Mannheim. „Ein Krieg ist eine Herausforderung an die Kunst. In Kriegszeiten wird sie gern von beiden Seiten für Propagandazwecke eingesetzt. Dazu taugt sie nicht. Eigentlich gehört sie zur Gegenwehr der Menschen gegen den Krieg.“ Buchstäblich kluge Worte, stammen sie doch von Filmemacher, Publizist und Philosoph Alexander Kluge. Sie sind gut ein Jahr alt und befinden sich im Programmheft zu „Risse in den Wörtern“ in guter Gesellschaft mit anderen sinnigen Zitaten von Jürgen Habermas oder Josef Hader. Das Theaterhaus G7 zeigt Rike Reinigers geradezu klassisch gebautes Stück in Zeiten, in denen sich - nach dem russischen Angriff auf die Ukraine - Diskussionen über Sinnhaftigkeit militärischer Unterstützung und Notwendigkeit nach herrschender Meinung aufgrund gefühlter Alternativlosigkeit fast erledigt zu haben scheinen. Pazifisten gelten derzeit eher als versprengte, naive Träumer oder Russland-Versteher, die sich um zwei nicht minder verirrte, wenn auch verdiente Intelligenzlerinnen mit starkem Geltungsdrang scharen.
Einsatz in Afghanistan
Spielplantechnisch besteht der Kniff des Theaterhauses darin, dass die aktuelle Diskussion gar nicht geführt werden muss. Der Monolog von Rike Reiniger, bekanntlich Mannheimer Feuergriffel 2011, wurde bereits 2018 uraufgeführt und widmet sich dem deutschen Einsatz in Afghanistan. Dass dennoch die aktuelle Gemütslage sowie die generelle Frage jeglicher Kriegsbeteiligung mitverhandelt wird, versteht sich von selbst.
Ein junger Mann hat Pläne. Raus aus dem Kinderzimmer, raus aus Gießen. Es geht: Lehre als Gerüstbauer, ein wohlwollender Chef, eine große Liebe und ein kleines Eigenheim - das sieht nicht schlecht aus, bis dem Chef Großaufträge platzen, aus der Traum. Ein neuer Job muss her, schnell, lukrativ und krisensicher. In politischen Sonntagsreden wird oft vergessen, dass weniger Demokratiebegeisterung als vielmehr Geldnot 25-Jährige in die Arme der „starken Truppe“ führt. Alexander Philippi ist einer von ihnen …
Als wir dem bereits suspendierten Soldaten begegnen, hält er uns, die wir vom Publikum zum Bundeswehr-Untersuchungsausschuss geworden sind, einen gut 70-minütigen eindringlichen Vortrag. Er ist teils innerer Monolog, teils ein per Antwortwiederholung dialogisch angelegter, dann wieder ein erzählender oder eben auch „aussagender“ Textfluss. Dem Zeitsoldaten wird eine Dienstpflichtverletzung während seines Afghanistan-Einsatzes zu Lasten gelegt. Natürlich, so funktioniert spannende Erzählkunst in an sich ereignisarmen Einpersonenstücken, erfahren wir erst nach und nach, was passiert ist.
Feuergriffel Rike Reiniger
- Rike Reiniger, geboren 1966 in Bochum, studierte in Prag Regie und Dramaturgie für Puppentheater und in Gießen Angewandte Theaterwissenschaft, inszenierte in der freien Szene Berlins und war Mitbegründerin des interkulturellen Theater-Ensembles Kumpanya.
- 2011 erhielt sie das Mannheimer Stadtschreiberstipendium Feuergriffel für Kinder- und Jugendliteratur der Stadtbibliothek.
- Das Stück „Risse in den Wörtern“, ist wieder im Theaterhaus in G 7, 4b zu sehen am 14., 15., 28. und 29. April sowie am 19. und 20. Mai, jeweils 20 Uhr. Karten: 0621/15 49 76 oder ticketshop. rcl
Dieser Abend ist nicht nur von auktorialer Seite eine Handwerklichkeitsfreude: Moritz Hahn von der Theaterakademie Mannheim weiß die Perspektiv- und Adressatenwechsel mit Verve zu gestalten, nimmt seine Rolle wichtiger als sich selbst, tappt nie, selbst in den lauten, emotionsstarken Passagen nicht, in die jugendliche Overacting-Falle - und ist in all diesen dramatischen und traumatischen Abstürzen immer auch ein guter Sprecher. Pascal Wieandt und Philippe Mainz gliedern als Regisseure dynamisch sinnfällig, arbeiten atmosphärisch eindrucksvoll mit Licht und Sound (Transall-Geräusche), schaffen rege situative Abwechslung und zeichnen so Bundeswehrkolorit. „Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“ So das Gelöbnis.
Freiheit, Demokratie, Humanität galt es darüber hinaus am Hindukusch zu verteidigen, wir erinnern uns. 2021, drei Jahre nach der Uraufführung, die Bilanz ernüchternd: 20 Jahre. 17, 4 Milliarden Euro Kosten. Vor allem: 59 deutsche Soldaten ließen dafür ihr Leben. Einer von ihnen ist Alexanders Kamerad Paul im Zinn-Sarg unter Schwarz-Rot-Gold.
Pazifistische Antigone-Geschichte
An seinem Sarg bekommen die Wörter der Eidesformel Risse. Schützen wir auch Drogengeschäfte, Intrigen Verrat, Kriegsgewinnler? Er begeht eine Dienstpflichtverletzung, die sich an der antiken Antigone-Geschichte orientiert: Die Tochter des Ödipus hält sich nicht an das Verbot ihres Onkels Kreon und begräbt ihren als Verräter in Ungnade gefallenen Bruder Polyneikes. Auch Alexander stellt sein eigenes Gewissen über das Gesetz und glaubt, der Menschlichkeit selbst mehr gehorchen zu müssen als den Geboten der Menschen - er lügt, fälscht Dienstpläne, um einen jungen Taliban bestatten zu können. Für so etwas kann es nur eine Erklärung geben: „manische Hyperaktivität“ und „Belastungsstörung“ …
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