Im Interview

Mannheimer Feuergriffel: "Möchte das Leben in Sprache fassen"

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Mannheimer Feuergriffel: Julia Willmann. © Andreas Linsenmann

Mannheim. Julia Willmann tritt am Samstag als Mannheimer Stadtschreiberin "Feuergriffel" an. Mit der Redaktion spricht sie über ihr Projekt und das Lesen für Jugendliche.

Frau Willmann, Sie werden Feuergriffel und wollen in Mannheim an „Die keine Fiege ii und das Rauschen der Welt“ arbeiten. Werden Sie, die Sie ja Familie haben, tatsächlich für drei Monate nach Mannheim ins Turmzimmer ziehen? 

Julia Willmann: Ganz ohne kurze Abstecher nach Berlin wird es nicht gehen. Aber ich werde so viel Zeit wie möglich in Mannheim verbringen – auf diese konzentrierte Schreibzeit jenseits meines Berliner Alltags und den Input einer anderen Stadt freue ich mich so sehr. Außerdem wird es auch Phasen geben, in denen meine achtjährige Tochter mit mir in Mannheim sein wird. Sie ist bereits ein erprobtes „Stadtschreiberinnen-Kind“ und freut sich riesig auf diese besondere Zeit. Wir haben einen Deal: Vormittags wird gearbeitet. Das gilt für sie und für mich. Nachmittags erkunden wir die Stadt. Abends, wenn sie ins Bett geht, kehre ich noch mal an den Schreibtisch zurück.

Warum schreiben Sie für Kinder und Jugendliche? Wie kam es dazu? 

Willmann: Ich bin nicht sicher, dass man sich das aussucht, ob man für Erwachsene schreibt oder für Kinder, ob man kurze Texte verfasst, dicke Wälzer oder Gedichte. Es kostet zwar eine Menge Entschlossenheit und auch Willenskraft, einen Roman zu schreiben; sei es für Kinder oder für Erwachsene. Jedenfalls dann, wenn es ein Roman sein soll, der dann auch Bestand hat vor einem selbst und vor Leserinnen und Lesern. Aber letztlich geht es mir so, dass die Geschichten, bei denen ich die Dringlichkeit verspüre, mich dann tatsächlich auch hinzusetzten und monate- oder sogar jahrelang an ihnen zu arbeiten – dass es sich dabei um Stoffe handelt, die ich mir nicht aussuche, sondern die zu mir kommen. Wie eine Art Auftrag von unbenennbarer Instanz. Das ist wie ein inneres Muss. Ich kann mir gut vorstellen, als nächstes wieder ein Buch für Erwachsene zu schreiben. Und ob mein letztes Projekt „Rascha und die Tür zum Himmel“ nun wirklich ein Kinderbuch geworden ist, das weiß ich gar nicht so genau. Es ist ein Buch für Kinder, ja. Aber die können auch 20, 40 oder 80 Jahre alt sein.

Das Buch kommt zu Ihnen?

Willmann: Ja, dieser Roman, der jetzt im Sommer im Peter Hammer Verlag erscheint, ist genau so ein Beispiel: Er ist zu mir gekommen wie ein Geschenk. Ich hatte dieses Projekt nicht geplant. Und was anfangs als kurzes Bilderbuch gedacht war, wurde letztlich zu einer Arbeit, die mich von der ersten Idee an bis zum Finden des passenden Verlags fast zwei Jahre beschäftigt hat. Diese langen Zeitspannen, die mich ein einziges Projekt beschäftigt, haben sicher auch damit zu tun, dass ich genau kennen muss, worüber ich schreibe: Entweder, weil ich es selbst erfahren oder weil ich es minutiös recherchiert habe. Recherche ist für mich eine extrem wichtige Arbeitsetappe. Das war bei meinem ersten Roman „was es ist“ so, in dem ein besonderes Krankheitsbild miterzählt wird, bei „Rascha und die Tür zum Himmel“, wo die Fastnacht eine bedeutende Rolle spielt und auch jetzt bei „ii“ ist es so: Hier steht eine migrierende Schwebfliege im Zentrum, und ich habe mich monatelang damit beschäftigt, wie Insekten leben. Und damit, vor welchen Nöten und Herausforderungen sie heutzutage stehen, auch angesichts des Klimawandels.

Wie sehen Sie Literatur für diese Altersgruppen generell in Zeiten, in denen die Jugendlichen Stunden vor ihren Mobiles sitzen? 

Willmann: Na, gerade darum und jetzt erst recht. Ich finde es legitim und auch richtig, dass Kinder und Jugendliche heutzutage digital aufgestellt sind ­­– und ich kann nachvollziehen, dass der Reiz zu chatten, zu glotzen, zu gamen und einfach im Internet zu daddeln groß ist. Aber lesen, und gerade das Lesen von Literatur, ist eine ganz andere Art von „Ansprache“, eine ganz andere Einladung an Kinder und Jugendliche, die aus meiner Sicht ihren Raum braucht und immer ihre Berechtigung, ja, ihre Notwendigkeit hat und haben wird. Lesen, das Eintauchen in literarische Texte bedeutet eine große Eigenleistung: Als Leserin und Leser muss man sich selbst einbringen, man hat einen großen Eigenanteil daran, ob eine literarische Fiktion lebendig wird. Das Eintauchen, das Erleben dieser fiktionalen Welten, angefeuert von der eigenen Vorstellungskraft und Phantasie ­– das ist eine großartige Erfahrung. Es wäre ein Jammer, wenn Kinder und Jugendliche darauf verzichten müssten, wenn sich ihnen diese Erfahrungswelt nicht mehr böte.

Was ist Ihr Antrieb beim Schreiben? 

Willmann: Seit ich denken kann, bin ich davon angetrieben, das gute Wort, die geeignete Form, den passenden Sprachrhythmus für das zu finden, was mir wesentlich und erzählenswert scheint. Das ist wie ein kleiner Motor, der unermüdlich in meinem Inneren brummt. Es gibt fast nichts, was mich mehr reizt, als das Leben in Sprache zu fassen. Bisher hat mich in meinen Arbeiten immer wieder das Große im Kleinen interessiert – die existentiellen Themen und auch die Abgründe, die sich in ganz alltäglichen Kontexten und Lebensräumen auftun: Die manchmal fast verrückt anmutende Nähe von Freude und Trauer. Starke Gefühle wie Liebe und Angst. Das Finden der eigenen Bestimmung. Letzteres ist ein Motiv, das in dem Roman für Kinder eine Rolle spielt, an dem ich jetzt in Mannheim arbeiten werde: Schließlich haben auch kleine Fliegen eine Berufung.

Was wollen Sie bei der Klientel erreichen mit Ihren Texten? Haben Sie Sendungsbewusstsein? 

Willmann: Ein Sendungsbewusstsein eher nein, das klingt in meinen Ohren zu didaktisch. Ich habe keine message – und als Leserin bin ich selbst allergisch auf solche Texte. Ich fühle mich dann schnell belehrt und manipuliert und das mag ich nicht ­– schon gar nicht in Texten für Kinder und Jugendliche. Gerade dort wird ja immer wieder in diese Falle getappt. Was ich aber fühle, ist eine Art Verantwortung: Das mitzuteilen und zu teilen, was mich bewegt, was mir wesentlich scheint – und was ich als Autorin geben kann. Wenn meine Texte dazu führen, dass sich auch in großen und kleinen Leserinnen und Lesern etwas bewegt, dass etwas in ihnen in Bewegung kommt, etwas berührt wird, womit sie nicht gerechnet hatten, womit sie vielleicht noch nie oder lange nicht mehr in Kontakt waren, dann ist das für mich die Art von Erfolg, für die ich zutiefst dankbar bin.

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