Heidelberg. Polen sei ein Land, das sich an den Kapitalismus und die neue Rechte verkauft habe, weil es sich nicht schon wieder an Russland verkaufen wollte. So heißt es in Ewa Benbeneks Stück „Tragödienbastard“, das seinen Namen daher trägt, weil seine Entstehung an die Techniken der antiken Tragödie angelehnt wurde, wovon ihm aber - mit Ausnahme der zahlreichen chorischen Passagen - nicht mehr viel anzumerken ist, wie die Autorin selbst einräumt.
Benbenek arbeitet meist zu den Themen polnische Arbeitsmigration, in Konstanz aber auch in Mannheim, wo ihr Stück „Juices“ derzeit wieder im Rahmen des NTM-Themenschwerpunkts „Ostopia“ zu sehen ist. Hier wie dort gibt sie als Tochter und Enkelin den durch Anwerbeabkommen, Mindestlohn, Schwarzarbeit und eine ungerechte Arbeitswelt ausgebrannten Eltern und Großeltern eine Stimme und beklagt für die eigene Generation Unzugehörigkeit und Stigmatisierung.
Ihre Beobachtungen sind gut, ihre Sprache oft bewusst derbe, ihre Thesen dabei nicht selten streitbar. Regisseurin Emel Aydogdu hat die anklagende Textfläche meist spielerisch launig, manchmal auch ein wenig albern auf Kristina Lotta Kahlert, Lilian Prent und Ruby Rawson verteilt, die den kniffligen Text hoch energetisch meistern.
Das Streben nach dem „weinroten Luxuspass“ und die Erkenntnis, dass dieser in Sachen Akzeptanz und Respekt dann doch nur wenig ändert, teilt sie mit dem zweiten Gastspiel des Abends, das vom Schauspiel Hannover nach Heidelberg reiste. Auch hier beginnt das Drama in Polen, auch hier geht es um das Warten auf Papiere und um deutsche Untaten. Die launige Konstanzer Note geht dem zweiten Abend (zu Recht) gänzlich ab.
Michel Friedman lässt mit einem brillanten Text den Atem stocken
Der autobiografische Roman des Publizisten und Talkmasters Michel Friedman ist zwangsläufig von anderer Heftigkeit, beschreibt er in seiner Autobiografie doch das Erwachsenwerden eines Jungen, dessen polnische Eltern als „Schindlerjuden“ ausgerechnet in das Land der Täter immigrieren. Auch er gibt nicht nur den eigenen Gefühlen, sondern auch denen der durch Ghetto und Shoah lebenslang traumatisierten Eltern eine Stimme.
Der Pass ist ein hohes Ziel für Staatenlose der Nachkriegszeit, Behördenbesuche und Grenzübergänge werden zum Spießrutenlaufen.
Schlicht wie ergreifend nannte Friedmann sein Buch „Fremd“, das sein durch Anfeindungs- und Ausgrenzungserfahrungen entstandenes Gefühl bis heute beschreibt. Niederschmetternd sein Erleben des Nichtdazugehörendürfens, sein Fazit: „Das Wir kostet zu viel. Kostet zu viel Ich. Das Wir saugt das Ich auf.“
Der Text der für die Bühne gekürzten Spielfassung wird auch in dieser Inszenierung auf ein vierköpfiges Ensemble aus Stella Hilb, Alban Mondschein, Christine Grant und Max Landgrebe verteilt, die mit Wortmassen wie Emotionsdichten gleichermaßen gekonnt und sensibel umgehen.
So wie dem Titel gelang auch Regisseur Stephan Kimmig am Schauspiel Hannover das Kunststück, in diesem individuellen Leben das Allgemeine an migrantischer Erfahrung herauszuarbeiten. Mit „Fremd“ ist alles gesagt. Die Qualität der Einsichten und des Gastspiels belohnen die Besucher des Stückemarkts mit langanhaltendem Applaus, auch für den anwesenden Autor Friedman.
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