Mannheim. Vogelgezwitscher ist zu hören, darunter mischt sich eine Musik, die wie schimmernd vibrierende Tautropfen auf die Lichtung perlt. Die acht Spielerinnen des Mannheimer Stadtensembles haben sich aus dem Schatten der umliegenden Bäume gelöst und dem Zentrum der Waldlichtung genähert. Eine Kinderstimme dringt nun aus den Lautsprechern, die den „Beginn einer Geschichte, die nach und nach aus unseren Mündern bricht“, einer „Geschichte, die sich nach und nach um unsere Körper schlingt“, verkündet. Bald winden sich die Performerinnen, als wären ihre Leiber von jählings rankenden Wurzeln umschlungen; bald keuchen sie und krümmen sich, als strömte ein Gift qualvoll durch ihre Adern. „Spannung, Spannung, Spannung, lasst es nicht abfallen“, ruft Regisseurin Beata Anna Schmutz ihnen zu.
Es ist eine eindringliche Szene, die sich hier auf der Waldlichtung unweit des Parkplatzes am Wasserwerk Käfertal abspielt. „Die Energie war so gut“, lobt Schmutz, als der Durchlauf zu Ende ist. Es ist früher Abend, das Licht dringt noch hell und klar durch das Blattwerk, die Probe für die Kinder im Ensemble ist vor kurzem zu Ende gegangen, jetzt sind die Erwachsenen an der Reihe. Wir erhaschen hier einen Einblick in die Stadtensemble-Produktion „Mannheimer Räuber*innen“, die am 20. Juni bei den Schillertagen des Nationaltheaters Premiere feiert. „Hausautor*in“ Leo Lorena Wyss und das Stadtensemble schreiben damit Friedrich Schillers Erstlingswerk „Die Räuber“ fort, das 1782 just in Mannheim uraufgeführt wurde.
Produktion des Stadtensembles
- Das Mannheimer Stadtensemble ist eine Gruppe von insgesamt rund 30 Mannheimerinnen und Mannheimern, die in der Spielzeit 2018/19 am Nationaltheater Mannheim (NTM) gegründet wurde. Künstlerische Leiterin ist Beata Anna Schmutz.
- „Mannheimer Räuber*innen“ hat am 20. Juni im Rahmen der 23. Internationalen Schillertage des NTM Premiere. Alle fünf Schillertage-Vorstellungen bis 28. Juni waren indes zuletzt ausverkauft. Weitere Kartenkontingente sollen ab dem 16. Juni verfügbar sein. Vier weitere Vorstellungen gibt es täglich von 24. bis 27. Juli.
- Infos: mav
Dramaturgin Annabelle Leschke führt uns über den von Susanne Hiller ausgestatteten Spielort. Kleine, hölzerne Spitzdachhütten sind dort zu sehen, einige Bäume sind hoch, bis unterhalb der Kronen, mit rotem Stoff ummantelt. Man sieht eigentümliche, lianenhafte Gewächse oder beerenartige Fruchtkörpertrauben, auch sie in jener tiefroten Farbe, die sich gleichermaßen in den Kostümen der Spielerinnen wiederfindet. Dieses Rot reflektiere verschiedene Perspektiven, erläutert Leschke. Zum einen das Thema Blut und Adern, was wiederum metaphorisch oft mit Wurzeln verbunden werde. Mit dem, „was darunterliegt - was das Thema Erbe aufmacht“, wie Leschke sagt.
Die Grundidee der Uraufführung: „Hier auf dieser Lichtung versammeln sich die Nachkommen“, berichtet die Dramaturgin, vor allem auch diejenigen, die aus der Vergewaltigung der Nonnen durch Karls Räuberbande hervorgegangen seien, die im zweiten Akt von Schillers Tragödie ein Kloster verheerte. „Was haben dieser Boden, was haben diese Wälder alles mit angesehen?“ - dies sei auch schon in der Stadtensemble-Produktion „New World Franklin“ ein Thema gewesen.
Sichtbar machen, was am Rand liegt oder vergessen ist
Zum einen sei für diese Inszenierung sehr viel recherchiert worden: Wyss und Schmutz führten Interviews mit den Mitwirkenden und sammelten dabei Geschichten zum Thema Erbe. Zugleich habe man sich viel mit dem „klassischen Erbe“, mit dem Schillertext selbst befasst - gerade auch mit Stellen, die allenthalben aus Inszenierungen herausgestrichen werden, „wie die Vergewaltigung der Nonnen im Kloster“, so Leschke. Für Wyss aber sei gerade das Schreiben über das, „was dahinter liegt, das, was eher am Rand steht, weg gedrängt wird oder vergessen ist“ wichtig. Das Schreiben über das, „was darunter liegt und heraus möchte“. Entstanden sei hieraus etwas ganz Neues, und auch, wenn sich kleine Zitate wiederfinden werden: „Räuber*innen“ ist „keine Überschreibung, keine Modernisierung“ des Schiller-Dramas, wie Leschke hervorhebt, sondern ein „eigener, für sich stehender Text“.
In „Die Räuber“ gibt es nur eine einzige Frauenfigur, Amalia (die zudem sehr wenig Text habe, wie Leschke anmerkt), und „natürlich fehlen auch die Perspektiven der queeren Personen“ sowie „die migrantische Perspektive, die auch sehr stark im Stadtensemble und gerade auch in Mannheim vertreten ist“.
Der Aufführungsort wird zu einem Mitspieler
Der initiale Gedanke zu dieser Inszenierung ging von Schmutz aus. Sowohl in ihrer Funktion als Stadtensemble-Leiterin als auch persönlich als Künstlerin sei sie an „transgenerationalen Verbindungen“ interessiert, führt die Theatermacherin aus: „Also, was tragen wir in uns, was wollen wir weitergeben“ und „wie gestalten wir das Zusammenleben“? Auch: Welche Bilder würden da einfach reproduziert, welche nehmen wir „so selbstverständlich im Namen der Freiheit, im Namen der großen Kunst“ in uns auf?
Der Aufführungsort ist dabei kein bloßer Schauplatz, sondern sei „ein Mitspieler“, und auch Publikum und Ensemble sind keine klar getrennten Parteien, sondern beiderseits ein mitgestaltender „Teil von Mannheim“: „Und damit sitzen wir zusammen in diesem Wald und teilen diese Geschichten“, lädt Schmutz ein.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-mannheimer-raeuberinnen-werden-bei-schillertagen-gezeigt-_arid,2310326.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim/kaefertal.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html