Mannheim. Da sitzen sie also. Schauspielintendant Christian Holtzhauer. Festivaldramaturgin Lea Gerschwitz. Und ab und an kommt noch jemand vorbei auf der Bühne. Zum Beispiel Mannheims Kulturbürgermeister Thorsten Riehle. Er ist gewissermaßen des Amtes wegen da, aber er hat doch auch etwas Wichtiges dabei: ein Bekenntnis. „Wir als Mannheim sind stolz auf die ‚Internationalen Schillertage‘, und wir hoffen, dass die 25. Ausgabe (aktuell geht es erst mal um die 23.) wieder mitten in der Stadt stattfinden kann, dann haben wir viel geschafft“, sagt Riehle und betont, dass man, er sagt immer „wir als Stadt“, zu dem Festival stehe. Er freut sich sichtlich, dass die Stadt die 712.000 Euro Festivaletat nicht alleine bezahlen muss. Zu den 180.000 Euro von Mannheim kommen noch 200.000 vom Land und rund 135.000 von Sponsoren und anderen Dritten. Der Rest sind Einnahmen aus Kartenverkauf und Eigenmittel des Nationaltheaters Mannheim (NTM).
Schiller bleibt relevant für die Gegenwart
Das Alte Kino ist von der Mittagssonne lichtdurchflutet, und in dieser fast grellen Helligkeit spricht man – natürlich – darüber, wie man ein Theater dunkel bekommt. Wer Thomas Bernhards „Theatermacher“ kennt, weiß, dass das zum Problem werden kann. Nicht aber für Daria Holme und ihr Eintanzhaus, das dem Rimini-Protokoll für „Société Anonyme“ Raum gibt - ein Stück, das bei absoluter Finsternis stattfinden soll. Es geht um Diskriminierung, sexuelle und psychische Gewalt, um Sucht.
Es ist eine von zwölf Produktionen, die die 23. Internationalen Schillertage vom 19. bis 29. Juni zeigen werden, und das vieldeutige Motto „Wenn Menschen nur Menschen sind“ trifft natürlich auch auf die „Anonyme Gesellschaft“ zu. Holtzhauer zitiert aus dem Programmheft des Gründungsjahres der Schillertage 1978, als man herausfinden wollte, was von Schiller für die Gegenwart noch belebbar sei. Er selbst kommt zu dem Schluss: Ja, es lassen sich noch genügend Funken aus Schiller schlagen. Als Chef eines weitgehend öffentlich bezahlten Schillerfestivals ist das vielleicht auch besser so.
Die 23. Internationalen Schillertage
- Produktionen: Still I Choose to Love (19., 21., 23., 25., 27., 28., 29.6.). Kabale und Liebe (19., 21.6.), Geld ist Klasse (20.6.), Mannheimer Räuber*innen (20., 21., 22., 27., 28.6.), Terribly Human (21., 22.6.), Human 2.0 (22.6.), Kabale und Liebe – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie (24.6.), The Transition Pieces: Chant I (24., 25.6.), Michel Friedmans Mannheimer Rede „Weil Menschen Menschen sind“ (25.6.), Destination: Origin (26.6.), Société Anonyme (26., 27., 28.6.), Queens (27., 28.6.), Die Räuberinnen (28.6.).
- Sonderformate Festivalzentrum: Schill-Outs (19.-28.6. tägl. 21 Uhr), Partys (19., 20., 21., 27., 28.6.), SWR-Kulturgespräche (20., 21., 22., 27., 28.6.), Publikumsakademie „Vorgarten“ (29., 21., 22., 23., 26., 27., 28.6.), Fachkongress Community Arts am Theater (25.-27.6.), Haymatmuseum Spezial (23.6.), Free Walking Tour (20., 21., 27., 28.6.).
- Info und Karten: Mit dem Festival-Abo erhält man 5 Karten für verschiedene Vorstellungen zum Preis von 4 (Info zum Festival: 0621/1680.150).
Holtzhauer, der das Alte Kino Franklin „das schönste Theater Mannheims“ nennt, lässt dort auch die zentrale Eigenproduktion zur Eröffnung stattfinden: „Kabale und Liebe“, ein Werk, das bei Erscheinen erst mal verboten wurde. Zu revolutionär. Zu anprangernd für die hohe Klasse und ihre Willkürherrschaft. Holtzhauer erklärt, dass Louise in dem Drama von einer Gesellschaft ohne Schranken träume, in der Liebe einfach Liebe sei. Dass diese Liebe bei Schiller aber nur in den Liebestod von Louise und Ferdinand münden kann – klar. Die Gesellschaft war nicht bereit für das Verhältnis einer (bürgerlichen) Musikertochter und eines (adeligen) Fürstensohns. Regie führt Charlotte Sprenger, die vor rund zwei Jahren Brechts „Guten Menschen“ auf Franklin zeigte.
Schillers „Kabale und Liebe“ neu interpretiert
Zwei weitere Produktionen beschäftigen sich mit Schillers Drama von 1784. Ebenfalls am Eröffnungstag geht „Still I Choose to Love“ im Theaterhaus G7 (TiG7) über die Bühne – als Uraufführung von Lakshman KP, der sich „Kabale und Liebe“ mit einem interkulturellen Ensemble mehrsprachig widmet und das Werk dabei auf das indische Kastensystem überträgt. Und als Gastspiel vom Deutschen Schauspielhaus ist „Kabale und Liebe – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie“ zu sehen. Es handelt sich hier laut Holtzhauer um eine Art Live-Radioshow, aber, so der Intendant, „die ganze Geschichte wird erzählt, keine Angst, außerdem sei es „sehr humorvoll und ein absolutes Must“, selbst Schiller-Exegeten kämen auf ihre Kosten.
Ein zweiter Schwerpunkt sind „Die Räuber“. Sie agieren allerdings eher als „Mannheimer Räuber*innen“ im Käfertaler Wald, wie beim Stadtensemble in der Fortschreibung von Schillers Nachfolgeschreibmensch Leo Lorena Wyss – Regie führt Beata Anna Schmutz. Oder schlichter als „Räuberinnen“, wie in der Produktion von Münchner Kammerspiele und Gorki Theater Berlin. Die Auseinandersetzung von Schillers „Maria Stuart“ mit Elisabeth I. wird hingegen zu „Queens“ vom Theater Dortmund, Jessica Weisskirchen, früher Regieassistentin am NTM, inszeniert.
Universalien: Gemeinsamkeiten aller Menschen im Fokus
Insgesamt geht es dem Festival um den Mensch an sich. Im ganzen Programmheft sind sogenannte Universalien abgedruckt, mit denen ethnologische Forscher „Merkmale und Verhaltensweisen“ bezeichnen, die alle Menschen und Kulturen gemeinsam haben. Das geht von „Abstillen“ über „Identität“ oder „Scham“ bis „Witz“ und „Kalender“. So drehen sich auch die restlichen Produktionen quasi ums „Menschliche, Allzumenschliche“, ob nun das Theaterstück „Geld ist Klasse“ unter anderen mit Millionärin und Aktivistin Marlene Engelhorn, Mohammad Rasoulofs („Die Saat des heiligen Feigenbaums“) „Destination: Origin“, in der es laut Gerschwitz um Exil, Identität und künstlerische Freiheit geht, oder der Zirkus „Human 2.0“ mit akrobatischem Tanztheater. Und Michel Friedmans Rede „Weil Menschen Menschen sind“ wird sicherlich eines der wichtigsten Themen unserer Zeit erörtern: das Spannungsfeld zwischen Bürger-, Grund- und Menschenrechten. Leider werden – wie üblich – die Menschen, die da am meisten Nachhilfe nötig hätten, nicht kommen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Schillertage 2025: Moderne Formate treffen auf klassische Ideen