Ausstellung

Kunsthalle Mannheim zeigt Werke von CoBrA-Avantgardisten

Mit „Becoming CoBrA“ legt die Mannheimer Kunsthalle eine verschüttete Epoche der Kunstgeschichte frei. Die Ausstellung ist ungewöhnlich und überwältigend

Von 
Christel Heybrock
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Skulpturen von Asgar Jorn, entstanden 1944. In der Ausstellung sind auch viele Werke unbekannter Künstler zu sehen. © Manfred Rinderspacher

Mannheim. Es ist überwältigend, ungewöhnlich. Orangefarbene Wände, Bilder mal nicht auf gleiche Kantenhöhe gehängt, drei große Säle, Nebenkabinette, das scheint kein Ende zu nehmen. Und im Kopf nach dem Besuch dieser Ausstellung findet es auch keins. CoBrA: Copenhagen, Brüssel, Amsterdam - Heimatorte der zusammenfindenden Künstler. Gegründet 1948, hat die Gruppe nur drei Jahre existiert, 1951 war der kollektive Schwung schon wieder vorbei, die Künstler arbeiteten allein weiter, beeinflussten die Nachkriegsszene, entwickelten Neues. Ihre Bilder sind nach wie vor präsent, haben ihre Power behalten. Aber: Was hatte sie eigentlich zusammen gebracht seit 1934? Diese Frage hat sich noch niemand gestellt. Fast zwei Jahrzehnte Kunstgeschichte blieben bis heute ein von dichtem Nebel umhüllter Fleck.

Erschöpfende Detailarbeit führt zu der Idee

Mathias Listl sei Dank, und Mannheims einstiger Kunsthallendirektorin Ulrike Lorenz ebenso, die nämlich ließ den jungen Kurator die Provenienzen der Kunsthallenbestände erforschen, um sicherzustellen, dass keine von Nazis geraubten Werke dazu gehörten. Die erschöpfende Detailarbeit scheint Listl immer wieder in Kontakt mit Malern und Bildhauern gebracht zu haben, die unter Kriegsunruhen und Naziterror aus der Öffentlichkeit verschwanden oder gar nicht erst auftauchten.

Die Ausstellung

  • Die Schau zeigt in drei Sälen Werke von 30 Künstlern, die seit 1934 aufgrund einer gemeinsamen Haltung zusammenfanden und sich 1948 zur Gruppe CoBrA vereinten. Neben bekannten Namen finden sich in der Schau auch zahlreiche unbekannte Künstler.
  • Besonderes Augenmerk legten die drei Kuratoren Mathias ListlInge Herold und Christina Bergemann auf die Rolle von Frauen. Das ungewöhnlich gestaltete Katalogbuch (Deutscher Kunstverlag, 29.50 Euro) widmet ihnen ein ganzes Kapitel.
  • „Becoming CoBrA. Anfänge einer europäischen Kunstbewegung“ in der Kunsthalle Mannheim; Eröffnung am Freitag, 18. November, 19 Uhr; zu sehen bis 5. März 2023, täglich (außer montags) 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, am ersten Mittwoch im Monat bis 22 Uhr. Der Eintritt kostet 12 Euro. hey

Was Listl entdeckte, der seit März am Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt arbeitet, war und ist eine unbekannte europäische Epoche, ganz abgesehen von der bewundernswerten Resilienz der Künstler (vor allem auch der bisher gänzlich übersehenen Frauen), deren Kreativität allen Gefahren trotzte. Was Listl nebst Gemäldekuratorin Inge Herold und Kuratorin Christina Bergemann in dieser Schau auf die Beine brachte, ist ein bis in feinste Verästelungen erforschtes Abenteuer, seriös und fantasievoll präsentiert von der Hängung bis zum schön gestalteten Katalogbuch.

Inspiriert von archaischen Mythen

Verborgen vor Kriegs- und Naziterror blühte eine Haltung auf, die von Energie, Farbe, Schönheit und dem Drang in die Tiefe getrieben wurde - nach den Ursprüngen von Kunst überhaupt. Inspiriert von archaischen Mythen, Kinderzeichnungen, Träumen und subrationalen Bewusstseinsebenen, entstanden Bilder aus unorthodoxen Materialien, Skulpturen, Filme, Zeitschriften, Manifeste … es ist eine Lust, durch die Säle zu wandern. Man sollte die drei Kuratoren bewundern wegen ihres dennoch die Oberhand behaltenden Ordnungssinns: Jeder Kurator widmet sich einer der drei urbanen Zentren, jeder Saal ebenso.

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Was hat dieser latent gegen die Zeitläufte brodelnde Strom nicht alles weitergetragen - Surrealismus bis hin zu Pop, wenn man an die witzigen, aus Fundstücken montierten Skulpturen denkt. Von Expressionismus bis hin zu Informel (Corneille und Karl Otto Götz sind die einzigen CoBrAisten, von denen die Kunsthalle eigene Werke besitzt). Und erst die verbalen poetischen Äußerungen: „Ein Bild ist keine Konstruktion aus Farben und Linien, sondern ein Tier, eine Nacht, ein Schrei …“, schrieb Constant 1950. Da ist die Rede von der „Erde der Bilder“ gegen abgehobene Ästhetik oder, integriert in ein Blatt von Asger Jorn: „une main qui n’existe pas rencontre la nuit …“ ( eine Hand, die es nicht gibt, trifft die Nacht) - Christian Dotremont war nicht nur selber Maler, sondern auch Lyriker.

Die meisten Künstler waren Mehrfachtalente

Aus einer gemeinsamen Haltung entstanden Bilder wie der „Vogel“ von Jan Nieuwenhuys (1948) oder „Frau und Vogel“ von Zoltan Keménys Ehefrau Madeleine Szemere (1946): Die Materialbehandlung mit rohen Hieben oder in Farbe eingebetteten feinen Stacheln nimmt Gattungsverschiebungen vorweg, die erst zehn Jahre später zum Durchbruch kamen. Verblüffende Assoziationen öffnen heute noch neue Verständniszugänge: „Hommage à Giacometti“ nannte Serge Vandercam 1948 das Foto einer Gruppe von Grashalmen. Eugène Brands verwandelte sich 1947 mit einer bizarren Kopfmaske in ein mythisches Geschöpf. Der Niederländer Constant war nicht nur Maler, sondern auch Keramiker (Serie von mit Untieren bemalter Teller in der Schau) und revolutionärer Stadtplaner - die meisten Künstler waren Mehrfachtalente, Pioniere von Kunstströmungen der Sechzigerjahre.

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Selbstvertrauen für die Gegenwart

Und dann die Frauen - wie konnte man die übersehen? Was für eine Dynamik in einer kleinen Terrakottafigur von Lotti van der Gaag! Von Pierre Alechinsky, dem heute einzigen noch lebenden CoBrA-Vertreter, stammt nicht nur eine subtile Serie kleiner Radierungen, sondern auch ein großes Ölbild aus der Mannheimer Sammlung von Manfred Fuchs, der als Maler wohl selbst Anregungen von CoBrA erhalten hat.

Anderthalb Jahrzehnte Naziterror, Krieg und Zusammenbruch konnten diese Leute nicht stoppen. Aus ihrer kreativen Energie lässt sich Selbstvertrauen noch für die Gegenwart schöpfen - und aus dem Besuch der Schau gewiss auch. Nur etwas mehr Zeit als gewöhnlich sollte man mitbringen - für das Kribbeln im Kopf, das Nachdenken, das Hinsehen, Weitersehen, Zurückkehren.

Freie Autorin MM Kulturredaktion 1974-2001, Fachgebiet Bildende Kunst

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