Mannheim. Madame, wie geht es Emmanuel Macron?
Ariane Matiakh: (lacht) Was soll ich sagen? Ich mache keine Politik.
Er wird in Frankreich kritisch gesehen. Tut er dem Kulturland gut?
Matiakh: Das muss man langfristig sehen. Es gibt viele Baustellen. Gut ist, dass es einen großen Willen gibt, Kultur zu unterstützen. Aber das größte Problem ist das Gefälle von Paris zur Provinz. Daran muss konsequent gearbeitet werden.
Auch für die Sache der Frau muss noch viel getan werden. Sie sind erst die dritte Dirigentin, mit der ich spreche. Stört es Sie, wenn wir über Sie als Frau in einem Beruf sprechen, der noch wie vor von Männern dominiert ist?
Matiakh: Überhaupt nicht.
Sie sind mit 25 Jahren Assistenzdirigentin in Montpellier geworden. War der Weg dorthin schwierig?
Matiakh: Ich habe diese Chance sehr früh bekommen und war sehr gut vorbereitet. Ich hatte das Glück, in Wien wunderbare Lehrer zu haben. Das war sehr ernst und streng, unsere Professoren haben uns, Mann und Frau, immer gesagt: Ihr müsst auf eure Chance vorbereitet sein. Sie kommt plötzlich, und dann müsst ihr da sein. Dafür bin ich sehr dankbar. Für mich kam das auch früh, denn vor der ersten Stelle gibt es kaum Möglichkeiten, sich auszuprobieren. Und der Wettbewerb ist hart.
Frauen mit tollen Jobs haben mir oft gesagt, für sie sei der Weg viel steiniger gewesen als für Männer.
Matiakh: Bei mir nicht. Wir wurden gleich ausgebildet, und bei der Auswahl müssen wir uns gleich beweisen. Die Schwierigkeiten kommen eher danach, wenn es um die großen Positionen mit viel Entscheidungsgewalt und Macht geht. Das können wir Frauen natürlich auch. Das ist dann eher eine Frage des Vertrauens in uns Frauen. Ich bin ja nicht die erste Generation von Dirigentinnen, aber ich habe schon noch den Eindruck, dass man ab einer bestimmten Ebene an Verantwortung eher einen Mann nimmt als eine Frau.
Matiakh in Mannheim
- Künstlerin: Ariane Matiakh, 1980 in Paris geboren, startete 2005 als Dirigentin in Montpellier, wo sie (u.a. Friedemann Layer) assistierte. Sie gastierte an Häusern in ganz Europa, wurde 2018 Professorin an der Pariser Musikhochschule, 2019 GMD in Halle und 2021 Chefdirigentin in Reutlingen.
- Konzert: 3./4. Juli, 20 Uhr im Rosengarten-Mozartsaal. Glinka (Kamarinskaya), Schostakowitsch (Cellokonzert Es-Dur), Rachmaninow (Die Toteninsel), Mussorgski (Eine Nacht auf dem kahlen Berge). Tanja Tetzlaff (Cello), Ariane Matiakh (Ltg.).
- Karten: 0621/160 44.
Hat man Ihnen jemals schon keinen Respekt entgegengebracht oder Ihre Kompetenz angezweifelt?
Matiakh: Meine Erfahrung ist: Wenn ich als Mensch selbst Respekt und Kompetenz zeige, gibt es nichts zu diskutieren. Das hat mit Frau und Mann nichts zu tun. Klar gibt es manchmal Musiker, die den Instinkt haben, einer Frau nicht zu vertrauen, aber wenn ich zeige, dass ich es kann, gibt es keine Diskussionen mehr. Das nimmt manchmal mehr Zeit in Anspruch. Aber ich habe es immer geschafft und arbeite ja jetzt auch schon seit 20 Jahren in dem Beruf.
Orchester sind ja ganz gut gemischt. Aber sicherlich gibt es auch konservative Männer. Mussten Sie sexistische Erfahrungen machen?
Matiakh: Ab und zu, ja. Aber wenn ich merke, dass da etwas auf mich zukommt, kann ich es regeln. Wir sprechen ja dieselbe Sprache: Musik. Sie vereint uns. Ich versuche immer, dass wir uns als Musiker begegnen und beurteilen, nicht als Geschlechter.
Viele Dinge tun Männer und Frauen unterschiedlich. Wie ist es mit dem Dirigieren?
Matiakh: Es gibt viele Arten zu dirigieren – aber nicht, weil es Frauen oder Männer tun, sondern weil Menschen unterschiedlich sind. Ich kenne sehr empfindsame Männer. Die interpretieren anders als Frauen, die viel Power haben. Ich hoffe, dass ich nicht wie meine Kollegen dirigiere und dass Kolleginnen andere Ideen entwickeln als ich. Also ich sehe Unterschiede zwischen Menschen, nicht zwischen Männern und Frauen.
Sie haben Emmanuel Krivine, Friedemann Layer, Lawrence Foster, Alain Altinoglu, Bernhard Kontarsky und vielen anderen assistiert – alles Männer. Hätte sich das Bild des Dirigenten anders entwickelt, wenn es früher mehr weibliche Vorbilder gegeben hätte?
Matiakh: Das weiß ich nicht. Aber ich habe als Kind und junge Frau auch Dirigentinnen erlebt. Es gab sehr wenige. Ich hatte das Glück, mehrmals Simone Young zu sehen oder Sian Edwards. Die haben mich genauso inspiriert wie Männer. Ohne Unterschied. Aber in einer Sache war das wichtig für mich: Ich habe mir gedacht, wenn Simone Young es kann, zu dirigieren und gleichzeitig eine Familie zu gründen und Kinder zu kriegen, dann kann ich das auch. Und darauf wollte ich auch nicht verzichten in diesem schwierigen Beruf. Jetzt habe ich auch zwei wunderbare Kinder. In diesem Sinn war das wichtig. Bei uns Frauen ist das immer ein Thema. Ich kenne umgekehrt keinen Dirigenten, der allein seine Kinder erzogen hat. Meistens sind es die Frauen.
Und wie machen Sie das?
Matiakh: Mit viel Liebe und Energie. Manchmal ist es auch sehr schwer. Aber es lohnt sich.
Sprechen wir mal über Ihren Besuch in Mannheim. Sie kommen mit vier Russen. Warum?
Matiakh: Ich liebe diese Musik und diese Kultur. Sie inspiriert mich. Sie hat viel zu erzählen. Faszinierend.
Was fasziniert sie?
Matiakh: Vieles. Da ist die große Erzählung, die Fantasie, die Farben, die einzigartige Orchestrierung und die Nähe des Lyrischen, Operalen zum Sinfonischen. In Mannheim spielen wir die „Toteninsel“, ich glaube, das ist d a s Meisterwerk von Rachmaninow. Das hört man vom ersten Takt. Wie er die Farben mischt und uns sofort in eine andere Welt entführt.
Der französischen Musik wird immer wieder mal Formalismus vorgeworfen. Vielleicht lieben sie diese ungebändigte Emotion der Russen?
Matiakh: Kann sein, obwohl ich natürlich auch französische Musik liebe und auch als emotional empfinde. Aber es stimmt: Das ist eine andere Ebene und spricht nicht so direkt zum Herzen. Die Franzosen sind ein bisschen verschämter und zurückhaltender. Die Russen schreien „ich liebe dich“, die Franzosen flüstern es.
In jedem Fall sind Sie nicht der Meinung, dass man die russische Kultur wegen des Krieges gegen die Ukraine boykottieren sollte?
Matiakh: Auf keinen Fall, und wissen Sie, dass mein Großvater Ukrainer war. Ich habe auch Familie dort, die leidet. Aber das hat ja nichts mit dem Repertoire zu tun, das wir im Akademiekonzert spielen. Und nehmen wir Schostakowitsch: Was hat er gekämpft gegen das Stalin-Regime. Er war ja nicht frei. Ich vergleiche das mal mit Freunden, die russische Musiker sind. Die sind auch nicht mehr frei. Sie suchen einen Weg aus der Beklemmung über die Musik. Wie Schostakowitsch. Das ist schlau.
Das erzählt Julian Barnes im Roman „Der Lärm der Zeit“ sehr schön. Aber sollte sich Kunst nicht aus der Politik heraushalten?
Matiakh: Ja. Man bittet uns Künstler immer wieder, uns zu äußern. Aber unsere Mission ist es, Ideen zu entwickeln und damit die Menschen auf eine andere Ebene zu heben. Das hat viel mehr damit zu tun, Mensch zu sein, also mit Menschlichkeit. Wir betreiben Intelligenzbildung, Seelen- und Gefühlsentwicklung. Das ist unsere Mission. Es kann sehr gefährlich sein, sich als Künstler unter Politiker zu mischen. Politik hat mit unserer Arbeit nichts zu tun. Immer wenn ich dirigiere, denke ich mir: Ich will die Menschen vereinen und uns gemeinsam weiterzuentwickeln.
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