Oper

Wie das Nationaltheater Mannheim die Oper in die Bars bringt

Operngesang in einer Bar? Ein neues Format des Mannheimer Nationaltheaters kommt mit Opernperfomances auf das junge Publikum zu - in Bars und Kneipen. Im Mittelpunkt steht Sopranistin Katharina Hermanns, die für Beifall sorgt

Von 
Raimund Frings
Lesedauer: 
Die junge Sopranistin Katharina Hermanns überrascht die Gäste in Kneipen mit ihrem Gesang. © Christian Kleiner

Mannheim. Ein lauer Frühsommerabend am Swanseaplatz zwischen den Quadraten G 7 und H 7, dort wo inzwischen Bars und Kneipen ein spezielles „Altstadtfeeling“ auf Mannheimer Art entwickelt haben. Gruppen von jungen Menschen zwischen 20 und 40 Jahren ziehen hier meist in bester Laune in Richtung Jungbusch oder verweilen auf einen Cocktail in einem der Etablissements. Da wieder eine Gruppe, zwei Pärchen, eigentlich ganz unauffällig, halten vor der „Riz Bar“ an, beratschlagen offenbar irgendeinen Plan, setzen sich.

Eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren, die mit einem roten Band locker zusammengehalten werden, steht auf. Sie schaut etwas nervös um sich, spricht sich gestenreich mit einem der Freunde ab, zieht ein Smartphone aus ihrer Handtasche. Läuft von Tisch zu Tisch, zeigt Wildfremden etwas auf dem Display und singt gar nicht leise, mit unverkennbarer Opernstimme so etwas wie eine Arie. „Die waren alle blau, sie tragen alle Hosen, die waren blau.“

Beifall für Opernperformance vor Bars und Kneipen in Manheim

Ein klares, warmes Vibrato zweifelsohne, die kann was, scheinen die Passanten auf der anderen Straßenseite zu denken. Bleiben stehen, fragende, neugierige Gesichter. Eine suchende Sängerin, gar ein professioneller Moment, ist da nicht irgendwo ein Kamerateam? Nein, sie ist ganz allein unterwegs.

„Habt ihr sie gesehen, sie sind nicht zu übersehen, sie waren alle blau“, stark und klar die Stimme, aber auch etwas verzweifelt. Sucht sie wirklich, vielleicht ihre Freunde? Eine Oper auf dem Bürgersteig?

Zwei, drei Minuten eine flatternde Melodie zwischen Musical und neuer Klassik. Plötzlich Stille, die Besucher der Bar schauen sich an, einer hat von der unverhofften Szene geistesgegenwärtig mit dem Telefon ein Video gedreht, zeigt es seinem Nebensitzer. Erst applaudieren einige noch schüchtern, dann brandet Beifall auf. Die Sängerin verbeugt sich kurz und setzt sich zu ihrer Vierergruppe, die ihr bewundernd zunickt.

„War schon ein ganz anderes Bühnengefühl, keine Bühne, keine Mitsänger, nur ich allein mit der unbekannten Menge.“ Katharina Hermanns wirkt beglückt und zerstreut zugleich, ist wohl durchströmt von Adrenalin. Die Sopranistin aus dem Opernchor des Nationaltheaters hat gerade einen ersten Opern-Shot vor überraschtem Publikum, das unvermittelt erst eins geworden ist, präsentiert.

Mit neuem Format auf Mannheimer Oper aufmerksam machen

„Shot“ wie das intensive Getränk aus dem 0,2-Milliliter-Glas. „Wir wollen kleine ästhetische Augenblicke inszenieren, mit einem neuen Format auf die Mannheimer Oper aufmerksam machen.“ Librettist Oliver Riedmüller und Regisseurin Maren Schäfer haben zusammen mit dem Komponisten Alexander Schweiß an der Entwicklung von szenischen Songs, einer kleinen „Kneipenoper“ getüftelt.

„Wir wollen neue Zielgruppen für das Musiktheater begeistern“, sagt der als Kulturvermittler am Nationaltheater wirkende 33-jährige Riedmüller. Gerade jetzt in der schwierigen Zeit der Generalsanierung, in der nicht mehr ein Ort, ein Haus, eben das ungeteilte Nationaltheater Mannheim sichtbar ist.

Früher habe man versucht, mit „Flashmobs“ Musikevents in die unmittelbare Öffentlichkeit zu bringen, doch sei dies keine wirklich innovative Art der Inszenierung, findet die Regisseurin Maren Schäfer, die sich mit kreativen Stückentwicklungen bereits einen Namen gemacht hat. „Wir möchten Alltagsszenerien künstlerisch überhöhen“, sagt die Darmstädterin, die selbst auch Gesang studiert hat.

Der Wesenskern der Oper, des Opernhaften bleibe erhalten und werde in eine für jeden nachvollziehbare Realität, die jedem begegnen könne, gestellt. Wie eben die von Hermanns dargestellte Frau, die beim abendlichen „um die Häuser Ziehen“ ihren Freundeskreis aus den Augen verloren zu haben scheint. Und in aller Öffentlichkeit mit Opernstimme klagt und sucht.

Im Opernchor des Nationaltheaters Seite an Seite mit der Mutter auf der Bühne

Hermanns, die hier an diesem Abend die hörbare Arbeit leistet, ist übrigens eine richtige Mannheimerin und hat an der Musikhochschule Hannover Gesang studiert. Ihre Eltern sind ebenfalls Sänger. Seite an Seite mit ihrer Mutter steht die mutige Musikerin Abend für Abend ihren Part im hochklassig besetzten Opernchor des Nationaltheaters.

Unlängst hat sie mit Kollegen bereits ein edles Ensemble, den „Arco Vocale“, gegründet. Die Sopranistin mit viel Power und ebenso viel Zartheit in der Stimme ist an diesem Abend noch mehrmals als Opern-Lockvogel gefragt. Das Motivationsteam um Kulturvermittler Riedmüller und Regisseurin Schäfer hat zwei weitere Kneipen im Jungbusch ausgeguckt, bevor es wieder an den Standort am Swanseaplatz zurückgeht.

Hier haben die Macher des Opern-Shots sich im Vorfeld ein bisschen länger mit dem Wirt des „Odeon-Clubs“ unterhalten. Der stellt jetzt gegen 23 Uhr seine Lounge-Playlist einfach mal ab und lässt Frank Sinatras schwüles „Strangers in the Night“ laufen. An den Tischen sitzen Frauen-, Männer- und gemischte Gruppen, die meisten in Gespräche vertieft sind, andere nippen an ihrem Martini oder Aperol Spritz.

Mehr zum Thema

Generalsanierung

Baubude des Nationaltheaters: Was Mannheims OB Specht erwartet

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren
Jetzt eröffnet

Baubude am Mannheimer Nationaltheater informiert über Generalsanierung

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren
Klimaschutzaktivismus

Luisa Neubauer: Was Beethoven mit der Klimakrise verbindet

Veröffentlicht
Von
Stefan M. Dettlinger
Mehr erfahren

Ideale Vorbedingungen für einen Opern-Shot. Katharina Hermanns hat ihre rote Schleife etwas fester gebunden und den Lippenstift nachgezogen, lümmelt - die Stirn in engen Falten - im Raum herum, wieder mit ihrem Smartphone in engem Tête-à-tête, fängt an zu singen.

Die Melodie diesmal etwas tiefgründiger und runder als bei der ersten Szene gegenüber. „Ich steh hier, und schreib dir, du antwortest nicht, und ruf dich an, ich steh hier“. Zornig stapft sie auf und ab, während Frank Sinatra ungerührt von der „love forever“ schwärmt. Die Frauen vom Tisch an der Bar haben längst aufgemerkt, hören staunend zu. Begreifen, dass sie was Besonderes geboten bekommen.

Ziel: Musiktheater nach draußen in Bars und Kneipen Mannheims zu bringen

Die Sopranistin legt Volumen nach, immer klangvoll und intonationssicher, artikuliert konzentriert und deutlich. Faucht ihren imaginären Telefonpartner an. „Zu anstrengend für dich? Weißt du was? Fuck you…“. Der Shot ist vorbei, der Beifall herzlich. Schäfer und Riedmüller verteilen Postkarten, auf denen das Projekt erklärt wird, beantworten Fragen.

Katharina Hermanns atmet durch, der erste Abend ist gut gelaufen. „In der Öffentlichkeit zu singen ist nicht einfach. Da geht man gegen ungewohnte Widerstände an“, sagt sie. Ob das Publikum wiederkommt, gar in eine Spielstätte des Nationaltheaters? „Unser Ziel ist es das Musiktheater nach draußen in die Bars und Kneipen Mannheims zu bringen. Ein paar bleiben bestimmt hängen“, ist sich das Team sicher.

Freier Autor

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke