Ausstellung

Kunsthalle Frankfurt: Malerin Carol Rama mit Mut zum Experimentieren

Die Shirn Kunsthalle Frankfurt zeigt Bilder der in italienischen Malerin Carol Rama (1918-2015). Zu sehen sind Aquarell, Porträts und abstrakte Malerei - zum Teil provokante Kunstwerke, in denen viel Biografisches steckt.

Von 
Christian Huther
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Die Schirn Kunsthalle Frankfurt stellt Bilder der italienischen Künstlerin Carol Rama aus. © Schirn Kunsthalle Frankfurt/Norbert Miguletz

Frankfurt. Ups, doch in der falschen Ausstellung gelandet? Auf den ersten Blick wähnt man sich in einer Gruppenausstellung, nicht in der Retrospektive einer einzigen Künstlerin. Doch der Eindruck von sehr unterschiedlichen Werken legt sich beim Rundgang, meint Kuratorin Martina Weinhart, da bestimmte Motive, Materialien und Techniken wieder auftauchen. Aber alle zehn Jahre erfand sich Carol Rama (1918-2015) durch Experimente völlig neu. So kam in einem Schaffensraum von 70 Jahren etliches zusammen, von erotischen Aquarellen über naive Porträts und abstrakte Bilder bis zu zahllosen Materialexperimenten - all das kulminierte in den 80ern mit der Rückkehr zur Figur.

Von diesem steten Wechsel gibt der erste Saal in der Frankfurter Schirn Kunsthalle einen guten Eindruck mit einem Querschnitt durch alle Phasen, mit Bildern in flammendem Rot. Bis heute ist die Künstlerin mehr in ihrer italienischen Heimat bekannt. Auch in Deutschland ist sie nur wenigen geläufig, obwohl sie 2003 auf der Biennale in Venedig den „Goldenen Löwen“ für ihr Lebenswerk erhielt.

Diese späte Ehrung mit 85 Jahren erboste Carol Rama, denn als Frau in einer von Männern dominierten Kunstwelt hatte sie es nicht leicht. Da ihr Werk oft wechselte, war sie auch für den Kunstmarkt nicht lukrativ. Freilich war Rama gut vernetzt in der Szene, sie kannte auch Man Ray. So halfen ihr Ankäufe von Freunden,sich über Wasser zu halten. Seit 1943 lebte sie bescheiden in einer Dachgeschosswohnung, die Vorhänge stets geschlossen.

Kunst und Biografie


  • „Alles und nichts ist autobiografisch“, meinte Carol Rama im Rückblick.
  • Ihre erotischen Bilder von Frauen aus den 1930er- und 40er-Jahren waren eine direkte Antwort auf Ereignisse in ihrem Leben. Aber die Bilder wurden lange totgeschwiegen.
  • Carol Rama konnte sich gut in Szene setzen nund erregte damit oft mehr Aufmerksamkeit als ihr Werk.
  • Schirn Kunsthalle, Frankfurt, bis 2. Februar. Di und Fr-So 10-19, Mi/Do 10-22 Uhr. Eintritt: 12 Euro, Katalog: 32 Euro.

 

Jetzt versammelt die Schirn rund 120 Arbeiten aus allen Schaffensphasen zur ersten umfangreichen Überblicksschau in Deutschland - die Künstlerin wird total unterschätzt. Sie selbst erklärte ihr Werk immer nur aus der eigenen Biografie. Die jüngste Tochter einer Fabrikantenfamilie hatte es gut, bis sie acht Jahre alt und die Firma pleite war. Klavierstunden gab es nicht mehr, dafür aber viel Spott von den Mitschülern.

Rama zeigt trotz Amputationen die geistigen Freiheiten der Frauen

Als die Mutter 1933 für eine Weile in die Psychiatrie musste, war Carol erst 15 - und verarbeitete diese Eindrücke ab 1936, als 18-Jährige, in drastischen Aquarellen von Frauen und Männern. Vordergründig geht es zwar um Erotik oder Sex, aber einige Frauen haben keine Beine oder Füße, sind ans Bett gekettet oder auf den Rollstuhl angewiesen. Doch Rama zeigt die geistigen Freiheiten dieser Frauen, die ohne Scham ihr Geschlecht zeigen oder ihren Kot direkt vor den Betrachter setzen.

Oft strecken die Akte frech die Zunge heraus und tragen einen Haarkranz wie die Mänaden, die Begleiterinnen des Dionysos, dem Gott des Weines, der Ekstase und des Wahnsinns. In dieser Serie, die bis 1946 anhielt, gibt es verletzte Beine, Phallus-Symbole und Prothesen, Gebisse und Schuhspanner - echte Körperteile eben und Hilfsmittel aller Art. Die junge Künstlerin lotete die Grenzen und Tabus der Gesellschaft aus, als Autodidaktin, die sich alles selbst aneignete. Und Turin, ihre Heimatstadt, war damals wie ganz Italien, streng katholisch - so intervenierte der Vatikan in Rom, als Rama 1945 ihre Aquarelle in Turin zeigen wollte. Die Schau wurde noch vor der Eröffnung geschlossen; erst 1979 waren die Bilder öffentlich zu sehen.

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Fast zeitgleich zu den ersten Aquarellen entstanden die „Anti-Porträts“, wie Weinhart die flächigen Gemälde nennt, die mit wenigen Strichen das Gesicht markieren. Die Menschen erscheinen fast körperlos, „eine Ansammlung farbiger Flecken“(Weinhart). Doch Rama ging noch weiter und malte Porträts, die nur ein hautfarbenes Oval als Gesicht haben - das Gesicht löst sich auf. In den Aquarellen zeigt Carol Rama schonungslos alles, in den Porträts löscht sie alles aus. Radikaler geht es nicht.

Kein Wunder, dass sie ab 1953 die Abstraktion erprobte, mit Formen und Farben spielte. Ab den 60ern erweiterte sie die zweidimensionalen Bilder mit Puppenaugen, Draht, Spritzen und Tierkrallen. „Bricolagen“ heißt diese Serie, da Rama nur zu dem griff, was sie gerade zur Verfügung hatte. Dabei bezog sie sich auf den Surrealismus. Aber die Augen auf den Bildern wirken so, als würden sie die Betrachter anschauen. Später klebte Rama die Schläuche von Fahrrädern und Autos zu quadratischen Bildern - wieder ein Verweis auf die Biografie, handelte doch ihr Vater mit derlei Produkten.

In den 80ern folgte die Rückkehr zur Figur, aber auf Stadtpläne gemalt, um Abstand zur eigenen Geschichte zu wahren. So ist in der Schirn eine feministische Künstlerin zu entdecken, die nicht den Vergleich zu scheuen braucht mit Größen wie Louise Bourgeois, Niki de Saint Phalle oder Maria Lassnig.

Freier Autor Als freier Kulturjournalist im Großraum Frankfurt unterwegs; Schwerpunkte sind bildende Kunst und Architektur. Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie.

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