Herr Hamann, wo sind eigentlich die Mannheimer in Ihren Bildern?
Horst Hamann: Die Frage höre ich öfter. Aber von Menschen, die nur mein vertikales Werk kennen. Tatsächlich lässt mein extremes vertikales Format es nicht zu, Porträts zu machen. Das wäre grottenlangweilig und technisch mit dieser Optik (24 mm) Unsinn. So treten Menschen bei meinen Verticals eher zur Kontrastierung auf.
In New York haben Sie ja auch viele Menschen fotografiert, wie man aktuell in Ihrer Galerie an den 100 New Yorkern sehen kann …
Hamann: Ich komme von der Porträtfotografie und bin eher durch „Notwehr“ in der Architekturschublade gelandet, als ich 1991 zum ersten Mal - nach drei missglückten Horizontal-Versuchen - meine Technorama um 90 Grad gedreht habe. Ich bin eigentlich kein Architekturfotograf. Ich versuche, in Häusern und Menschen Spuren zu finden, die mich bewegen.
Zur Person: Horst Hamann
- Horst Hamann: 1958 in Mannheim geboren, ging Hamann 1979 nach dem Abitur für ein Jahr nach New York. 1989 verließ er Mannheim nach seiner „Sinnfonie für Amphitrite” am Wasserturm und nahm eine Wohnung im East Village.
- 2009 zog er nach Frankfurt. Seit 2019 war er wieder öfter in Mannheim, wo er 2023 die Galerie „Here is New York“ eröffnete – die auch Werkstatt, Archiv und wie ein kleines Museum ist.
- Bilder von Horst Hamann finden sich auch in der Samstag-Ausgabe unseres E-Papers
Und in New York und Mannheim sehen Sie parallele Spuren. Die Lage zwischen Flüssen, das Nebeneinander der Nationalitäten. Gibt es seelische Verwandtschaften?
Hamann: Ja, die Mentalität. Sie merken ja, wie schnell ich rede. Ich bin Mannheimer. Die New Yorker sprechen auch so schnell. Die New Yorker laufen sehr schnell, was ich auch tue. Man denkt und handelt schnell. Der Badener oder Kurpfälzer, so mein Gefühl, ist auch wie der New Yorker ein weltoffener Mensch mit einem gesunden Schuss Humor und Selbstironie, und wenn jemand zu dir sagt „Fuck You“, ist die Antwort „Fuck You too“, und man wird beste Freunde. Das musste ich erst mal verstehen.
Mannheim hat nicht viele historische Gebäude. Einige zeigen Sie. Jesuitenkirche, Wasserturm, Christuskirche. Spielen Sie gezielt mit den Gefühlen des Betrachters, wenn Sie Altes auf Neues treffen lassen und jede Romantik vertreiben?
Hamann: Nein, da ist kein Kalkül. Ich vertraue auf meine Mittelstürmer-Instinkte. Aber ich habe natürlich viel Seherfahrung in Städten wie New York, Paris und London, und da geht es immer auch darum, die Ikonen einzufangen. Das sind meistens historische Gebäude. Eiffelturm. Buckingham Palace. Freiheitsstatue. Und in Mannheim: Der Wasserturm ist unser Empire State Building. Und dazu setze ich dann eben vertikal Kontraste. In Mannheim gibt es ja keine richtig moderne Architektur. Aber Kontraste findet man, zum Beispiel den Ochsenpferchbunker. Es geht immer um eine Gesamt-Atmosphäre, die muss rüberkommen. Und in Mannheim macht das absolut diese Mischung aus Alt und Neu.
Mein Leben ist teils chaotisch, ich will in der Fotografie, in meinen Kompositionen Ruhe schaffen. Wie eine Putzkraft räume ich meine Bilder auf
Sie waren sehr lange weg. Mannheim ist trotzdem Ihre Heimat. Fühlt es sich auch wieder so an?
Hamann: (atmet schwer aus) Heimat ist, ehrlich gesagt, vor allem meine Familie, und die ist in drei Länder gesplittet. Ich bin Mannheimer, meine Frau ist Französin, unsere Kinder sind in den USA geboren. Das ist unsere ganz eigene Identität. New York war mein Sehnsuchtsort und wird es immer bleiben. Aber ich vergleiche die Städte jetzt nicht mehr. Ich habe meine Identität bewahrt und bin irgendwie in beiden Städten heimisch. Ich fühle mich als Weltbürger, aber das Selbstbewusstsein, mit Stolz zu sagen, ich bin Mannheimer, musste erst wieder zurückerobert werden.
Wenn Sie Mannheim noch mal selbst bauen dürften - Sie wissen schon, die Fee schenkt Ihnen einen Wunsch: Wie würde das aussehen?
Hamann: Gute Frage. Also ich würde mich schon an den Vorkriegsbildern orientieren. Das war eine wunderschöne Stadt. Aber eben zerstört. Ich bin auch kein Freund, historische Gebäude wieder aufzubauen …
… auch nicht das Kaufhaus in N1?
Hamann: Da würde ich eine Ausnahme machen, stimmt. Aber kategorisch Altes wieder aufzubauen, finde ich kindisch. Die Frankfurter Altstadt etwa erinnert mich immer an Disney Land. Also ich würde schon moderne Architektur setzen. Und da bin ich ein Freund von radikalen Lösungen. Ich würde also wahrscheinlich bei dieser Mischung aus Tradition und Moderne bleiben, aber die Moderne konsequenter gestalten, mit mehr Brüchen und Kontrasten.
Also würde Mannheim unter dem Strich ähnlich aussehen?
Hamann: Nein, N1 finde ich wirklich eine Katastrophe, das geht gar nicht.
Das ist denkmalgeschützt.
Hamann: Unfassbar. Leider sitzen nicht immer Profis an den wichtigen Stellen. Aber es gibt in der Malerei, der Kunst und Literatur ja immer einen Personal Taste. Und das gibt es in der Architektur genauso.
Fotografie ästhetisiert oft. Es gibt etwa faszinierende Bilder großen Leids. Auch Menschen kann man schön-fotografieren - oder, wie in ihrem Fall, Orte. Sie haben die Straßenkreuzung am Planetarium fotografiert. Eindrucksvoll. Wie kommt es zu solchen Ästhetisierungen profaner und unschöner Orte?
Hamann: Da muss ich widersprechen. Es gibt keine hässlichen Orte oder Menschen. Ich fühle mich von Plätzen angezogen, die gelebt haben, die marode sind, die Patina haben, Rost. Bei alten Menschen, die viel gelacht haben, finde ich die Lachfalten schön. Frauen, die in Würde altern. Da gibt es ganz tolle Beispiele. Ich versuche dann auch, meine Romantik in meine Bilder hineinzuprojizieren.
"Mannheimer Vertical" - Bildband und Kalender
- 2022 eröffnet Hamann die „Gallery NY“ auf dem Turley-Areal und installiert das größte vertikale Fotoarchiv der Welt. Noch bis Ende Februar ist die Ausstellung in der Fritz-Salm-Str 3, samstags von 12-17 Uhr, sonntags 14-18 Uhr zu sehen. www.gallery-ny.com
- Für dieses Projekt kehrt Hamann nach Mannheim zurück und untersucht die Stadt auf ihre vertikalen Perspektiven. Das Resultat ist nun in dem Bildband und Kalender „Mannheim Vertical“ sowie in der Ausstellung zu sehen.
- Kalender: 13 vertikale Panorama-Fotografien im hochwertigen Duotone-Druck. Format 39 x 110 cm als immerwährendes Kalendarium für 46 Euro, 42,50 Euro mit Premium-Karte
- Bildband: 90 Panorama-Fotografien auf 188 Seiten in hochwertigem Duotone-Druck, Format 19 x 39 cm für 48 Euro
- Bildband und Kalender für 89,95 Euro, 79,95 Euro mit Premium-Karte
- Erhältlich im Kundenforum des "Mannheimer Morgen" oder bestellbar unter: meinmorgen.app/shop
Sie sind Romantiker?
Hamann: Eher sentimental fool. Ich habe nach 15 Tagen in Las Vegas geheiratet. Mein Leben ist teils chaotisch, ich will in der Fotografie, in meinen Kompositionen Ruhe schaffen. Wie eine Putzkraft räume ich meine Bilder auf. Und die unübersichtliche Straßenkreuzung versuche ich durch den Bildausschnitt zu beruhigen.
Die New York Times hat Sie mit dem Maler Edward Hopper verglichen und sogar Genie genannt. Wo sehen Sie Parallelen zu Hopper?
Hamann: Also das mit dem Genie der Komposition war die „New York Times“, das war der damals wichtigste Architekturkritiker Herbert Muschamps. Aber der Vergleich mit Hopper war Andreas Feininger. Er fand Parallelen meiner America-Panoramas in den warmen Farben sowie im Lichtspiel und den Sujets. Das waren schon Adelungen. Gerade vor vier Wochen kam noch eine dazu: eine Textnachricht von Lord Norman Foster, übrigens ein Fan der Multihalle von Frei Otto. Er fühlt sich von meinem neuen Buch „London Vertical“ inspiriert. Besser geht’s nicht.
Sie sind ja quasi aus Mannheim in die USA geflohen, wo Sie dann den Erfolg hatten. Ganz unverblümt: Was lieben Sie noch an Mannheim und den Menschen hier?
Hamann: Da ist was dran. Zum Thema Wasserturm und Friedrichsplatz. Ich habe mir über einen Job in einer Wurstfabrik meine erste Kleinbildkamera, eine Minolta SRT, zusammengespart und mir zwei Leitz-Diaprojektoren zugelegt. Und weil mich Diaabende immer gelangweilt haben, habe ich meine eigene Inszenierung gemacht und auf Häuserwände oder Bäume projiziert und Musikcollagen dazu abgespielt. 1989 habe ich mein erstes Event „Sinnfonie für Amphitrite“ am Wasserturm gemacht mit meinem Bruder. 100 Jahre Wasserturm. Wir haben zwei Jahre daran gearbeitet und alles selbst finanziert.

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Was war passiert?
Hamann: Der „Mannheimer Morgen“ berichtete damals nicht über Inhaltliches, sondern über fehlende WCs und den Wunsch der Mannheimer nach Wurst, Weck und Woi. Das hat mir die Augen geöffnet und die damaligen kulturellen Grenzen aufgezeigt. Ich hatte da viel riskiert, Tänzer aus Paris, Circus Roncalli, die größte Lasershow nach Mannheim geholt. Vor 20 000 Zuschauern am Friedrichsplatz. Ich habe recherchiert zu Isadora Duncan, die dort 1907 getanzt hatte und viele Details mehr. Ich gründete meine erste Foto-Galerie in T6 und mein erstes Mannheim-Buch - heute sind es 52 - war erschienen. Ich hatte das Gefühl, hier geht es nicht weiter. Ich hatte damals Freunde in Maine, die gesagt haben: Komm! Und da mir meine fotografische Mutter Sonja Bullaty, eine KZ-Überlebende, schon geraten hatte: Horst, sei lieber ein kleiner Fisch in einem großen Fischteich als ein großer Fisch in einem kleinen Fischteich - bin ich nach New York gegangen, und da hat keiner auf mich gewartet.
Ein Poet in der Fremde?
Hamann: So etwa: Ich musste mich durchbeißen wie davor als Mittelstürmer im Strafraum. Und dann gingen Türen auf und ich bekam mehr, als ich mir je erhofft hatte. Ich bin extrem dankbar. Und nun bin ich wieder hier. Wo soll ich sonst hin? (lacht) Ich kam mit Rucksack und meiner „Wurstfabrik“-Minolta an die Upper West Side und bringe das weltweit umfangreichste vertikale Fotoarchiv zurück nach Mannheim. Die Reise geht weiter. Ich bin gestärkt und kann etwas weitergeben an die Jungen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Horst Hamann schafft Panoramen der Tiefe von Mannheim