Stückemarkt

Wie eine KI-Medusa in Heidelberg das Spielfeld absteckt

Beschädigter Planet und der Ukraine-Krieg als Kulisse: Beim Heidelberger Stückemarkt überzeugen Thomas Köcks Stück „Forecast: Ödipus“ aus Stuttgart und die Berner Komödie „Frontstage“

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Sebastian Röhrle als Kreon (links) und Thomas Hauser in der Titelrolle der Stuttgarter Inszenierung „Forecast: Ödipus – Living On A Damaged Planet“. © Katrin Ribbe

Klimakatastrophe und Kriege sind Themen der Gegenwart und auch des Heidelberger Stückemarkts. Passend dazu beginnt Thomas Köcks Stück „Forecast: Ödipus“ mit der Projektion einer Schockgestalt. Eine KI-Medusa steckt das Spielfeld ab: Theben befindet sich im Apokalyptozän. Dürren und Seuchen suchen die wohlhabende Stadt heim. Kreon und Ödipus sind besorgt, das Wasser wird knapp, die Straßen sind leer und die Wohlstandswutschnaubenden wollen ihren Lebensstandard zurück. Deshalb zieht man Experten hinzu: Pythia, das realistische Orakel und Teiresias, den korrupten Seher. Wie das ausgeht, ist bekannt. Ödipus wird zum Aufklärer seiner eigenen Schuld.

Für diese Ermittlung hat Bühnenbildnerin Nina Peller ein antikes Theater 2.0 entworfen: ein blutroter Himmel, darin der hollywoodhafte Schriftzug „See for yourself“, im Zentrum ein weißes Medusenhaupt als Projektionsfläche für Großaufnahmen. Unten schließt eine spiegelnde Mauer den Raum. Den Hintergrund bildet ein Gerüst für effektvolle Auftritte, und von dort liefern Meike Boltersdorf und Tim Neumaier einen suggestiven Soundtrack.

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Thomas Hauser gibt einen Macron-haften Ödipus, der so lange von Transparenz deklamiert, bis er ihr am Ende zum Opfer fällt. Sein Schwager Kreon (Sebastian Röhrle) befürwortet eher einen autoritären Liberalismus. Doch die Zeit läuft ab und deshalb schaltet das Stück den Diskurs-Schleudergang ein. Ausbeutung, Wachstum, rasender Stillstand, steigende Mieten, Artensterben, schlechte Luft, viel Pathos, ab und zu Ironie, witzige Kostüme und herrliches Schauspiel (Regie Stefan Pucher). Vielleicht ist auch dieses System daran schuld. „Was soll das alles?“ fragt Kreon irgendwann.

Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Nach einer ausführlichen Rekonstruktion der Familiengeschichte ist Ödipus schuld. Da das nun doch etwas zu einfach ist, schaltet Thomas Köck eine theoretische Dekonstruktion der Tragödie hinter deren Höhepunkt. Und falls immer noch Fragen offen sind, legt Iokaste (Therese Dörr) noch eine fulminante Moralpredigt drauf. Ein lustiges Theater des Schreckens, das eine Tragödie bleibt.

Die Schweizer OSTsisters suchen einen Ausweg im Ukraine-Konflikt

Nach einem Ausweg aus einer tragischen Situation sucht auch das Projekt des Schweizer Kollektivs OSTsisters. Zwei junge Männer, ein Ukrainer und ein Russe (Ivan Borisov und Bogdan Kapon), bewerben sich für die Rolle des Helden. Das Video-Interview beginnt harmlos. Aus dem Off fragt eine Frauenstimme (Regisseurin Polina Solotowizki) nach Vorlieben, Lieblingsfilmen, Hobbys, Träumen, Ängsten, und ob sie schon einmal ein Tier getötet haben. Mit jeder Frage wird es schwieriger zu entscheiden, was in diesem Stück wahr ist und was Fiktion.

Als beide simulieren sollen, auf die Kameras zu schießen, hat der Spaß ein Ende. Aber das Kollektiv kriegt wieder die Kurve zur Komödie. Leicht bekleidet absolvieren die Bewerber einen Fitnesstest. Danach steigen sie in römische Rüstungen, um einen Helden zu spielen. Während der eine filmt, soll der andere „Freiheit“ rufen und mit verklärtem Blick sterben. Aber hat ein Russe noch das Recht, dieses Wort zu gebrauchen? Der Streit aus den Proben wird Teil des Stücks. Genau wie ihre Erklärungen, warum und wie sie nach Deutschland gekommen sind, statt zu kämpfen. Oder in der gelungenen Komödie „Frontstage“ nach einem Ausweg aus einer verfahrenen Situation suchen.

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