Ludwigshafen. Die düsteren Zukunftsvorstellungen von gestern sind zu Alltagsbildern der Gegenwart geworden. Dieser Gedanke brandet auf, wie die Meereswellen, die Woge um Woge Plastikabfall ans Ufer tragen. Er treibt durchs Bewusstsein, wie die ins Wasser verklappte LKW-Ladung Kunststoff, wie der bunte Müllteppich, der dem Flusslauf folgt.
Zu sehen sind diese Bilder in „Plastic Fantastic“, eine Dokumentation von Isa Willinger, die beim Festival des deutschen Films für den Rheingold Publikumspreis nominiert ist. Wobei derlei Eindrücke freilich nur den makroskopischen Teil des Problems zeigen. „Plastic Fantastic“ blickt auch in die Tiefe, in den Kleinstbereich: Wir atmen andauernd Plastik ein, vor allem auch durch Abrieb von unserer Kleidung, erzählt Sarah Jeanne Royer. In unserem Blut, in unseren Organen, auch im Gehirn finden sich demnach Plastikpartikel. Royer ist Ozeanografin auf Hawaii und eine von einem halben Dutzend Forschenden sowie Aktivistinnen und Aktivisten aus den USA, Afrika und Deutschland, denen der Film folgt.
Ein aufrüttelnd eindringliches Bild
Ebenso lässt „Plastic Fantastic“ Lobbyisten der Kunststoffindustrie zu Wort kommen, die zwar auch konstatieren, „Plastikmüll in der Umwelt ist völlig unakzeptabel“ (Joshua Baca, American Chemistry Council), gleichzeitig den Wert des Materials als „wertvolle Schlüsselressource“ betonen. „Plastic Fantastic“ zeichnet mithin ein vielschichtiges, dabei aufrüttelnd eindringliches Bild der - stetig wachsenden - Kunststoffproduktion und ihrer Auswirkungen auf Umwelt und Mensch.
In die nahe Zukunft der Arbeitsimmigration blickt „Die Amieté“, ein Film des Kollektiv Amitié, der gleichfalls im Wettbewerb um den Publikumspreis läuft. Hier begegnen sich eine Frau und ein Mann im Reisebus nach Lübeck: Der hochgebildete Diedonné (Yann Mbiene), der von der Elfenbeinküste stammt und bald illegal bei einem Bio-Tomaten-Gewächshaus arbeiten wird. Und Agnieszka (Sylwia Gola), eine polnische Pflegerin, die den an Demenz erkrankten Siegfried (Walter Hess) rund um die Uhr betreuen soll - im Dienst einer erzkatholischen Organisation, die weniger den Dienst am Menschen als vielmehr die Mission als höchste Pflicht zu erachten scheint. Was beide bald verbindet, ist die titelgebende Amieté: Eine Smartphone-App und zugleich ein Netzwerk, das Migrationserfahrungen sammelt und seine Nutzer aus den ausgetauschten Daten- und Informationsströmen lernen lässt.
Märchenhafte Fantastik
„Was einer kann, werden alle können. Was sich verteilen lässt, wird mehr“, lautet die Übereinkunft der Amitié. Es ist ein hochinteressanter Ansatz, eine heterogene, fast immer alleingelassene Gruppe zu einer quasi geheimgesellschaftlich organisierten, gemeinschaftlich handelnden Kraft zusammenzuschließen - was hier aber in eher handelsüblicher Erzählweise und Figurenzeichnung geschieht.
Gegen Ende bewegt sich der Film zudem zunehmend weg von der nahen Zukunftsvision und hin zu einer märchenhaften Fantastik, wodurch der eigentlich pointierte Kernimpuls etwas zerfließt.
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