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"Brynhild" feiert Premiere auf Wormser Nibelungenfestspielen

Wer Modernität und Mode nicht auseinanderhalten kann oder will, sollte schnell nach Worms. Dort servieren Autorin Maria Milisavljevic und Regisseurin Pinar Karabulut den alten Burgunderquatsch mit reichlich Pop-Soße

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Der Burgunderhof als diverser Diner (v. l.): Simon Kirsch (Gunnar), Laina Schwarz (Kriemhild), Ruby Commey (Hagen), Bless Amad (Odin), Jens Albinus (Reginn). © David Baltzer

Worms. Alte Heldenbilder überwinden, endlich Liebe und Respekt einkehren lassen in eine aggressiv patriarchalische, verkrustete Gesellschaft – das wäre doch mal was! Ein schöner Gedanke, den Autorin Maria Milisavljevic da hatte. Dass er zur Lesart der Nibelungensage nicht taugt, dürfte ihr bei Annahme der Auftragsarbeit klar gewesen sein. Überschreibungen sind notwendig, andere Figuren, andere „mind sets“. Also pflügt man aus den kilometerlangen Bücherregalen zum Nibelungenlied Nordisches, Altnordisches und Burgundisches hervor, benennt Figuren um und setzt sie auf eine lila Bühne und in ein Handlungsgerüst, das doch irgendwie das alte ist – und doch ganz neu. Wer meint, dass das nicht gut gehen kann, wird sich bei dem dreistündigen, lau und kurz beklatschten Spektakel vor dem Wormser Dom bestätigt sehen.

Autorin Maria Milisavljevic und Regisseurin Pinar Karabulut haben die Sage kräftig gegen den Strich gebürstet. © Bernhard Zinke

„Brynhild“ heißt Milisavljevics Uraufführung, die eine feministische Lesart versprach. Dass das geht, bewiesen im Vorjahr an gleicher Stelle Ferdinand Schmalz und Roger Vontobel mit „hildensaga“, denen mit einem guten Stück und handwerklicher Regiekunst ein Coup gelang, der als bisheriger Höhepunkt der Wormser Festivalchronik gelten kann. Nun folgt der Senkrechtsturz zu deren Tiefpunkt. Jung und divers zu sein, reicht offensichtlich nicht.

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Großer Promi-Auflauf bei den Nibelungenfestspiele

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Altes neu erzählt?

Damit lediglich einer Theater-Mode zu folgen, bestritt Intendant Nico Hofmann in Interviews zu seinem Sommer-Event mit traditionell hohem Promi-Aufkommen. Diversität solle keine Modeerscheinung bei den Festspielen sein. Vielmehr wolle man die Gesellschaft abbilden, die heutzutage eben divers sei. Für ihn ergebe sich so die Möglichkeit, „die Nibelungen noch mal völlig neu zu erfinden“. Genau das ist passiert.

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Wormser Nibelungenspiele: Stück „Brynhild“ feiert Premiere

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Titelfigur Brynhild bekommt mit Lena Urzendowsky eine starke (und permanent zu laute) Stimme und ist sonst ein rundum goldiges Mädchen (Kostüme: Teres Vergho), das selbst als unbesiegbare Walküre das Kriegsgeschäft satthat. Sie hat Glück, trifft sie später doch auf Sigurd, der eher eine halbe Portion ist und sich seines wackeren Auftragsheldentums ebenso wenig sicher ist.

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Bekim Latifi ist typungerecht besetzt, eindeutig der facettenreichste und tiefgründigste Schauspieler des wilden Treibens – und eigentlich eher Hamlet, was bei Überdeutlichkeitsregisseurin Pinar Karabulut auch in den Text muss („Sterben – Schlafen?“). Den Auftrag zur Tötung des Drachens Fafnir, den Ralf Moeller im gelungenen Einspielerfilm glaubhaft und menschlich gibt, kommt von Reginn (leider oft chargierend: Jens Albinus). Der uraltnordische Zwerg ist – zur Erklärung für Wagner-Freunde – sozusagen eine Mischung aus Mime und Fasolt und somit Ziehvater des jungen Helden und Drachenbruder in einem.

Brynhild und Bless Amada als Odin © Bernhard Zinke

Wie setzt man sich gegen tradierte Rollenmuster zur Wehr, die man erfüllen soll, aber im Grunde seines Herzens gar nicht erfüllen will? Es ist dies vielleicht die einzig sinnvolle Frage, die der Abend stellt und die bei Brynhild und Sigurd gleichermaßen verhandelt wird. Wirklich etwas zu tun haben die beiden in ihren szenischen Begegnungen auf der (im Übrigen minutenlang leeren) Bühne dennoch nicht. Dekorativ unterfüttert wird das mit cineastisch entliehen Randfiguren, etwa mit Brynhilds göttlichen Erziehungsberechtigten.

Man würzt assoziativ aus dem Kino-Kasten, um den „Spirit“ des Ganzen skulptural freizuschlagen. Also nur her mit den Szenen aus „Das Parfüm“, „Star Wars“, „The Walking Dead“, „Rocky Horror Picture Show“ oder „Adams Family“.

Odin ist mit einem schwarzen Mann (Bless Amada) und Frigga mit der Trans-Performance-Künstlerin Parisa Madani besetzt. Pinar Karabulut tut sich auf der riesigen Spielfläche vor historischer Kulisse nämlich durchweg merklich schwer mit Figurenzeichnung. Ein Schicksal, unter dem später auch die Burgunderdarsteller zu leiden haben werden. Odin und Frigga, also die Walter und Wahrer des Althergebrachten, gegenläufig zu besetzen, mag ein origineller Ansatz sein, wenn auch einer, der nicht aufgeht. Was macht man, wenn Figuren trotz aller in Kostüm und Maske grell aufgeschminkten Heftigkeit nicht so recht zu Charakteren werden wollen?

Die Götter werden obszön

Man würzt assoziativ aus dem Kino-Kasten, um den „Spirit“ des Ganzen skulptural freizuschlagen. Also nur her mit den Szenen aus „Das Parfüm“, „Star Wars“, „The Walking Dead“, „Rocky Horror Picture Show“ oder „Adams Family“. Wo das nicht reicht, wird noch auftoupiert mit Hansrudi Wäschers betonblonden 50er-Jahre Comic-Helden „Sigurd“, der Mondlandung, Gaultier-Modeschau oder „Vogue“-Covern … Sogar die knalligen „tableaux-vivants“ der Oberammergauer Passionsspiele oder das Bühnenbild von Frank Castorfs Bayreuther „Ring des Nibelungen“ sind zu entdecken. Werden die Götter obszön, also nicht bühnenrepräsentabel, gehen sie – zwar nicht mit Johannes Heesters ins „Maxim“, so doch in den American Diner.

Blick in den Diner am Bühnenrand © Bernhard Zinke

Dort wird geraucht, geschleckt, intrigiert und gefeiert, während in des Domes Mitte Videos gezeigt werden. Susanne Steinmassl leistet ganze Arbeit, sind ihre Filmeinspielungen doch ästhetischer Höhepunkt auf der sonst recht faden Bühne von Michaela Flück, die ihr Heil außerhalb der Zitate in Treppen mit Videospielanmutung sucht. Nach der Pause wird mit Einbruch der Dunkelheit nichts besser. Am Wormser Hof ist man noch durchgeknallter als in Walhall oder Isenland. Hier treffen „Schnutziputzis“ auf „Bitches“ und ein kerniges „Fuck you!“ gehört hier zu höfischen Etikette. Hagen von Tronje (Ruby Commey) ist ebenfalls eine schwarze Frau, wenn auch mit wenig Text. Kriemhild (Laina Schwarz) nur ein schriller Vamp. König Gunther ist nur ein Gunnar im Damenkostüm (Simon Kirsch), der den kleinen Isung (Alexander Angeletta) befummelt und auch kulinarisch auf junges Blut aus ist. Zusammen mit Isung (Safak Sengül) wird er zum launigen Duo, dessen Existenz im Stück nicht nur philologisch kurios und dramaturgisch fragwürdig, sondern auch noch unnötig verwirrend ist.

Karten und Termine

  • „Brynhild“ wird bis zum 23. Juli täglich – nur der 17. Juli ist spielfrei – vor dem Wormser Dom gezeigt. Der Einlass beginnt um 20 Uhr, um 20.30 Uhr starten die Aufführungen.
  • Tickets können online unter nibelungenfestspiele.de gebucht werden und kosten je nach Kategorie im Normaltarif zwischen 29 und 139 Euro (plus Gebühr).
  • Telefonisch können Karten unter der Hotline 01805/33 71 71 bestellt werden (14 Cent/Min. aus dem dt. Festnetz, Mobilfunk max. 42 Cent/Min.).

Einkauf im Mythenfigurenladen

Somit sind wir beim nächsten Problem: Nachvollziehbarkeit der Handlung. Im Gemischtwarenladen unzähliger Mythenfiguren wurde kräftig eingekauft, allein, was nützt es dem Betrachter? Wer hier wer ist und warum er, sie, es gerade auf der Bühne steht, bleibt streckenweise ein Mysterium. Aber das ist alles nicht so wichtig, Hauptsache es läuft laut, schrill und andersrum, als wir es kennen. Dazwischen herrscht trotz all des grellen Aktionismus leider oft lahme Langeweile. Die Musik von Daniel Murena, Martin Tagar und Oliver macht mit ihren sedierten Alt-68er-Rhythmen oder gefühligem, aber meist schlecht gesungenem Indie-Pop leider nichts besser, sondern alles nur noch schlimmer. Am Schluss knutschen alle mit allen, herrlich: „Nur die Liebe zählt!“ Für Einsichten dieser Tiefe braucht man kein Theater, da reicht Privatfernsehen.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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