Kongress - Jahrestagung des Mannheimer Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache über „Sprache in Politik und Gesellschaft“

Sich zu empören setzt die Bereitschaft dazu voraus

Von 
Thomas Groß
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Zufrieden mit der Jahrestagung: IDS-Direktor Henning Lobin. © Klein/IDS

Im politischen Kontext können Vergleiche herabsetzen und entwürdigen. Diese Feststellung stand am Beginn des Vortrags, den der Bielefelder Historiker Willibald Steinmetz zur Jahrestagung des Mannheimer Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache (IDS) beitrug. Dem Kongressthema „Sprache in Kultur und Gesellschaft“ fügte Steinmetz eine Betrachtung mit Bezug zur politischen Korrektheit bei.

Dieser wird zuweilen vorgeworfen, sie schränke die Meinungsfreiheit ein, spreche gar Denkverbote aus. In Steinmetz’ Perspektive ging es eher darum, dass solche Auffassungen als Alibi genutzt werden, um zu provozieren. „Empörende Vergleiche im politischen Raum“, so der Titel des Vortrags, hätten die Funktion, Standpunkte oder Personen zu diffamieren, auf sich selbst die Aufmerksamkeit zu lenken und durch die Provokation „die Grenzen des Sagbaren auszuweiten“. Das zeigt sich etwa auch, wenn auf Demonstrationen sogenannter Querdenker Bundeskanzlerin Merkel auf Plakaten neben Adolf Hitler gezeigt oder der Schriftzug „Ungeimpft“ auf den gelben „Judenstern“ projiziert wird. Im Hintergrund steht die weithin akzeptierte Auffassung, dass die Verbrechen der nationalsozialistischen Herrschaft schlicht beispiellos und unvergleichbar seien.

Doch entsprechende Provokationen kommen nicht nur von rechts. So schrieb die amerikanische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, die Trump-Regierung errichte an der Grenze zu Mexiko „Konzentrationslager“. Die Tierschutzorganisation Peta kritisierte die Massentierhaltung auf Plakaten mit dem Satz „Der Holocaust auf Ihrem Teller“. Und die Gesellschaft für bedrohte Völker sprach im Zusammenhang mit dem Biafra-Krieg von „Juden Afrikas“. Für Online-Dispute hat der US-Autor Mike Godwin konstatiert: Je länger eine Diskussion dauert, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nazi- und Holocaust-Vergleich angestellt wird. Aber klar ist auch, Empörung setzt die Bereitschaft voraus, sich provozieren zu lassen. Und historisch betrachtet, verändern sich die Maßstäbe. Tatsächlich können provokante Thesen auch sachliche Auseinandersetzungen befördern, wie der „Historikerstreit“ über die Relation der Naziverbrechen zu denjenigen Stalins und Maos zeigen mag.

Streit-Schlichtung mit Lücken

Andere Vorträge des digital veranstalteten Kongresses widmeten sich nicht zuletzt methodischen Fragen der Forschung. Im Schlussreferat nahmen Arnulf Deppermann und Henrike Helmer vom IDS einen Prozess in den Blick, der eine aufgeheizte öffentliche Diskussion versachlichen sollte – die von Heiner Geißler moderierte Schlichtung zum Großprojekt Stuttgart 21. Die Absicht war, einen ehrlichen und fairen Umgang zwischen den Kontrahenten zu befördern. Politische Diskussionen um die Bewertung der vom Projekt betroffenen Interessen blieben aber außen vor – und damit letztlich das, worum es beim Streit ging.

IDS-Direktor Henning Lobin bilanzierte die Tagung am Donnerstag positiv. Die digitale Form habe sich bewährt und viel Resonanz gefunden. Und es sei bestätigt worden, dass sich auch linguistische Forschung auf die Gesellschaft beziehen müsse. Nächstes Jahr hofft das Institut, wie gewohnt eine Präsenzveranstaltung im Rosengarten organisieren zu können. Der Kongress soll sich dann Methodenfragen der Forschung widmen, am Beispiel der großen elektronischen Text- und Datensammlungen, die sich zur gängigen Arbeitsgrundlage der Linguistik entwickelt haben.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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