Man muss sich das einmal vorstellen: Fast sieben Jahre, eine halbe Ewigkeit, wird sie im Frühjahr 2026 geschlossen gewesen sein, die altehrwürdige Stadthalle von Heidelberg. Sieben Jahre kulturelles Exil, sieben Jahre, in denen der Heidelberger Frühling gezwungen war, seine ästhetischen Lagerfeuer anderswo zu entfachen: improvisiert, verteilt, fragmentiert, wie eine bürgerliche Gesellschaft auf Wanderschaft. Jetzt, spätestens im März, soll sie also wieder öffnen, stolzer, schöner, würdiger und vor allem: praxistauglicher als jemals zuvor. Alle atmen auf. Besonders der Intendant Thorsten Schmidt und sein Co-Leiter Igor Levit.
Die Stadthalle war und wird wieder der bürgerliche Gesellschaftsraum schlechthin.
Es geht hier natürlich um viel mehr als nur Beethoven und besseren Sound, um mehr als um das nächste Highlight im Festivalkalender. Die Stadthalle war und wird wieder der bürgerliche Gesellschaftsraum schlechthin. Einst für die Wilhelminische Grandezza gebaut, war sie längst das Wohnzimmer, der Resonanzraum für Klang und Gedanken einer offenen Stadtidee geworden.
Ein öffentlicher Umschlagsplatz, auf dem sich die Wertvorstellungen, Kulturen und Epochen so zwanglos begegnen und befruchten wie die Sozialeinheiten selbst: Intendanten und Handelsleute, Intellektuelle und Handwerker, Studenten und Altvordere, Träumer und Debattierer.
Kulturstätten als neue Räume für Gemeinschaft
Hier wird also – vor allem auch Dank des Heidelberger Frühlings – beileibe nicht nur musiziert, sondern auch gestritten. Hier findet nicht nur Kultur statt, sondern Gesellschaft, Diskurs, Demokratie und das, was Kulturschaffende und manchmal auch -politiker immer als das identitätsstiftende Momentum von Kunst und Kultur bezeichnen. Wo, wenn nicht an Orten wie der Stadthalle, sind denn noch Räume, in denen eine Bürgerschaft als Ganzes zur Teilnahme eingeladen ist? Die Kirche ist in der Krise. Es sind, neben der Kerwe, der Fußballarena und dem Marktplatz vor allem die Theater, Kultur- und Konzerthäuser der Republik.
Dass der „Frühling“ nicht nur Baden-Württembergs größtes Klassikfestival ist, sondern, und das kann man auch sagen, ohne alle zu kennen, eines der interessantesten, abwechslungsreichsten und kreativsten – daran gibt es wohl kaum Zweifel. Und wenn Igor Levit mit glänzenden Augen von der Stadthalle als seinem (ehemaligen) „Spielplatz“ spricht, findet er vielleicht unbewusst das Wort, das solchen Orten gerecht wird: Spielplatz – das ist nämlich nicht nur kindliche Idylle, sondern Ort des Experiments, der Offenheit, ja: der Freiheit – inklusive der Freiheit zum Scheitern. Insofern: Nach fast sieben Jahren wird es für all dies wieder einen Ort geben. Endlich!
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Heidelberger Stadthalle: Rückkehr des kulturellen Herzstücks
Der Heidelberger Frühling kehrt 2026 ins kulturelle Herz der Stadt zurück und vereint dann in der Stadthalle Musik, Gesellschaft und Diskurs, meint Stefan M. Dettlinger.