Nationaltheater

In "Kosmos - Schwerelos" wird Mannheims Tanzcompagnie zu funkelnden Sternen

Keine Raumfahrer, aber Weltraumtänzerinnen und Tänzer sind die Mitglieder von Stephan Thoss NTM-Tanzsparte geworden. Beim 90-minütigen Doppelabend ist der Titel "Kosmos - Schwerelos" durchaus ernst zu nehmen...

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Die Vermessung der Welt kann sehr körperlich sein, die Compagnie des Mannheimer Nationaltheaters meistert sie mit zwei Choreographen dennoch tadellos. © Maximilian Borchardt

Mannheim. Aus dem schwarzen Nichts tritt er auf, der schwarze Affe. Zottelig, gesichtslos und vorsichtig tastend wagt er sich nach vorn zur Bühnenmitte. „Der alte Affe Angst“, mit dem Regisseur Oskar Roehler einst filmisch eine zerstörerische Reise antrat, ist es nicht, auch der „Planet der Affen“ ist eher nicht gemeint. Hier im Tanzhaus Käfertal, der derzeit noch einzigen Spielstätte für Stephan Thoss’ Tanzcompagnie, geht es eher um eine unstillbare Sehnsucht zu den Sternen. Und um den irdischen Schöpfungs-, oder besser Entstehungsprozess an sich.

Zu dem Tänzer im struppigen Kostüm (Stephan Thoss und Romy Liebig) gesellen sich weitere Artgenossen hinzu - auch welche in gefälligeren, ja hocheleganten Bliséeröcken, Bustiers und Trikots in Rabenschwarz, die an Haute Couture von Claude Montana und Issey Miyake erinnern. Ihre tentakelnden Arme greifen zu Annie Gosfields Musik weitläufig um sich. Gut getaktet ist dieser Griff nach den Sternen, den Spartenchef und Choreograph des Eröffnungsstückes Thoss zunächst etwas gegenläufig „SCHWERElos“ nennt, immerhin tanzen Steine.

Termine und Karten

  • 90 Minuten inklusive einer Pause dauert der Doppelabend „Kosmos – Schwerelos“ im Tanzhaus Käfertal (Galvanistraße).
  • Es tanzen die Ensemblemitglieder: Emma Kate Tilson, Leonardo Cheng, Joris Bergmans, Silvia Cassata, Arianna Di Franceso, Albert Galindo, Julia Headley, Alexandra Cloe Samion, Luis Tena Torres, Reiko Tan, Lorenzo Terzo, Pascal Michael Schut, Joseph Caldo, und Dora Stepusin.
  • Weitere Vorstellungen am 9., 17., 19., 23. und 26. Februar sowie am 10., 22. und 23. März. Karten gibt es telefonisch unter 0621/16 80 150. rcl

 

Impulse kommen exakt auf dem Schlag, nie aus der Beinmuskulatur, sondern stets aus der Körpermitte, von wo aus sie pulsierend den tanzenden Leib durchströmen, um dort andernorts Bewegung auszulösen. Arme zerschneiden, ja zerhacken die Luft. In der elfköpfigen, höchst synchron agierenden Truppe entspinnt sich ein „Krieg der Sterne“ als massiv körperlicher Prozess irdischen Werdens. Doch schon darin hat Stephan Thoss die menschliche Sehnsucht nach Geborgenheit eingeschrieben. Zum Boden hingibt es nun auch eine Art kollektive Anschmiegsamkeit, ein sehnsüchtiges und geschütztes Ruhen.

Makro- und Mikrokosmos

Zum guten Ende ist es geschafft. Steine und Gebirge, Explosionen und physikalische Reibungen scheinen vorüber, ein Lebensraum ist geschaffen: Zwei zottelige Figuren haben Affenschwarz gegen Wasserblau und Blumenbunt getauscht. Alberto Galindo und Reiko Tan verbergen sich im Kostüm und tanzen, umgeben von den (Montana!-)felsigen Kollegen, zu Johann Sebastian Bach ein zartes Pas de deux der Entstehung des Lebens.

Dem Makrokosmos physikalischer Reibung fügt der griechische Choreograph und ehemalige Béjart-Tänzer Andonis Foniadakis nach der Pause eine kleinteiligere, noch energiereichere Choreographie an.

„KOSMOS“ heißt sie und könnte als tänzerischer Blick in den Mikrokosmos gedeutet werden. In glänzendes Nachtblau ist hier das All-Geschehen von Anastasios Sofroniu gewandet. Mit harten Schlägen und massiv akzentuiertem rhythmischen Klatschen (Musik: Julien Tarride) gelingt Foniadakis ein dramaturgisches Kunststück: Den Menschen denkt er von Anfang mit, steigt in ein abstraktes Thema mit ethnologischer Spurensuche ein.

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Flamenco-Klänge, nordafrikanische Blasmusik, später eine fulminante Derwisch- und Sufi-Einlage von Lorenzo Angelini - Andonis Foniadakis widmet sich den archaischen, musikalischen wie tänzerischen Formen.

Auf den Boden wird nicht nur getreten und gestampft, sondern auch mit den Händen geschlagen. Bewegungen setzt er groß an, Arme gehen diametral auseinander, breit gespreizt sind die Beine in den seitlich abgeführten Hockbewegungen. Das kollektive Vorwärtsstürmen der zehn Tänzerinnen und Tänzer zur vierten Wand, also dem prall gefüllten Zuschauerraum des Tanzhauses, ist kämpferisch und mit harter Stop-Bewegung markiert. „Fast Forward“ könnte seine energetisch aufgeladene Teilchen-Beschleunigung ebenso gut heißen.

Virtuose Teilchen-Beschleuniger

Paarweise schießt die Truppe in kleinen, höchst individuell choreographierten Blitzauftritten über die Tanzfläche. Doch auch Foniadakis lässt nach all den von der Mannheimer Compagnie reibungslos umgesetzten Friktionen und kantigen Abstoßungen sanftere Töne zu. Emma Kate Tilson führt sie ein, übergibt sie stufenweise an ihre Mittanzenden.

Wie bei Stephan Thoss, stellt sich auch im zweiten Teil des Abends nun schöpferische Harmonie ein. Sie kommt unter den videotechnischen Tricks von Julien Tarride sogar ganz besonders groß raus: Auf die in Ruhe eng zusammenstehende Gruppe ergießt sich ein Sternenregen. „Gemeinsam werden wir Stars“, sozusagen. Ihre glitzernde Leuchtkraft nehmen sie danach auch mit in die Einzelauftritte. Ein schöner Gedanke für den Kosmos...

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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