Aus dem Dunkel schält sich nach und nach der Umriss eines Körpers: Im schwarzen Samtanzug vor schwarzem Bühnenvorhang nimmt Joseph Simon mit seiner Choreografie „Chameleon“ den Titel ganz wörtlich. Doch bald zeigt sich, dass hinter dem kurzen Spiel mit der optischen Täuschung viel mehr steckt: Das Chamäleon ist hier vielmehr eine Chiffre für Fragen der Transformation, Veränderung und Identität einer Person.
Vor dem Hintergrund eines getragenen Soundbeds elektronischer Klänge macht Simon seinen Körper zum Experimentierfeld. In immer neuer Weise verschlingen und verknoten sich seine scheinbar vollkommen flexiblen Arme und Beine, um dann in gewagte Break-Dance-Figuren überzugehen. Alles geschieht jedoch mit einer unendlichen Langsamkeit, die jede Bewegung verfremdet, in Frage zu stellen scheint und vor allem allerhöchste Körperbeherrschung verlangt. Diese besitzt Simon bis in die letzte Fingerspitze hinein. Das zeigt sich auch in der zweiten heitereren Hälfte des Stückes, in der die Choreografie blitzschnell zwischen den Stilen changiert. Von der klassischen Arabesque zum Headspin, vom Discomove zu winkenden Jazz-Hands gibt Simon mal den Disco-König, den Primoballerino und natürlich den coolen Breaker. Alles wirkt locker und ist doch genau kalkuliert und geplant. Tänzerisch wie choreografisch eine gelungene Arbeit.
Entstanden ist das Stück im Rahmen des Urban Dance Festivals „Bodies at Resistance“, das den Künstlern Wissenschaftler an die Seite stellt, um Themen der gesellschaftlichen Gegenwart gemeinsam auszuloten. In „Chameleon“ ist dies die grenzüberschreitende Mischung der Stile unterschiedlichster kultureller Herkunft.
Cancel culture in der Kunst
So stellt die anschließende Publikumsdiskussion die Frage nach der kulturellen Aneignung: Was ist erlaubt, wo gibt es Grenzen? Festivalleiterin Christina Liakopoyloy, Karin Stahl und Tänzer Joseph Simon erörtern aus unterschiedlichen Perspektiven, wie sich darstellende Kunst in der Diskussion um Cancel Culture weiterentwickeln kann. Im Austausch mit dem Publikum ergibt sich ein spannender Diskurs, von dem man sich wünschte, dass er auch an größeren kulturellen Institutionen so offen geführt würde wie hier am Mannheimer Theater Felina Areal.
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