Worms. Herr Hofmann, Sie haben gesagt, es ginge Ihnen nicht um die schöne Hülle, jetzt mal divers sein zu wollen. Nun macht das Theater in Deutschland seit Jahren auch Diversity-Theater. Warum jetzt oder erst jetzt auch in Worms?
Nico Hofmann: Die Filmbranche bemüht sich ja schon seit Jahren. Thomas Laue und ich könnten Ihnen eine ganze Reihe von Produktionen aus Film und Theater nennen, wo wir das Thema der Diversität als reine Dekoration empfinden. Und hier geht es jetzt aber um die Nibelungen in Worms, die seit Jahrzehnten durchaus auch mit Klischees arbeiten. Wir versuchen, das Thema der Diversität anders zu bewegen. Die Entscheidung für Pınar Karabulut und Maria Milisavljevic war eine künstlerische Grundentscheidung.
Sie sagten auch: Zum Glück sind die Festspiele nicht mehr so wie vor 20 Jahren mit dem halb nackten Indianer. Was werden die Leute in 20 Jahren über Ihre Festspiele sagen? Um Gottes Willen, was taten die?
Hofmann: Das Zitat vom „halb nackten Indianer“ stammt vom damaligen Regisseur, nicht von mir. Gesellschaften verändern sich sehr komplex. Jede Zeit hat ihre Agenda, ihre eigene Geschichte. Die Vergangenheit war von Dieter Wedel geprägt, ja. Aber was wird man über uns sagen?
Wir urteilen immer aus heutiger Perspektive über Vergangenheit …
Hofmann: Mir geht es um eine ehrliche Standortbestimmung, was man gesellschaftlich will. Was Pınar macht, heißt eine ehrliche Debatte im Ensemble zu führen.
Die Vergangenheit war von Dieter Wedel geprägt, ja. Aber was wird man über uns sagen?
Herr Laue, Sie sagen, es sei ein wütendes Aufbegehren dagegen, dass andere darüber entscheiden, wer wir zu sein haben. Inwiefern eignen sich „Brynhild“ und die Nibelungen, Diversität zu verhandeln?
Thomas Laue: Wir erzählen eine Geschichte mit Menschen, die so divers sind wie die Gesellschaft, in der wir leben. Schon Diversitätstheater ist die falsche Zuschreibung. Sie zeigt, dass das Theater in unserer Zeit manchmal die Debatte wichtiger nimmt als das Theater selbst. Wir wollen aber vor allem eine große und relevante Geschichte erzählen. In dem Nibelungenstoff geht es ganz oft darum, dass Leute entscheiden, wie sie andere auf eine bestimmte Position zu setzen versuchen, um so über deren Geschichte zu bestimmen. Immer entscheidet irgendjemand darüber, wie sich jemand anderes zu verhalten, was er oder sie zu sein hat. Aber was passiert, wenn mal jemand aufsteht und sagt: Ich möchte es aber anders machen? Was ist, wenn du gar keinen Drachen besiegt hast, sondern die dich nur glauben machen, dass du es getan hast? Welcher Mensch bleibt hinter all den Erzählungen, die andere für dich erfinden, eigentlich übrig? Diese Mechanismen zu durchbrechen, ist nicht einfach.
Herr Hofmann sprach von einem Blick der Frauen auf die Männer. Wie sind denn die Männer?
Laue: Keine Abziehbilder, das wäre langweilig. Sigurd versucht rauszufinden, wer er ist, wenn er all die Dinge beiseite räumt, die man ihm nachsagt. Er muss herausfinden, was wahr ist von dem, was andere für ihn erfunden haben. Dabei schauen die Frauen auf die Männer, die diejenigen sind, die sich alles ausdenken, da muss man sich keine Illusionen machen.
Aber das Stück selbst ist ja ein Stück, das sich Maria Milisavljevic ausgedacht hat, also der Blick einer Frau.
Laue: Ja, aber in Kombination mit dem, was es an Geschichte schon gibt. Auch Maria baut auf etwas auf, was bereits da ist: den Nibelungenmythos. Da stellt man fest: Das ist bisweilen ein recht merkwürdiges, enges Konstrukt. Da ist ein Gott, der bestimmt, wie du etwas machen sollst. Jemand begehrt dagegen auf, wird aber auch wieder von etwas beeinflusst. Und es gibt einen vermeintlichen Helden, bei dem man nie so richtig weiß: Geht es um den Schatz, den Drachen oder um ein Blutbad? Es existieren viele Narrative. Diese aufzubrechen, ist das Neue und Andere, und das tut eben in diesem Fall eine Frau: Brynhild.
„Brynhild“
- Das Stück: „Brynhild“ von Maria Milisavljevic wird von 7.-23. Juli vor dem Dom gespielt.
- Das Team: Pinar Karabulut (Regie), Michela Flück (Bühne), Teresa Vergho (Kostüm), Daniel Murena (Musik), Susanne Steinmassl (Video), Bernd Purkrabek (Licht), Thomas Laue (Dramaturgie).
- Das Ensemble: Lena Urzendowsky (Brynhild), Bless Amada (Odin), Parisa Madani (Frigga), Jens Albinus (Reginn), Bekim Lafiti (Sigurd), Safak Sengül (Helgi), Alexander Angeletta (Isung), Laina Schwarz (Kriemhild), Simon Kirsch (Gunnar), Ruby Commey (Hagen).
Diversität ist ein sozialpsychologischer Begriff, der sich auf Alter, Ethnie, Nationalität, Geschlecht, Körper und Geist bezieht. Wir haben hier Frauen, die Männer spielen, migrantischen Background, eine Drag-Performerin. Und der Rest?
Hofmann: Wir sind vom Stück ausgegangen. Alles Weitere ist in der Vision von Pınar entstanden. Maria hat nicht mit einem Diversitätsauftrag geschrieben. Was sie macht, ist im Grunde eine Demontage von Männer- und Frauenklischees.
Werden auch Frauen hinterfragt?
Laue: Zwangsläufig. Es gibt ja niemanden, der per se gut oder böse ist. Menschen werden dazu, weil sie sich in bestimmten Verhältnissen bewegen. Wenn sie es schaffen, Macht zu erlangen: Wie gehen sie damit um? Es muss alles permanent ausgehandelt werden. Das anhand des Nibelungen-Mythos zu tun, ist interessant.
Und Brynhild, sagt Karabulut, hackt sich in die Geschichte rein?
Laue: Wir werden das beim Proben sehen. Alle haben ein Bild der Geschichte im Kopf, wie sie vermeintlich richtig oder normal erzählt ist. Pınar denkt momentan darüber nach, dass auch die Figuren selbst ein Bewusstsein davon haben könnten, dass sie nur eine Figur mit einer Geschichte sind, die alle schon kennen.
Ähnlich gibt es die Spaltung von Darsteller und Figur auch im epischen Theater von Bertolt Brecht …
Laue: … ja, aber hier ist es so, dass man als Figur versucht, eine Geschichte, deren Ausgang man bereits kennt, doch noch zu verändern. Man kennt sein Ende und kämpft dagegen. Brynhild hat ein Bewusstsein des Endes und vom Drachentöter und allen anderen, sagt aber: Jetzt mal sehen, ob das nicht auch anders geht?
Christopher Nolan macht Filme, in denen Geschichte verändert wird.
Laue: Das Stück und die Inszenierung werden viele filmische Zitate haben, Momente, in denen sich Figuren wie in einem Déjà-vu fragen: Hä, das habe ich doch schon einmal erlebt, warum lande ich jetzt wieder hier?
Zu Worms gehörte immer Glamour. Karabulut sagte, sie habe die begabtesten Schauspielenden zusammengetrommelt. Wahnsinnig bekannt sind sie aber noch nicht …
Hofmann: Das sind die Stars von morgen. Glamour mit vordergründigen Stars interessiert uns hier immer weniger. Wir wollen künstlerische Qualität, die Leistung des Ensembles ins Schaufenster stellen. Abgesehen davon ist jemand wie Lena Urzendowsky im Film eines der angesagtesten Talente. Und das gilt in gewisser Weise fürs ganze Ensemble – in fünf Jahren werden alle ihre Namen kennen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-intandant-nico-hofmann-glamour-interessiert-uns-immer-weniger-_arid,2082318.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/worms.html