Mannheim. Und der Haifisch, der hat Zähne: Groß und spitz und zahlreich ragen sie aus dem klaffenden Maul des hölzernen Meeresriesen. Zunächst aber, als gerade drei Ensemblemitglieder des Mannheimer Nationaltheaters (NTM) für die zum 15. Juni anstehende Premiere von „Die Dreigroschenoper“ im Alten Kino Franklin proben, wendet uns der bewegliche Leib des Hais noch seinen mit Gitterstäben gefängnisartig versiegelten Rücken zu.
Auf der Bühne, umspielt von den ausladenden Wellen des gerafften roten Vorhangs, haben Lucy (gespielt von Shirin Ali) und Polly Peachum (Jessica Higgins) den gefesselten Macheath, alias Mackie Messer (Annemarie Brüntjen) in ihre Mitte genommen und stimmen - begleitet vom musikalischen Leiter der Produktion, Jens Dohle am Schlagzeug, und Pianist Joe Völker - das „Eifersuchtsduett“ an. „Noch zu brav gesungen“, wirft NTM-Hausregisseur Christian Weise dazu ein. „Da ist noch nicht der Streit im Gesang drin.“ Choreograf Alan Barnes geht alsbald mit den Spielerinnen die Bewegungsabläufe durch.
Skulptur aus übrig gebliebenen Holzresten angefertigt
Christian Weises Inszenierung des Stückklassikers von Bert Brecht und Elisabeth Hauptmann mit der Musik von Kurt Weill, der Schauspiel, Musiktheater, Kapitalismuskritik und Gangsterromanze miteinander verschmilzt, soll die größte und aufwendigste Produktion werden, die das Alte Kino Franklin als Interimsspielstätte des NTM-Schauspiels während der Generalsanierung des Theaters bislang gesehen hat. Der eineinhalb Tonnen schwere hölzerne Hai kann dabei nicht nur per Drehbühne gewendet, sondern auch in Richtung Bühnenrand bewegt werden, wo er sich dann mit der fest im Boden installierten Unterkieferzahnreihe zu einer Einheit fügt. Die Techniker, die den Koloss bei der Aufführung schieben, werden neben den Spielenden, den Musikern, den Mitgliedern des Nationaltheater-Orchesters und des NTM-Bewegungschors ein Teil der Inszenierung sein, erläutert Jana Findeklee, die zusammen mit Joki Tewes für Bühnenbild und Kostüme der Produktion verantwortlich zeichnet.
Das Musiktheaterstück sollte an sich bereits vor vier Jahren im großen Spielhaus am Goetheplatz auf die Bühne gebracht werden. „Und dann kam Corona dazwischen“, rekapituliert Tewes, was zur Verschiebung der Produktion führte. Schon damals habe es die Idee für einen Haifisch gegeben, der gleichsam auch als Verwandlungsmotiv für das Stück in acht Bildern fungiere - wobei sich der heutige vom damals geplanten Entwurf unterscheidet.
Seit 2007 arbeiten die beiden als Kostüm- und Bühnenbildnerinnen-Team zusammen, und „in den letzten Jahren haben wir uns auch immer mehr Gedanken gemacht über die Materialien, die wir im Theater benutzen“, berichtet Jana Findeklee. Der Spielhaus-Hai wäre weiland noch mit viel Styropor modelliert gewesen. Seit drei, vier Jahren versuche das Duo, diesen Kunststoff aus seinen Bühnenbildern zu verbannen, „weil es einfach so ein hochtoxisches Material ist“. „Trotzdem wollten wir eine Skulptur schaffen“ - die nun aber aus Holzresten, die im Theater angefallen sind, angefertigt worden ist.
„Ikonografischer Stoff“ wird zur Revue umgesponnen
Damit wird nicht nur dem Nachhaltigkeitsgedanken Rechnung getragen, sondern zugleich auch der Grundkonzeption der Inszenierung selbst: „Wir haben gesagt, wir machen eine Art von Revue und beziehen uns schon auf diese 20er Jahre“, erläutert Joki Tewes - auf die Zeit also, in der „Die Dreigroschenoper“ entstanden und uraufgeführt worden ist. Das sei wie ein „ikonografischer Stoff“, meint sie, auch im Hinblick auf die Musik.
Den Revue-Vorschlag hätten Christian Weise, mit dem die beiden schon mehrfach (viermal auch am NTM) zusammengearbeitet haben, und der musikalische Leiter Jens Dohle von Anfang an begrüßt. Die Setzung: Eine Theatertruppe erzählt das Stück in Gestalt einer in die Jahre gekommene Revue, mitsamt Haifisch, der seinerseits inzwischen „nicht mehr ganz intakt ist. Das ist ein bisschen wie in einem alten Vergnügungspark“, erklärt Tewes, „der immer wieder repariert wird“. „Wie eine Endlosschlaufe“, ergänzt Findekee mit Blick auf den Galgen, an dem Mackie im Stück gehängt werden soll. Auch in den Kostümen würden die 20er Jahre zitiert, führt Tewes weiter aus, aber „versehrt“ und mit „untoten“ Anklängen, wie Findeklee hinzufügt. Bei der Probe werden noch keine getragen, aber die Kostümentwürfe, die sie uns auf dem Smartphone zeigen, sehen fantastisch aus.
Die Art der Zusammenarbeit von Regie mit Kostüm- und Bühnenbild sei immer sehr unterschiedlich, legt Joki Tewes dar, „aber wir sind schon generell eher Künstlerinnen, die etwas entwickeln“. Die eine Welt entwickeln wollen, „die wir auch als Reibung zwischen uns und der Regie nutzen. Oder wo dadurch dann etwas Zufälliges entsteht, was eigentlich immer spannend ist“.
Stück, Bühne und Kostüme
- „Die Dreigroschenoper“ in der Regie von Christian Weise feiert am 15. Juni, 19 Uhr, im Alten Kino Franklin des Mannheimer Nationaltheaters Premiere (mehr unter www.
- nationaltheater-mannheim.de).
- Die musikalische Leitung hat Jens Dohle, Bühnenbild und Kostüme stammen von Jana Findeklee und Joki Tewes. Tewes, 1978 geboren, und Findeklee, Jahrgang 1983, kennen sich bereits aus ihrer Studienzeit an der Berliner Hochschule der Künste/Universität der Künste. Seit 2007 arbeiten sie als Bildnerteam für das Theater in den Bereichen Bühnenbild, Kostümbild und Video zusammen.
- Schon direkt nach dem Studium arbeiteten sie erstmals mit Regisseur Frank Castorf für dessen Rihm-Oper „Lenz“ bei den Wiener Festwochen zusammen. Bei den Wormser Nibelungenfestspielen waren sie 2015 bei Albert Ostermaiers „Gemetzel“ (Regie: Thomas Schadt) für die Kostüme verantwortlich.
- Am Mannheimer Nationaltheater statteten sie zuletzt die Christian-Weise-Inszenierung von Shakespeares „Was ihr Wollt“ (2023) aus.
- 2018 wurde das Duo mit dem deutschen Theaterpreis Der Faust in der Kategorie Bühne/Kostüm für „Wilhelm Tell“ am Schauspiel Köln in Koproduktion mit dem Theater Basel ausgezeichnet. mav
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