Heidelberger Stückemarkt

"Die Hundekot-Attacke" aus Jena persifliert Theater und Medien

War das ein Rummel, als der Choreograph einer Kritikerin wutentbrannt Dackelexkremente ins Gesicht schmierte... Das Theaterhaus Jena hat daraus einen quirligen wie erfolgreichen Bühnenabend mit viel Selbsironie gemacht ...

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Finale mit einer Persiflage auf zeitgenössischen Tanz: Das Schauspiel-Ensemble des Theaterhauses Jena, das mit „Die Hundekot-Attacke“ bundesweit Beachtung fand – auch beim Heidelberger Stückemarkt und dem Berliner Theatertreffen. © Joachim Dette

Heidelberg. „Mein lieber Mann, da ist ganz schön was los!“, sagt eine Passantin am Heidelberger Theaterplatz. „Remmidemmi“ heißt eine der sieben Festspielreihen des auf Festivals offenkundig spezialisierten Theater und Orchester Heidelberg. Und doch gehört das Tanzen und Hüpfen zu DJ-Wummern vor der Open-Air-Bühne zum Stückemarkt, der sich zeitgenössischer Dramatik widmet.

Auch da ist was los. Party vor dem Theater, Kunst-Installation und Gastronomie im Foyer - und doch wird auch ganz sachlich gelesen, was an Stücken um die Festivalpreise wetteifert. Am zweiten „Autor*innentag“ waren das Julie Guigonis’ „Ghostbike“, Arad Dabiris „Druck!“ und Leonie Ziems „Kind aus Seide“.

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Kaum sind die Dichterworte im Zwinger 3 verklungen, geht es nebenan im Zwinger 1 mit dem Gastspielprogramm weiter. Und das zieht an diesem Spätnachmittag besonders. Vor ausverkauften Reihen, vollbesetzen Treppen und Stehplätzen an den Wänden findet mit dem Gastspiel des Theaterhauses Jena der medienwirksamste Kunstskandal des Jahrzehnts auf die Bühne: „Die Hundekot-Attacke - ein Stück über Finsternis, Schönheit und Vergebung, basierend auf einer wahren Begebenheit.“ Diese, wir alle erinnern uns, bestand im Februar 2023 darin, dass der renommierte Choreograph Marco Goecke Tanzkritikerin Wiebke Hüster im Foyer des Staatstheaters Hannover im Zorn über eine Rezension die Exkremente seines Dackels ins Gesicht schmierte. Die Wellen schlugen hoch: ein Fall für die Feuilletons, Kommentarspalten, bunten Blätter - und natürlich die Gerichte. Oder eben, wie es im Stück heißt, „ein stressiges Small- Talk-Thema für Premierenfeiern und Social Media“.

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Muss denn so eine unappetitliche Geschichte nun auch noch auf die Bühne? Dass genau diese Frage auch das Team Wunderbaum aus Jena beschäftigt, macht den Charme dieser Produktion aus, die es nicht nur nach Heidelberg, sondern auch gleich in „die Bestenauswahl“ der „bemerkenswerten“ Inszenierungen des Berliner Theatertreffens schaffte und sich den 3Sat-Preis verdiente. Soll man das wirklich machen? Das diskutieren Pina Bergemann, Nikita Buldyrski, Henrike Commichau, Linde Dercon, Leon Pfannenmüller und Anna K. Seidel im schlicht vorgelesenen E-Mail-Verkehr, der als Theater im und um das Theater köstlich ist.

Den einzig vertretbaren Ansatz vermutet man im spannenden Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Kritik. Und Machtmissbrauch ist natürlich im Theater immer ein Thema. Und sicher würde sich „außerdem“ dann auch „erstmals seit der Wende“ wieder die überregionale Presse nach Thüringen bewegen, also los.

Die Aufmerksamkeit scheint die Idee zu überholen

Gedacht wird zunächst - wie immer am Theater - groß: Ein Dackel muss her, auch Kunstkot, Farbe, Tanzeinlagen, eine zeitgenössische Komposition, „die Kritikerin“, „der Choreograph“ (namentlich genannt werden beide nicht). Der Plan scheint aufzugehen. Hundekacke ist zwar eklig, aber attraktiv: 49 deutsche Zeitungen drucken die dpa-Meldung zum Jenaer Vorhaben, Juroren, Fachmagazine, TV-Teams und Großkritiker kündigen sich an. Doch in gleichem Maße, wie die erwünschte Aufmerksamkeit steigt, bröckeln beim Proben die Konzepte, Vorhaben, Ansätze, Machbarkeiten - und der Teamgeist. Was bleibt, ist ein zum Brüllen komischer Abend im Lesungsformat, der selbstironisch und mit Tiefgang die kuriosen profitablen Windungen um Skandalisierungsprozesse und Aufmerksamkeitsmechanismen offenlegt, die Theater und Medien gemeinsam beschreiten.

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Ob sich das Schauspiel nach 100 Minuten in einer von vier Versionen des somit zu üppig bedachten Finales einen Gefallen tut, die Kollegen des Tanztheaters zu persiflieren, sei dahingestellt. Harald Schmidt nannte sein kunstvoll-laienhaftes Verrenken zu schräg Atonalem einst „Stalins Katze“ - hier könnte es „Goeckes Dackel“ heißen. Verzeihen kann man es ihnen deshalb, weil sie hernach immerhin auch ihre Schauspielmarotten mit dem chorisch gebrüllten „Macht! - Power!“ auf die Schippe nehmen.

Im Alten Saal geht es später ruhiger, aber intensiv weiter, wo das Schauspielhaus Wien mit Magdalena Schrefels sensiblem einstündigen Kammerspiel „Die vielen Stimmen meines Bruders“ zu Gast ist. Ihr gehbehinderter Bruder verliert durch einen Gendefekt seine Stimme, ein Casting mit Schauspielern soll helfen. Florentine Krafft und Leonard Grobien tarieren das Vorhaben fein aus. Darf man sich mehrerer Stimmen wünschen? Durch Puppenspiel von Sarah Zastrau und Videoeinspielungen mit Samuel Koch ist auch das Mannheimer Nationaltheater im Wiener Boot des Regieteams aus Marie Bues und Anouschka Trocker. Herzlicher Applaus.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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