Mannheim. Sie schwärmt. Es gebe fast nichts, sagt diese Frau, was sie mehr reize, als das Leben in Sprache zu fassen, es sei das Große im Kleinen, das sie interessiere, das gute Wort, die geeignete Form, den passenden Sprachrhythmus für das zu finden, was ihr wesentlich und erzählenswert scheine: „Das ist wie ein kleiner Motor, der unermüdlich in meinem Inneren brummt.“ Diesen Motor spürt man. Julia Willmann ist eine lebendige Frau. Immer wieder steht sie auf, wechselt die Perspektive in diesem Video-Gespräch, sogar um ihre achtjährige Tochter kümmert sie sich, deren Rufen von hinten zu hören ist. Aus einem anderen Raum. „Sie ist echt ein Hammer!“, sagt sie – und meint das, so ist zu spüren, als Maximal-Lob.Eine gut gelaunte Wahl-Berlinerin
„Feuergriffel“ Julia Willmann
Die Autorin: Julia Willmann wurde 1973 in Freiburg im Breisgau geboren. Sie studierte Romanistik, Germanistik und Medienwissenschaften in Aix-en-Provence und Düsseldorf, anschließend Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Nach Tätigkeiten als Regieassistentin und Lektorin, als Spielfilmredakteurin und Creative Producerin in Deutschland und Frankreich, lebt sie heute mit ihrer Familie in Berlin und arbeitet als Dramaturgin und freie Autorin.
Die Stadtschreiberin: Willmann ist die mittlerweile achte Stadtschreiberin für Kinder- und Jugendliteratur. Ihr Feuergriffel-Stipendium tritt sie am Freitag, 16. April, an und arbeitet danach bis Mitte Juli in Mannheim, wo ihr im Turm der Alten Feuerwache eine Wohnung zur Verfügung steht. Sie veröffentlich seit 2003 Kurzgeschichten in Anthologien und Literaturzeitschriften, im Jahr 2010 war sie Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg. Willmann beleuchtet gern universelle Fragen vor sehr spezifischen, alltäglichen Hintergründen. In ihrem bislang einzigen Roman „was es ist“ (fontis – Brunnen Basel) entwirft sie das Psychogramm einer jungen Businessfrau, deren Leben – letztlich zu ihrem Besten – aus den Fugen gerät.
Der Feuergriffel: Der Mannheimer „Feuergriffel“ ist das bisher einzige Stadtschreiberstipendium für Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland und wird alle zwei Jahre von der Stadtbibliothek Mannheim ausgeschrieben. Gefördert wird es durch die GBG Mannheim, die Heinrich-Vetter-Stiftung, die Bülent Ceylan für Kinder Stiftung, die Karin und Carl-Heinrich Esser Stiftung, den Förderkreis der Stadtbibliothek Mannheim e.V. und das Kulturzentrum Alte Feuerwache.
Die Antrittslesung: Willmann wird sich am Donnerstag, 22. April, 19 Uhr, mit einer digitalen Antrittslesung in der Stadtbibliothek Mannheim der Öffentlichkeit vorstellen. Im Gespräch mit Bettina Harling wird die Autorin über ihre bisherige Arbeit und ihre Pläne für den Mannheim-Aufenthalt berichten. Außerdem liest sie Auszüge aus ihren bisherigen Werken, einem Roman und einem Kinderbuch (kostenlose Teilnahme bei Anmeldung: stadtbibliothek.paedagogik@mannheim.de). dms
Berlin. Hermannplatz. Da sitzt sie also in ihrem bunten Pullover im schönsten Gegenlicht Kreuzbergs und schwärmt. Sie schwärmt vom Leben, von ihrer Tochter und davon, wie es ist mit dem Schreiben. Am Freitag tritt sie in Mannheim als Stadtschreiberin „Feuergriffel“ an und wird offiziell die Turmwohnung in der Alten Feuerwache beziehen. Willmann überzeugte die Jury mit dem Projekt um die Schwebfliege Lili, die durch einen Unfall die Gabe verliert, „L“ sagen zu können, weswegen Willmanns Buch auch den Titel „Die keine Fiege ii und das Rauschen der Welt“ trägt. Eigentlich geht es natürlich um „die kleine Fliege Lili“, die sich in einer urbanen Abenteuerwelt auf eine aufregende Erfahrungs- und Identitätssuche macht und auch erlebt, vor welchen Nöten und Herausforderungen Insekten heutzutage stehen, auch angesichts des Klimawandels. „Es ist wie eine besondere Art von Roadmovie“, sagt Willmann, die auch vom Film kommt, in Bildern denkt und schreibt und auch an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin Dramaturgie lehrt.
Eine gut gelaunte Wahl-Berlinerin
Und dieses Roadmovie ist fertig: Na ja: nicht ganz. Willmann nennt es die „nullte Fassung“, was heißt: Die Geschichte ist durchgeschrieben. Nun, in Mannheim, geht es um Details. Und dass sie dabei eine Akribikerin ist, daran lässt sie keinen Zweifel. Sie arbeitet langsam: „Diese langen Zeitspannen, die mich ein einziges Projekt beschäftigt, haben sicher auch damit zu tun, dass ich genau kennen muss, worüber ich schreibe: Entweder, weil ich es selbst erfahren oder minutiös recherchiert habe.“
Vor einigen Jahren hat Willmann ihr Roman-Debüt „was es ist“ veröffentlicht. Ein Buch über die „innere Wende“ einer beruflich erfolgreichen Frau. Willmann war Mitte 40. 2017 war das. Wie sie dann zum Kinderbuch kam, kann sie selbst nicht genau erklären. „Ich bin nicht sicher, dass man sich das aussucht: Ob man für Erwachsene schreibt oder für Kinder, ob man kurze Texte verfasst, dicke Wälzer oder Gedichte“, sagt die Wahl-Berlinerin, die mit ihrem Schreiben vor allem ein Ziel verfolgt: zu berühren. „Ich nehme es als Erfolg wahr, wenn die Leute mir schreiben, dass sie wegen meines Buchs weinen mussten, lachen, oder wenn sie sich an Dinge erinnert haben, die lange unbewusst verschüttet waren.
Dabei hat sie keine direkte Absicht, zumindest nicht das, was man Sendungsbewusstsein nennt. Das Wort klinge in ihren Ohren „zu didaktisch“, meint sie, sie habe auch keine klassische Message und reagiere selbst auf solche Texte „allergisch“. Vor allem Literatur für Kinder und Jugendliche soll in ihren Augen nicht so moralisch sein. Sie wolle weg von der politischen Korrektheit des Mainstreams in der Art wie: Schütze die Umwelt! Sei nett zu allen! Toleriere alles! „Davon distanziere ich mich total. Aber natürlich habe ich eine Haltung. Ob die nun korrekt ist, weiß ich nicht, und das ist mir auch egal. Ich erlebe die Welt auf eine Weise, die mich ganz arg berührt, und das will ich mit euch teilen“, sagt sie und lächelt. Auch fühle sie „eine Art Verantwortung, das mitzuteilen und zu teilen, was mich bewegt, was mir wesentlich scheint – und was ich als Autorin geben kann.“
In Sachen Lesekompetenz sieht sie indes auch die Literatur in der Pflicht. Über die Zeiten, in denen Jugendliche täglich Stunden vor Mobiltelefonen sitzen, sagt sie: „Ich finde es legitim und auch richtig, dass Kinder und Jugendliche heutzutage digital aufgestellt sind – und ich kann nachvollziehen, dass der Reiz zu chatten, zu glotzen, zu gamen und einfach im Internet zu daddeln, groß ist. Aber Lesen, und gerade das Lesen von Literatur, ist eine ganz andere Art von ’Ansprache’, eine ganz andere Einladung an Kinder und Jugendliche, die aus meiner Sicht ihren Raum braucht und immer ihre Berechtigung, ja, ihre Notwendigkeit hat und haben wird.“
Lesung am 22. April in Mannheim
Nach Mannheim kommt sie „phasenweise“ auch mit Tochter. „Wir haben einen Deal: Vormittags wird gearbeitet; das gilt für sie und für mich; nachmittags erkunden wir die Stadt. Abends, wenn sie ins Bett geht, kehre ich noch mal an den Schreibtisch zurück.“ Das klingt nach einem guten Plan. Wer Julia Willmann kennenlernen will, kann es am 22. April (siehe Kasten). Es wird lohnenswert, denn Willmanns Schwärmen steckt an.
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