Schauspiel

Mannheimer Nationaltheater zeigt Brechts "Dreigroschenoper" als glamouröse Revue

Es ist die bisher aufwendigeste Produktion des Mannheimer Nationaltheaters in der Sanierungsersatzspielstätte Altes Kino Franklin. Schnell und glamourös sind in der "Dreigroschenoper" ("DGO") die Brüche vom GOD zum DOG

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Nicht nur der Haifisch hat Zähne: Auch Annemarie Brüntjen hat als weiblicher Mackie Messer im Alten Kino Franklin ordentlich Biss. © Christian Kleiner

Mannheim. Na bravo, erst ein „Wilhelm Tell“ mit Karpfen, dann ein „Moby Dick“ mit Walknochen und nun eine „Dreigroschenoper“ mit Haifischmaul – hat das Mannheimer Nationaltheater (NTM) ein Fischproblem? Wird es gar zum Hort für Aquarienfreunde? Man könnte es fast meinen, denn den berühmten Moritaten-Raubfisch bildlich zu zeigen, gehört – wie vieles an dem (inklusive Pause) knapp dreistündigen Premierenabend – nicht unbedingt zu dem, was „Die dialektische Dramatik“ Bertolt Brechts (1931) in theatertheoretische Thesen goss, um den bekannteren Begriff des „epischen Theaters“ zu konkretisieren.

Hausregisseur Christian Weise pfeift auf Einiges, was die Tradition des gräulich-schmutzigen Entfremdungs- und Konfrontationstons Brechts kennzeichnet. Gründlich beschäftigt hat sich der Ausstattungs- und Transgender-Orgiast mit Werk und Autor dennoch. Es hat sich gelohnt. Und allen Beteiligten sichtlich Spaß gemacht – ohne das Stück zu verraten. Weise wollte eine Revue und hat sie bekommen.

Zwischen „Babylon Berlin“ und „Cabaret“ ist auch Platz für Brecht

Man darf konstatieren, dass dabei weder Geld noch Mühen gespart wurden, ist es doch die bisher aufwendigste Produktion für die Ersatzspielstätte Altes Kino Franklin, eine, auf die sich alle, inklusive Kritiker, aufrichtig freuten. Tolle Musik, (Mackie-)messerscharfe Texte, starke Typen – all das bietet die zynische Opernparodie, die Bert Brecht und Kurt Weill unter Mitarbeit von Elisabeth Hauptmann dem Schauspielfach da exzentrisch auf den Leib geschrieben haben.

Jana Findeklee und Joki Tewes haben nicht nur einen riesigen, rotglühenden Holzhai auf die Bühne gezimmert, sondern auch nicht minder sensationelle Kostüme entworfen. Ihre Welt ist schwarz-weiß und großgemustert: Streifen, Karos, Argyle-Rauten (very british), Hahnentritt, der Gewandmeisterei sei besonderer Dank – alles in korrekter Steife und monströser Größe bis hin zu den witzigen (Stoff-)Requisiten.

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Kleinkarierte Spießer sind es nicht, die hier im „Cabaret“-Look einen Hauch von „Babylon Berlin“ verbreiten, sondern bekanntlich „Hurentreiber“, „Bettlerkönige“, leichte Mädchen und schwere Jungs. Obwohl ... Im Fall von Celia Peachum beweist Sandro Sutalo, dass beides in einer vollbärtigen Figur möglich ist. Er spielt weit mehr als eine trendige Marotte des Regisseurs, die nicht erhellend oder gar dramaturgisch notwendig wäre. Seine kernige Übermutter ist glaubhaft, auch im schlagfertigen Umgang mit ihrem Gatten, dem Bettlerausstatter Peachum, dem Patrick Schnicke Autorität und seine ein wenig zu saubere Singstimme verleiht.

Doch bleiben wir bei den Hosenrollen: Annemarie Brüntjen als Macheath. Es irritiert keine Sekunde, auch nicht im Spiel mit der kokett-sopranesk falsettierenden Polly der nicht minder starken Jessica Higgins. Weil Brüntjen zudem so souverän und mit Verve aufspielt, ausdrucksstark die Augen stellt, tänzerisch wie stimmlich brilliert, fehlt einem nichts, auch nicht zur Begeisterung. Wirkt die rhythmisch forcierte Eingangsmoritat um des Haifischs Zähne noch ein wenig überinterpretiert, steigert sie ihre Darstellung und Stimmkraft Song für Song.

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Für diese sorgt die kurioserweise, aber freilich schlagsicher von Schlagzeuger Jens Dohle geleitete neunköpfige Band in Weill’scher Originalbesetzung. Auf dieser soliden musikalischen Grundlage lässt sich gut arbeiten, besonders bei einer von Alan Barnes lässig wie einfallsreich bis zum letzten Ton durchchoreographierten Nummernrevue, die das Werk ja letztlich auch ist.

Manchmal ist da ein „Zuviel“ an Tanz, Slapstick, Ton-Gags und Lichtbudenzauber, das in Summe als Aktionismus von Brechts Textschärfe ablenkt. Ausnahmen machen da Jessica Higgins dicht-fokussierende „Seeräuberjenny“ oder das Eifersuchtsduett der „Schönheiten von Soho“ mit ihr und der frech-quirligen Shirin Ali (Lucy).

Brecht am NTM: „Es muss eben immer Neues geboten werden.“

Ihr Vater, Polizeichef Tiger Brown (Matthias Breitenbach), ist in weißer Generalsuniform ein Göring-Vorbote, dem im „Kanonensong“-Duett mit Macheath „’ne neue Clique, ne arme oder schicke“ begegnete, wo Brecht anno 1927 noch auf „’ne neue Rasse, ’ne braune oder blasse“ stieß. Um die versteinerten Herzen der Politisch-Unkorrekten zu erreichen, „muss eben immer Neues geboten werden“. Von „Huren“, „Weibern“ und hinzuimprovisierten bösen Tanten in Kasachstan ist dann doch die Rede. Sei’s drum, was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Genau dahin marschiert der unterhaltsame, wahrlich große Abend, der auf den Schlusschoral verzichtet, um unter unterlegtem Stiefelschritt in Richtung Brechts späterem „Dreigroschenfilm“ (1930) und Dreigroschenroman“ (1933) zu marschieren. Peachum und Mackie sind dort bereits illustre Großbanker. Der Saal tobt, herzlicher Applaus für alle Beteiligten. Um es mit Christian Weises Brecht-Texterweiterung zu sagen: „Ist das nötge Geld vorhanden, ist das Ende meistens gut.“

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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