Mannheim. Bevor Takis Würger Schriftsteller wurde, berichtete er als Journalist aus Afghanistan, Libyen und dem Irak. Sein erster Roman, „Der Club“, wurde zum Bestseller. Sein zweiter Roman, „Stella“, löste eine Feuilleton-Debatte über die Frage aus, ob es erlaubt sei, eine jüdische Gestapo-Kollaborateurin zum Mittelpunkt eines Liebesromans und die Juden-Vernichtung zum beliebig nutzbaren literarischen Material zu machen.
Sein neuer Roman, „Für Polina“, hält sich von allen Fallstricken fern. Die Figuren müssen über kein politisches Glatteis schlittern und werden in keine historisch und ideologisch kontaminierten Handlungen verwickelt. Nachteil: Takis Würger hat einen tränenreichen, herzerweichenden Liebesroman geschrieben, der in all seinen Wegen und Irrwegen vollkommen voraussehbar ist.
Gefüllt ist der Roman mit musikalischen und literarischen Verweisen, die den unglücklich verliebten Märchenkindern zeigen könnten, was sie tun müssten, um dem Jammertal ihrer ausweglosen Liebesgeschichte zu entkommen. Hannes wird als Jugendlicher ein Klavier-Stück für Polina komponieren und darin all seine Sehnsucht ausdrücken, so wie Beethoven es tat mit „Für Elise“. Aber Polina erkennt die Liebes-Zeichen nicht. Also trennen sich ihre Wege, und es warten Jahre einer Liebes-Odyssee, bis sie, längst erwachsen und vom Leben gezeichnet, begreifen, dass sie seit Kindertagen füreinander geschaffen waren.
Schließlich lagen sie schon nach der Geburt nebeneinander, ihre Mütter haben im gleichen Krankenhaus entbunden und ihre Babys zum Kuscheln zueinander gelegt. Die beiden Frauen treffen sich oft mit ihren Kindern in der verwunschenen Villa bei Hannover, wo Hannes mit seiner Mutter bei einem kauzigen Alten wohnt, der die russischen Klassiker liebt, der eine tolle Schallplattensammlung hat und ein verstimmtes Klavier, auf dem der kleine Hannes erste Stücke komponiert.
“Für Polina“ von Takis Würger: Mehr Kitsch, mehr Klischee geht nicht
Der Kauz zitiert gern Romane von Dostojewski, der zeitlebens die Schriftstellerin und Feministin Polina (!) Suslowa rasend liebte, die dann aber den Philosophen Wassili Rosanow heiratete. Hannes, von Polina verlassen, setzt sich jahrelang an kein Instrument, sondern verdingt sich als Möbelpacker und schleppt Flügel und Klaviere von einer schicken Hamburger Altbauwohnung in die nächste.
Gibt sich als unmusikalisch aus, bis er eines Tages ein wahres Prachtstück auf seinen Transporter wuchten will und der Besitzer, ein Musiker, ihn mit wissenden Augen ins Visier nimmt und ihm auf den Kopf zusagt, er würde doch auch Klavier spielen. Da brechen bei Hannes alle Dämme, er setzt sich mitten auf dem Bürgersteig ans Klavier und spielt eine Improvisation der Melodie, die er einst für Polina komponierte.
Eine Passantin zückt ihr Handy, filmt das spontane Konzert und stellt das Video unter dem Titel: „Mover Plays Piano On The Street And Moved My Heart“ ins Netz. Jeder kann sich ausmalen, welch viraler Flächenbrand entfacht wird und welche Wendung die Geschichte nun nehmen wird. Wer an die Kunst glaubt und seiner Berufung folgt, lernen wir, kann nicht untergehen und findet am Ende des Tunnels immer ein Licht. Mehr Kitsch, mehr Klischee geht nicht.
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