Mannheim. Die 1,5 Grad schaffen wir nicht. Wie verzweifelt sind Sie?
Johan Holten: Die Verzweiflung, dass wir uns in einer großen Umwälzung befinden, ist nichts, was mich vordergründig als Kurator beschäftigt, eher als Bürger dieses Planeten. Und da ist es bitter zu sehen, welche Katastrophe auf uns zukommt.
Es soll in „1,5 Grad“ um die Verflechtung von Mensch, Natur und Technik gehen – wollen Sie nur zeigen oder auch etwas bewirken.
Holten: Die Frage stellt sich bei gesellschaftspolitischen Themen, wie ich sie setze, oft. Der Wunsch ist da, etwas zu zeigen und durch das Zeigen auf andere Weise, als es die Wissenschaft, Umweltverbände und Meinungsmacher tun, etwas zu bewirken. Unsere Reflexionen als Museum wirken eher langfristig. Ich glaube nicht, dass wir die Ausstellung zeigen, und am nächsten Tag stehen die Leute auf dem Friedrichsplatz, demonstrieren und lassen ihren Porsche Cayenne in der Garage. Diese Illusion habe ich nicht. Wir zeigen die Werke aber auch nicht auf eine engstirnige Weise und stellen verbrannte Kohle neben sterbende Korallenriffe und den Aktivismus dagegen. Aber gerade die Kunst kann zeigen, wie sich das Verhältnis des Menschen zur Natur gewandelt hat und dass es uns alle angeht. Und es gibt ja auch die Ansicht, dass technische Lösungen alles vielleicht doch noch irgendwie retten könnten. Und damit beschäftigen sich Künstler.
Holten und „1,5 Grad“
- Der Direktor: Johan Holten, 1976 in Kopenhagen geboren, war Tänzer, Bühnenbildner und Künstler, ehe er Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften in Berlin studierte. 2006 wurde der damals 30-Jährige Direktor des Kunstvereins Heidelberg und dieser mit ihm 2009 der „beste Kunstverein Deutschlands“. Holten wechselte 2011 zur Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden und 2019 als Direktor an die Kunsthalle Mannheim.
- 1,5 Grad: Die Schau, im Untertitel „Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik“, läuft von 7.4. bis 8.10. Kuratiert hat Holten sie mit Anja Heitzer, Sebastian Schneider und Pia Goebel.
Hat sich Ihr Blick darauf verändert, ob Sie mit einer Kunstausstellung die Welt ändern können oder nicht, ist er heute realistischer?
Holten: Wir werden alle älter. Als ich noch beim Heidelberger Kunstverein war, dachte ich wahrscheinlich mehr, dass ich die Welt gleich morgen ändern könnte. Ich habe heute eine realistischere und hoffentlich auch klügere Haltung. Es ist nicht so, dass ich es mir nicht wünschen würde. Aber ich sehe es nüchterner, was wir bewirken können.
Und was ist das?
Holten: Wir müssen bewegen und Spannung erzeugen, wir müssen die Leute emotional mitreißen. Es hilft nichts zu behaupten: Ich weiß es besser. Ich glaube, mit Begeisterung können wir mehr erreichen.
Sie haben den Aktivismus schon angesprochen. Wird die Kunst da eigentlich missbraucht oder anders gefragt: Darf Kunst, darf eine Ausstellung aktivistisch sein?
Holten: Ein Teil der Schau heißt „Aktivismus“. Wir haben lange diskutiert, ob das der richtige Begriff ist, weil das nicht klassischer Aktivismus mit hochgehaltenen Schildern oder so ist. Aber Künstler nutzen den Begriff auch selbst, er ist Teil ihrer Haltung, und dann finde ich, kann man das machen – etwa bei Emerson Pontes, der im Amazonas gelebt hat und in Schulen gegangen ist, um dort Umweltbewusstsein zu wecken. Er ist aktivistisch unterwegs.
Und da können Sie den Aktivismus in der Kunst gewissermaßen auch funktionalisieren?
Holten: In dieser Abteilung. Es gibt aber auch eine, in der es um Ressourcen geht. Da ist der Zugang ganz anders. Das ist eine Bildergalerie, in der etwa riesige Strohbilder von Olaf Holzapfel der Arte povera von Jannis Kounellis mit Kohle gegenüberhängen. Da wechseln wir die Perspektive hin zu ästhetischen Reflexionen über diese Materialien, die so wichtig sind. Wir nennen das Fragmente, und jedes Fragment hat einen Look. Im Obergeschoss haben wir auch Anselm Kiefer und Eva Gentner hängen, da geht es um Kosmos und die Tiefen des Meeres, um Natur, die am weitesten von uns entfernt ist. Das finde ich wahnsinnig berührend.
Weiß Anselm Kiefer, dass er Teil der „1,5 Grad“ -Schau ist?
Holten: Ja, wir haben ihn und den Sammler informiert. Und das passt ja auch mit der kosmischen Thematik sehr gut. Kiefer stellt ja den Menschen in Bezug zum großen Ganzen, zum Kosmos. Aber da es sich um Dauerleihgaben handelt, können wir selbst den Kontext bestimmen, in dem wir die Werke zeigen. Das ist unsere kuratorische Freiheit.
Gerade aus der kosmischen Perspektive könnte man nun auch sagen: Diese Probleme dort auf der Erde sind nur Peanuts!
Holten: Absolut. Aber das ist das Schöne: Wir lassen verschiedene Perspektiven zu. So hat Eva Gentner sich damit beschäftigt, dass es künftig neue Sternbilder geben wird, die sich ergeben, weil der Mensch so viele Satelliten ins All schießt, die irgendwann die echten Sternbilder überdecken werden. Das ist ein offenbar reales Szenarium. Die neuen Sternbilder heißen dann etwa „KI“ und „Robot“. Das ist eine sehr schöne, kritische, aber auch etwas humoristische Perspektive.
Die Schau will auch einen Blick auf das Hoffnung spendende Potenzial von Kreativität und Innovation werfen. Wo sehen Sie Hoffnung angesichts der Tatsache, dass wir Emissionen reduzieren müssten, aber das Gegenteil tun?
Holten: Also vor 15 Jahren hätte man zu „1,5 Grad“ sicher gesagt: Das ist sehr speziell. Das ist jetzt anders. Daran sehe ich, dass das Thema mitten in der Gesellschaft angekommen ist. Es steht einfach auf der Tagesordnung, wir diskutieren – selbst in sehr konservativen Kreisen – täglich darüber. Wir sind zumindest in den europäischen Demokratien auf dem Weg. Noch nicht da, das leugne ich nicht. Aber das gibt mir Hoffnung. Im Fragment Labor beschäftigen sich Künstler mit solchen Fragestellungen. So Tomas Kleiner, ein junger Künstler. Der hat ein ganzes Atelier eingerichtet mit utopischen fliegenden Pflanzen. Er sagt: Wenn wir fliegen, dann sollten auch andere Spezies versuchen, das zu tun.
Klingt verrückt.
Holten: Ja, das ist eine versponnene Art, darüber nachzudenken, welche technischen Errungenschaften wir künftig benötigen werden. Also die Künstler werden nicht die rettenden Innovationen erfinden. Aber vielleicht erfinden sie den Geist dafür, dass andere es tun.
Den Geist, sich an die eigene Nase zu fassen, gibt es schon. Wie sind Sie heute ins Büro gekommen?
Holten: 2. Klasse, S-Bahn Rhein-Neckar. Ich sage immer: Ich bin die Mobilitätswende. Ich habe mein Auto vor zehn Jahren verkauft und nutze, wenn es nötig ist, Car-Sharing. Also das tue ich intuitiv privat. Erst jetzt, wo wir uns als Haus mit Emissionen beschäftigen, sehe ich, dass ich noch weitere Schritte gehen muss.
Ab 2025 müssen alle Emissions- berichte nach Brüssel senden. Wie steht die Kunsthalle da?
Holten: Wir sind weit voraus, weil wir 2011 mit der Sanierung des Billing-Baus schon darüber nachgedacht haben. Auch der Neubau ist wie ein Passivhaus. Also die low hanging fruits sind bei uns durch: Wir beziehen Öko-Strom, wir haben LEDs und Fernwärme. Wir wollen aber noch besser werden. Nur: Die Standards, wie man vieles berechnet, etwa wem die Emissionen bei der Besucheranfahrt zugerechnet werden, die gibt es noch nicht. Dasselbe bei den Kunsttransporten. Ich will auch nicht „1,5 Grad“ radikal unter die Lupe nehmen und dann sagen: Jetzt ist es mir egal. Ich will nicht Show und Marketing. Mir ist es wirklich ernst.
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