Mannheim. Horst Hamann ist ein Schnippler. Seine Bälle haben immer viel Drall. Unterschnitt. Der Ball dreht sich extrem gegen die Flugrichtung um die eigene Achse. Seine Bälle sind selten sehr schnell. Aber immer gemein, weil sie kaum vom Boden und dann immer in die falsche Richtung abspringen. Ich muss also tief in die Knie gehen und versuchen, von dort, tief unten, dennoch irgendwie noch einen Top-Spin-Ball auf die Reihe zu kriegen. Mein Spiel. Und das will ich ihm, dem Kämpfer mit der Mittelstürmer-Mentalität, aufzwingen. Natürlich. Manchmal gelingt es. Manchmal nicht.
Aber wie kam es nur zu diesem unheilvollen Match mit dem weltbekannten Fotografen? Bei Kälte und Nieselregen. Ach ja, es war so, dass ich bei der Vernissage von Horst Hamanns Schau „Here is Mannheim“ auf Turley war. Der Fotograf hat eine Galerie dort. Coole Location. Und dort gab es nicht nur Bilder, Schnittchen, Wein und Reden. Es gab – Oberbürgermeister Christian Specht samt Lebensgefährtin war auch da – jede Menge interessante Gespräche. Auch Hamann und ich hatten eines, und zufälligerweise, ich weiß nicht mehr wie, unterhielten wir uns auch über Tennis. Er spiele, sagte er, einmal die Woche in Frankfurt mit einem Kumpel. Er benutzte dabei das Wort „leidenschaftlich“. Da ging bei mir ein Lichtlein an, und ich sagte: „Wir müssen mal spielen.“
Gesagt, getan. Eines Morgens ziehen dann dicke graue Kumuluswolken über unseren Köpfen von Ost nach West. Es ist kalt. Uhrzeit: 9 Uhr morgens. Ort: Sportpark Mannheim, Deutsche Jugendkraft (DJK) Feudenheim. Es ist der einzige Tennisclub weltweit, bei dem auch im Winter noch eine Handvoll Verrückter auf Sand und und draußen spielt. Hamann und ich gehören nun dazu. Er, schwarz-weißer Adidas-Trainingsanzug, ist pünktlich wie die Maurer. Irgendwie sieht er aus, als hätte man ihn aus einer seiner Schwarz-Weiß-Fotografien herausgeschnitten. Erst, als er nach dem Einspielen die Jacke auszieht, kommt Farbe ins Spiel: „Every minute counts“ steht auf seinem Rücken in Rot und Weiß. Es wirkt wie eine Mahnung. Mal sehen, was damit genau gemeint ist.
Tennis ist vor allem Psychologie
Das Warmspielen beim Tennis ist so eine Sache: Man tastet sich ab, spielt hier- und dorthin, versucht, die eigene Tagesform zu spüren. Ständig fragt sich der Geist, ob der Körper dem Gegner gewachsen ist. Man beobachtet dessen Vorhand. Man beobachtet dessen Rückhand. Man lauert auf dessen Schwächen. Und meistens entdeckt man dabei dessen Stärken. Ich analysiere Hamanns Gewohnheiten und Charakterzüge. Ich sehe schnell: Hamann ist gut zu Fuß, wobei gut eine maßlose Untertreibung ist. Verdammt: Der Mann ist schneller als Usain Bolt, es scheint, als sei er fixer am Ball, als unser Fotograf Manfred Rinderspacher auf den Auslöser drücken kann. Es ist Wahnsinn, der sich später, in unserem Match bestätigen wird.
Wir geben uns also die Hand und entscheiden: Wir spielen drei Gewinnsätze. Best of Five. In Wimbledon läuft so etwas gern mal auf eine Fünfstundenangelegenheit hinaus. Ich erinnere mich an den Djokovic-Federer-Marathon 2019: 7:6 (7:5), 1:6, 7:6 (7:4), 4:6, 13:12 (7:3). Das darf uns nicht passieren. Wir haben Termine. Hamann also hat Aufschlag. Wir gehen an die Grundlinie. Postieren uns. Der Ball dopst. Dann geht es los. Ich hatte es geahnt: Seine Dinger kommen wie Bananen übers Netz geflogen. Man weiß nie, wo sie aufschlagen. Und wie. Am besten wird man dem Schnitt mit Gegenschnitt Herr. Also beginne ich, seine Aufschläge zurück zu schnippeln. Erst mal sichere Bälle spielen.
Tennis ist viel mehr als Sport. Es ist Kunst. Ästhetik. Logik. Manchmal ist es wie Schach, nur dass du keinen Springer oder Läufer vorschicken kannst, sondern es allein bist, der sich auf dem Spielfeld per Antizipation positionieren muss. Vor allem ist Tennis aber Psychologie. Tennis besteht aus einem sichtbaren und einem unsichtbaren Spiel. Das sichtbare Spiel kennt jeder. Das unsichtbare Spiel kennt man nur selbst. Gegen Hamann sieht es so aus: „Verdammt noch mal, ich darf hier nicht verlieren!“ Es ist wie in der Rolex-Werbung: Dein stärkster Gegner steht nicht auf der anderen Seite des Netzes. Es bist du selbst.
58er gegen 58er
Hamann schlägt jeden Ball zurück, aber ich hole mir den ersten Satz. Hamann schlägt jeden Ball zurück, aber ich hole mir den zweiten Satz. Tennis ist eines jener Spiele, die – theoretisch – ohne Ende sind. In einem entscheidenden fünften Satz kann man einen Endlos-Tiebreak erleben. Und einen Zusammenbruch. Mit einem Mal kann sich alles ändern. Und ich merke, wie Hamann im dritten Satz immer stärker wird, wie er langsam – er spielt sonst immer in der Halle – immer besser mit dem Sand zurechtkommt. Immer mehr Punkte macht der Fotograf, den die „New York Times“ ein Genie genannt hat. Für mich wird es immer schwieriger, den Aufschlag durchzubringen. Mein Kopf sagt: Du kannst hier auch noch verlieren! Selbstzweifel führen dazu, dass ich mehr Fehler mache, Punkte verschenke. Hamann kommt. Er spielt hoch, also vertikal, auf die Rückhand. Ich sage mir: Du musst zuerst an dich glauben. Dann kommt alles andere.
Am Ende reicht es ihm nicht ganz. Wir beenden das hart umkämpfte Match, geben uns die Hand und sagen: auf ein nächstes. Die Sache war übrigens vollkommen gerecht: Wir spielen in einer Altersklasse und sind beide 58er – also er 58 geboren und ich 58 Jahre alt. Was will man mehr! Es hat Spaß gemacht.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Horst Hamann schafft Panoramen der Tiefe von Mannheim