Fragen der Sprache, vor allem Anglizismen und „geschlechtergerechte“ Wortformen, beschäftigen viele. Manche regen sich auch sehr darüber auf. IDS-Direktor Henning Lobin spricht im Interview über die wissenschaftlichen Hintergründe und sein neues Buch „Sprachkampf“.
Herr Lobin, Sprache ist Allgemeingut, sie gehört uns allen. Erregen sich deshalb so viele und so stark über Fragen der Rechtschreibung, fremdsprachige Einflüsse aufs Deutsche oder über das Gendern?
Henning Lobin: Sprache ist zugleich ein öffentliches Thema und ein privates. Wir alle wissen, wie wichtig unsere Sprache für die Gemeinschaft ist - kulturell, in der Bildung, für Integration. Aber wir alle haben auch ein ganz intimes, persönliches Verhältnis zur Sprache. Beides führt zu einer ganz besonderen „Aufladung“ dieses Themas in der öffentlichen Debatte.
Sprache ist ja grundsätzlich auch ein Spiegel der Zeit und Gesellschaft, in der sie gesprochen wird. Bildet sie, wenn sie Bedarf an geschlechtergerechten Anpassungen aufweisen sollte, eine ungerechte Gesellschaft ab?
Lobin: Ganz so direkt würde ich den Zusammenhang nicht sehen. In der deutschen Sprache sind vor allem gesellschaftliche Verhältnisse der Vergangenheit sprachlich kodiert. Das so intensiv diskutierte generische Maskulinum war früher beispielsweise gar keins, weil es in entsprechenden Texten tatsächlich nur um Männer ging. Heute spiegelt das Anliegen einer sprachlichen Berücksichtigung von unterschiedlichen Menschengruppen vor allem ein gewandeltes gesellschaftliches Selbstverständnis wider.
Noch dazu: Einige Experten lehnen entsprechende Regelungen ab und sagen, man müsse der Grammatik ihr Recht lassen; grammatisches Geschlecht sei nicht dasselbe wie biologisches; generische, maskuline Formen meinten ja alle…
Lobin: Es gab und gibt immer beides: gesteuerten und ungesteuerten Sprachwandel. Luther und Goethe beispielsweise hatten einen direkten Einfluss auf die Entwicklung der deutschen Sprache, in anderen Bereichen, etwa bei der lautlichen Entwicklung, verläuft sie tatsächlich eher evolutionär. Im gesteuerten Sprachwandel spielen dabei immer Interessen eine Rolle, etwa nach breiterer Verständlichkeit, Normierung oder Ausbau der Sprache. Das ist heute nicht anders. Mit dem Thema gendergerechte Sprache werden auch gesellschaftliche Vorstellungen markiert, die momentan generell kontrovers diskutiert werden. In diesem Zusammenhang kann dann der Genderstern zu einer Art Feldzeichen für die Unterstützer der einen Seite werden.
In Ihrem Buch „Sprachkampf“ schreiben Sie über die politische Instrumentalisierung der Sprache. So etwas gab es früher auch schon. Was ist heute das Besondere?
Lobin: Ganz konkret: dass sie parlamentarisch verankert ist. Sprachpolitik ist für die AfD ein wichtiges Instrument, um ihre Vorstellungen einer nationalen Identität zu transportieren. Dies hat es in der Geschichte der Bundesrepublik bislang noch nicht gegeben.
Wie lässt sich solch einer Instrumentalisierung entgegenwirken?
Lobin: Man darf sich zum einen die Themen nicht wegnehmen lassen. Eine sachliche, auch harte Debatte zum Thema Gendern ist wichtig, aber eben nicht aufgeladen mit politischen Wertvorstellungen. „Deutsch ins Grundgesetz“ ist ein anderes Thema, bei dem es nicht nur Schwarz oder Weiß gibt. Auch hier lassen sich differenzierte Positionen vertreten. Zum anderen richte ich einen Appell an die eigene Zunft: Die Sprachwissenschaft darf sich nicht zu schade sein, eine wissenschaftlich fundierte Sicht der Dinge in der Öffentlichkeit zu vertreten.
Um Missverständnisse auszuschließen: Wenn ich sprachliche Anpassungen wie das Gendern ablehne, muss ich nicht unbedingt politisch rechts stehen. Konservativ im weiteren Sinne bin ich dann aber schon, es geht mir eben um Bewahrung…
Lobin: Ich lehne eine solche Zuordnung generell ab. Es geht ja gerade darum, eine politische Vereinnahmung dieser Themen zu verhindern. Wir müssen verhindern, dass diese sprachlichen Themen nur mit Blick auf politische Positionierungen verhandelt werden. Unsere Sprache ist viel zu wichtig, um in dieses Kräftefeld zu geraten und dort aufgerieben zu werden.
Wie beurteilen Sie politische Initiativen, Genderformen konsequent umzusetzen, in Schulen und in der Verwaltungssprache - oder im Gegenteil die Initiative, solche Bestrebungen zu untersagen?
Lobin: Hier gibt es Klärungsbedarf, und ich würde mir für die Zukunft das eine oder andere Grundsatzurteil dazu erhoffen. Behörden und Schulen beispielsweise unterliegen seit 1996 dem amtlichen Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung. Gleichzeitig gibt es auf der Ebene von Kommunen und Ländern Erlasse zur gendergerechten Sprache, die der amtlichen Rechtschreibung teilweise widersprechen.
Muss das Muttersprachler groß interessieren? Im Grunde kann jede und jeder sprechen und schreiben, wie sie und er will - es sei denn, sie unterrichten oder arbeiten in einer Behörde oder sollen sich einer Art Hausschreibung, etwa an Universitäten, fügen…
Lobin: Genau so ist es. Die Regelungen beziehen sich nicht auf den Sprachgebrauch außerhalb von Behörden oder Schulen. Aber auch hier gibt es Klärungsbedarf: Unternehmen und Verlage legen eine bestimmte Sprachform fest für die Tätigkeit ihrer Mitarbeiter, und die Frage ist, wie weitreichend das sein darf. Auch an den Universitäten ist das für die Studierenden nicht abschließend geklärt.
Experte für die deutsche Sprache: Henning Lobin
- Henning Lobin (56) lehrte als Professor für Angewandte Sprachwissenschaft und Computerlinguistik in Gießen. 2018 wechselte er als Wissenschaftlicher Direktor ans Leibnitz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim.
- Über Sprachfragen schreibt er auch im Wissenschaftsblog „Die Engelbart-Galaxis“. Serin neues Buch: „Sprachkampf. Wie die Neue Rechte die deutsche Sprache instrumentalisiert“ (Dudenverlag, 186 S., 15 Euro).
Im Buch betonen Sie, Sie hätten es in der Freizeit, also nicht in Ihrer Eigenschaft als Direktor des Leibnitz-Instituts für Deutsche Sprache geschrieben - warum?
Lobin: Ich möchte nicht, dass das Buch als eine Art offizielle Position des IDS verstanden wird. Es ist nicht aus Forschungsprojekten des IDS hervorgegangen, sondern spiegelt in Teilen auch meine eigene Sicht als Staatsbürger wider und nimmt Wertungen vor. Unsere offiziellen Publikationen hingegen unterliegen dem Grundsatz, dass eine Institution keine politische Meinung vertreten kann.
Sie müssen sich als Mitglied des Rats für Rechtschreibung ebenfalls mit dem Gendern befassen. Haben Sie für sich denn schon einen Standpunkt gefunden, wie der Rat befinden sollte?
Lobin: Ja, ich bin der Auffassung, dass der Genderstern nicht zum Kernbereich der deutschen Orthografie gehört, und nur dieser Kernbereich durch den Rechtschreibrat geregelt werden sollte. Zugleich sollte aber deutlich gemacht werden, dass nicht alles, was nicht zu diesem Kernbereich gehört, nur Rechtschreibfehler sind. Die meisten Zeichen, die Sie auf Ihrer Computertastatur sehen, werden nicht vom amtlichen Regelwerk erfasst, trotzdem werden sie nach bestimmten Regeln verwendet. Die Zeichen haben eine Bedeutung, die über das Sprachliche hinausweist, etwa das Prozentzeichen oder das Doppelkreuz („Hashtag“). Die Zeichen im Kernbereich jedoch - Punkt, Komma, Doppelpunkt usw. - haben ausschließlich eine sprachinterne Funktion. Wer also den Genderstern verwenden möchte, sollte nicht die amtlichen Rechtschreibregeln konsultieren müssen, sondern sich an Praxisratgebern, die von Institutionen oder Verlagen herausgegeben werden, orientieren.
Mit Gelassenheit kommt man oft weiter im Leben, gilt das auch für Diskussionen um Fragen der Sprache? Anders gesagt: Wozu möchten Sie mit Ihrem Buch beitragen??
Lobin: Ich möchte mit dem Buch die Kräfte darstellen, durch die diese Kontroversen um die deutsche Sprache ins Politische gezogen werden. Wenn man die kennt, kann man sich dagegen wappnen. Und wappnen sollten wir uns, denn solche Sprachkämpfe können kaum gewonnen werden. Deshalb: Ja, etwas mehr Gelassenheit wäre ein guter Anfang. Wir werden die Vielfalt aushalten müssen.
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