Mannheim. Zeichnerinnen sind beide Künstlerinnen und beide gehen vom zeichnerischen Grundbestandteil der Linie aus. Doch weder Monika Grzymala noch Katharina Hinsberg begnügen sich mit zwei Dimensionen auf Papier. Entsprechend ist dies der erste Eindruck, der sich beim Betreten der Doppelausstellung der zwei Künstlerinnen in der Graphischen Sammlung der Mannheimer Kunsthalle ergibt - wie hier die Linien ins Räumliche ausgreifen, wie sie den Betrachter geradewegs umgarnen, umspinnen und umhüllen.
Die jeweilige Wirkung wird je nach Geschmack und sonstiger Prägung des Publikums eine andere sein. Und je nach momentanem Standpunkt stellt sich die Linie auch unterschiedlich dar und kann entsprechend anders wirken.
Erstaunen lassen einen die Arbeiten aber wohl in jedem Fall. Die zwei viel beschäftigten und auch international ausstellenden Künstlerinnen gehen in ihren „Raumzeichnungen“ genannten Gebilden ganz unterschiedlich vor; sie haben die von Jakob Kollhöfer initiierte und kuratierte Schau in der Kunsthalle mit dem paradox klingenden Titel „Zwischen einer Linie“ aber gleichwohl zusammen und gleichberechtigt in einem künstlerischen Dialog entwickelt.
"Zwischen einer Linie"
- Monika Grzymala, geboren 1970 im polnischen Zabrze, wuchs in Mannheim auf und lebt und arbeitet heute in Berlin. Sie ist Grafikerin und Installationskünstlerin. Sie arbeitet bevorzugt mit Klebeband als Material.
- Katharina Hinsberg, geboren 1975 in Karlsruhe, lehrt an der Hochschule der Bildenden Künste in Saarbrücken und lebt in Neuss. Ihre zeichnerischen Arbeiten haben einen starken räumlichen Aspekt.
- Die Arbeiten von Grzymala und Hinsberg sind vielfach ausgezeichnet worden und werden international ausgestellt.
- Die Ausstellung „Zwischen einer Linie“ wird am Donnerstag, 25. April, um 19 Uhr in der Mannheimer Kunsthalle eröffnet. Die Ausstellung ist dann bis 25. August zu sehen. Zu der von Thomas Köllhofer kuratierten Schau erscheint im Mai ein Katalog.
- Die Öffnungszeiten der Ausstellung sind: Di, Do bis So 10 bis 18 Uhr. Mi 10 bis 20 Uhr (1. Mi im Monat 10 bis 22 Uhr)
Was beide Positionen verbindet, ist noch eine andere Abkehr von der traditionellen Zeichentechnik: Bleistift, Feder oder Kugelschreiber sind es nicht, die hier die Linien ziehen. Die in Mannheim aufgewachsene Monika Grzymala arbeitet mit (vornehmlich schwarzen) Klebebändern, die sie über Wände und Böden und auch mal kreuz und quer durch den Raum wandern lässt; so ergeben sich die Umrisse ganz eigenwilliger Plastiken - die Künstlerin sagt von sich entsprechend: „Ich bin eine Bildhauerin, die zeichnet.“ Sie folgt dabei ursprünglicheren Zeichnungen mit Tusche auf Papier, die ihr als Modelle dienen.
Aus Klebeband mit einer Gesamtlänge von 2,4 Kilometern
In der Kunsthalle hat Grzymala eine Raumecke mit silbernem Klebeband ausgekleidet und da hinein einen diagonal verlaufenden dicken, kraftvoll wirkenden Strang geformt, der die klare Geometrie des Arrangements buchstäblich durchkreuzt. Ihr „Glatter Raum“, so der Titel, ist aus der beeindruckenden gesamten Bandlänge von 2,4 Kilometern gefertigt. Filigrane Arbeiten gestaltet sie gleichfalls, wofür die aus gerolltem Papier geformte, wolkenartige „Kinesphere“ ein Beispiel ist.
Katharina Hinsberg, gebürtig aus Karlsruhe, bildet bevorzugt Linien aus kleinen Knetkügelchen, die in ihrer Vielzahl einen geradezu tänzerisch-leichten, bewegten Gesamteindruck ergeben. So ist es jetzt auch in der Kunsthalle: Ihre „Linie im Raum“, bestehend aus über 1000 mit Nylonfäden an der Decke befestigten roten Kügelchen, zieht sich durch die Ausstellungsräume dahin - mal in Gesichtshöhe, dann wieder höher, mal nach links oder rechts kurvig ausfahrend. Wirklich erfassen lässt sich das nur, indem man sich als Betrachter ebenfalls in Bewegung bringt und den Wendungen und Verzweigungen der Gebilde buchstäblich nachgeht.
Es ist eine konzeptuelle und elementare Kunst, die hier präsentiert wird. Räume machen diese Arbeiten erfahrbar, indem sie diese individuell ausgestalten. Immer bezeugen die Arbeiten eine ganz individuelle Dynamik - und eine ebenso eigenwillige künstlerische Qualität. Von besonderem Reiz ist nicht zuletzt ein Künstlerheft, das Grzymala und Hinsberg gemeinsam gestaltet haben, indem sie es jeweils eine bestimmte Zeit lang einander abwechselnd bearbeiteten - zeichnend, faltend, schneidend ging man vor. Eine Videoprojektion macht die einzelnen Blätter mit ihrer besonderen Ästhetik anschaulich.
Grzymala und Hinsberg zeichnen auch ganz unmittelbar
Dass die Künstlerinnen auch ganz unmittelbar zu zeichnen verstehen, machen weitere Arbeiten deutlich: Hinsberg hat die kurvigen Linien der „Fries Friktionen“ mit ihren in flüssige Wachskreide getauchten Fingerspitzen gezogen. Und Grzymala hat „98 Handzeichnungen“ gefertigt, indem sie ihre Fingerspitzen über die Scanfläche eines Fotokopiergeräts rieb.
Individualität als solche drückt sich hier aus und wird erfahrbar, eine Dynamik des Lebens per se. Und obgleich beide Künstlerinnen die Grundlagen ihrer Kunst gerne in messbaren Quantitäten angeben, ist es doch immer die direkt erfahrbare Qualität der Arbeiten, die sich präsent macht.
Wie Monika Grzymala und Katharina Hinsberg in einen künstlerischen Dialog getreten sind, um die Ausstellung gemeinsam zu bestücken, so ist das Publikum eingeladen, ein Gespräch mit den Arbeiten der Künstlerinnen zu beginnen. Es ist von großem Reiz, wie die Dynamiken, die von dieser Kunst ausgehen, immer auch in eine Selbsterfahrung des Betrachters münden. Wie man selbst in seinem Sein sich immerzu räumlich entwirft und erlebt, wird einem hier sinnfällig vor Augen geführt. Die künstlerischen Linien werden so zu Linien des eigenen Lebens.
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