen von der Euphorie seines Publikums. © Manfred Rinderspacher

So kann’s gern weitergehen! Deutschpop-Star Clueso und seine hochklassige Band haben auf dem Mannheimer Maimarktgelände für einen mitreißenden Auftakt der Festivalsaison gesorgt. Das Auftaktkonzert des 6. Zeltfestivals Rhein-Neckar hätte allerdings mehr Zuschauerinnen und Zuschauer verdient als 1800. Die machen dafür aber so viel Lärm wie ein ausverkauftes Stadion.

Wobei es ein paar Momente braucht, bis sich die Euphorie Bahn bricht. Als zunächst die acht Bandmitglieder die Bühne für ein düster-rockiges Intro betreten und es im Zentrum des Palastzelts plötzlich enger wird, scheint bei einigen kurz etwas Befangenheit über diese immer noch ungewohnte Normalität einzusetzen – Masken sieht man allerdings nur noch ganz vereinzelt im eher jungen Publikum. Negative Gedanken verfliegen aber nach den ersten Takten von „Achterbahn“, bei dem sich die Begeisterung von Clueso und den Fans wechselseitig hochschaukelt. „Vielen Dank für dieses Geräusch!“, bricht es aus dem Hauptdarsteller heraus, als der tosende Applaus auf in einprasselt.

Da steigt er gleich noch mal in den Song ein, der vom Publikum jetzt inbrünstig mitgesungen wird. „Hey Leute, was für ein Empfang! Wir freuen uns total auf Euch“, ruft der Hauptdarsteller, der das Strahlen kaum aus dem Gesicht bekommt. Schnell wird klar: Diese Show wird ein Fanal zurückgewonnener Lebensfreude. Aber es gibt trotz einiger Sommerpop-Nummern keine reine Partysause, hier regiert auch musikalische Ambition: Der Sound ist im Schnitt eher rockig, mit dem Bläser-Trio Antonia Hausmann (Posaune), Konstantin Döben (Trompete) und Antonio Lucacio (Saxophon) im Zentrum. Und mit gleich zwei Gitarristen in tragenden Rollen (René Mühlberger, Deniz Erarslan), die auch mal ein Solo spielen dürfen. Genau wie der langjährige Drummer und Songwriter Tim Neuhaus.

Kein typischer Radio-Sound

Das alles ist im heutigen, gern sehr künstlich klingenden Deutschpop selten. Wer zuhause geblieben ist, weil Cluesos schlicht „Album“ betiteltes aktuelles Album (2020!) zum Großteil von Rap-Größen produziert wurde, hat etwas verpasst. Zumal der Hauptdarsteller keineswegs so unterkühlt singt wie damals im Studio. Die Probenarbeit scheint intensiv gewesen zu sein, so rau, wie seine Stimme manchmal klingt. Gut so!

Bei ihrem ersten Konzert geht die Band trotz enormen Effektgewitters vom Licht und der LED-Leinwand (der Bühnenhintergrund malt digital eine halbe Kunsthalle voll – auch davon wird es irgendwann NFT geben) mehr ins Risiko als üblich: „Es ist alles live“, beteuert der Hauptdarsteller. Es gebe keine Klick-Automatismen, „es kann auch mal was schief gehen“. Das tut es auch hier und da (zum Beispiel beim Radio-Hit „Flugmodus“). Aber die Fehlerchen sind minimal und bei der ersten Show schlicht menschlich. Zumal Ross Stanciu für die Stamm-Bassistin elternzeitbedingt einspringen musste. Dafür ist die Energie beeindruckend und es gibt viel Raum für neue Arrangements, spontane Einfälle, Interaktion und Umstellungen. So wird nach der frenetisch gefeierten Version von Udo Lindenbergs Klassiker „Cello“ passenderweise „Chicago“ vorgezogen, wie es in der gemeinsamen Version von 2011 anklingt.

An vielen Stellen wird deutlich, dass Cluesos jungenhafte Außendarstellung als sympathisch verhuschter Peter Pan zwar seine Persönlichkeit charakterisieren mag. Aber als Musiker macht er bis ins kleinste Detail keine Kompromisse – da gehen auch schon mal penible Kommandos an den Lichtmann. Nach dem enormen Abräumer „Zusammen“, im Original eine Kooperation mit den Fanta Vier für die Fußball-WM 2018, ruft Clueso: „Ich will ne Disko sehen!“ Techniker und Fans spuren prompt. So erlebt man zum Stromae-Sound von „Tanzen“ pure Ekstase. Dann ruft der 42-Jährige mehrfach „Mach mal das Licht leiser“, bis auch die letzte Leuchte wunschgemäß gedimmt ist. So entsteht bei der minimal instrumentierten Ballade „Barfuß“ Kuschelatmosphäre und ein wunderbarer Schattenriss-Effekt mit Keyboarder Johannes Arzberger im Mittelpunkt. Dass der stets auf Weiterentwicklung versessene Clueso im Zusammenspiel mit der Mannheimer „Sing meinen Song“-Band in der neuen Staffel der Tauschkonzert-Show noch mal neue Impulse bekommen hat, hört man vor allem an seiner Version des Nightwish-Hits „Sleeping Sun“. Die platziert er virtuos zwischen den The-Krauts-Sound von Marteria oder Peter Fox und dem Symphonic Metal des Original-Songs. Die letzte Zugabe „Gewinner“ bringt die zwei Stunden auf den Punkt – so fühlen sich vermutlich alle, die dabei waren.

Das Programm

Hauptteil: 1. Achterbahn (2016), 2. Heimatstadt (2020), 3. Keinen Zentimeter (2008), 4. Flugmodus (2020), 5. 37 Grad im Paradies (2020), 6. Neuanfang (2016), 7. Tanz aus der Reihe (Original von SDP, 2022), 8. Sag mir was du willst (2020), 9. Zu schnell vorbei (2011), 10. Du warst immer dabei (2020), 11. Pizzaschachteln (2005), 12. Cello (Udo Lindenberg, 2011), 13. Chicago (2006), 14. Leider Berlin (2020), 15. Sleeping Sun (Nightwish, 2022), 16. Zusammen (Die Fantastischen Vier), 17. Tanzen (2020), 18. Barfuß (2008), 19. Freidrehen (2014).

Zugabe: 20. Alles zu seiner Zeit (2020), 21. Gewinner (2008). jpk

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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