Heidelberg. Am siebten Abend des Festivals hat der Heidelberger Stückemarkt zwei Erzähldramen auf dem Programm. Die posttraumatische Kriegsgeschichte „Bomb“ von Maya Arad Yasur, mit dem das Theater Lübeck für den Nachspielpreis nominiert ist, und den Monolog „Common Things“ des Berliner Theaterkollektivs Turbo Pascal.
Die israelische Autorin Maya Arad Yasur nähert sich der Frage, wie man sich in einem Krieg verweigern kann. Sieben Personen rätseln über den biografischen Hintergrund einer Performancekünstlerin, die ihre Haare ausreißt und sich damit, ähnlich wie Ikarus, Flügel baut. Die Erzählung kreist um den Kampfpiloten Eatherly, einen Vater und seinen Sohn, einen Soldaten und seine Tochter. Doch in welchem Verhältnis stehen sie zueinander, wie hat der Krieg ihre Schicksale miteinander verknüpft?
Mit trivialen Erzählbausteinen und in einer permanenten Mauerschau gehen die Akteure zwei „Kollateralschäden“ und der Frage nach, wann und wie man sich im Krieg verweigern muss. Dafür montiert die Autorin den Piloten in ein durch Julian Assange ikonisch gewordenes Medienbild: der aus der Luft beschossene Kleinbus mit Zivilisten. Eatherly weigert sich, eine Schule zu bombardieren, in der sich wohl Terroristen verschanzt haben, befolgt aber anschließend trotz nagender Zweifel den Befehl, eine Infanterieeinheit auszuradieren.
Regisseurin Sapir Heller versucht, dem selbstverliebtem Text durch Lautstärke, Blut und Bewegung Relevanz einzuhauchen, legt dadurch aber nur dessen Schwäche bloß.
Wesentlich subtiler nähert sich das Theaterkollektiv Turbo Pascal (Angela Löer, Eva Plischke, Frank Oberhäußler) dem Minenfeld Political Correctness. Frank, Mitte 40, ist ein Aufheber. Doch nach dem Tod seines Vaters macht er sich ernsthaft Gedanken, was er wegwerfen soll. Dabei darf das Publikum helfend per Smartphone über seine Entscheidungen abstimmen.
In Plastikboxen stecken Erinnerungen und Geschichten
Aus acht Plastikboxen zieht Frank Dinge und ihre Geschichten hervor. Einen bunten Schal, Schminksachen, ein Heft mit didaktischen Überlegung der Mutter, die Lehrerin war, und einen Teil der Arbeitskleidung des Vaters, den Talar eines Pfarrers. Mit dem Videogame Civilisation hat Frank schätzungsweise 30 000 Stunden Welteroberung gespielt. Die Rastazöpfe, die er mit siebzehn abgeschnitten hat, würde seine Nichte dann mal ganz gerne als Erinnerung haben. Aber ist das Dokument seiner subkulturellen Phase auch das einer Provokation, einer Aneignung, ja Mikroaggression?
Das selbstgemachte Theaterplakat verbannte seine Kollegin aus dem Büro, weil darauf „Idiot“ steht. Hat der Gebrauch dieses Wortes im Alltag nicht längst den der Nazis überlagert? Und was soll man sonst sagen, wenn zum Beispiel der Nachbar definitiv ein Idiot ist? Jetzt noch die Bücher! Nein, er kann kein einziges entsorgen, auch wenn viele mittlerweile als patriarchalisch, rassistisch oder sexistisch gelten. Doch wer hat da eigentlich Bildungslücken? Er oder die, die diese Bücher nicht gelesen haben? Und wer ist er, wenn er die Geschichten aus seinem Gedächtnis entfernt? Egal. Er kommt ja langsam in ein Alter, in dem man hier nichts mehr zu sagen hat. Vielleicht zieht der alte weiße Mann aufs Land. Aber das sieht das amüsiert mitspielende Publikum anders.
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