Mannheimer Sommer

Deshalb ist Don Giovanni frei, das Böse zu tun

Jan Dvorák blickt im Interview auf das am 27. Juni beginnende Musikfestival „Mannheimer Sommer“, das den Geist des Feierns erkunden will - zum Beispiel mit einem neuen „Don Giovanni“ oder einer Rede von Luisa Neubauer

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Als Fan der Aufklärung wird er dennoch auch mal romantisch: „Sommer“-Macher Jan Dvorák. © Christian Rinke

Mannheim. Herr Dvorák, haben Sie für die Programmplanung des Mannheimer Sommers KI benutzt?

Jan Dvorák: Selbstverständlich! (lacht) Im Ernst: Als Chatgpt herauskam, habe ich mich schon sehr intensiv damit befasst. KI hat ja große Auswirkungen auf die Kunst. Aber so ein Festival wie der Mannheimer Sommer ist das absolute Gegenteil dieser technischen Welten: die Begegnung von Musik, Theater und Menschen in der verzauberten Atmosphäre der Schwetzinger Schlossanlage!

Verzaubert – das klingt so romantisch. Eigentlich sind Sie doch Fan der Aufklärung …

Dvorák: Da haben Sie Recht. Heute versteht man Aufklärung immer als so ein nüchternes, hässliches Projekt. In Schwetzingen kann man sehen, dass Wissen und Schönheit auch Hand in Hand gehen können. Was für eine Anregung in unseren Zeiten, wo man sich die Zukunft immer nur als Dystopie vorstellt. Daher setzen wir den Garten mit verschiedenen Projekten wie der musikalischen Boxperformance in der Gartenmoschee oder dem Audiowalk „Der geheime Garten“ in Szene.

Kunst braucht Freiheit. Freiheit braucht den Mut, das Richtige zu tun, auch wenn einen keiner dazu zwingt.

Also ein Appell: Habt Mut zur Utopie! Geht es Ihnen im Kern darum mit dem Mannheimer Sommer?

Dvorák: Ich finde schon. Deswegen haben wir auch das Motto: „Lasst uns feiern!“ gewählt. Denn worum geht es am Ende? Um Gemeinsamkeit, Lebensfreude, geistigen Austausch. In der Mechanik der Sachzwänge geht das oft verloren. Stücke wie „Don Giovanni“ oder auch „Moby Dick“ erinnern uns daran, dass wir eine Wahl haben.

Don Giovanni hat eine Wahl? Ist der nicht hormonell ferngesteuert?

Dvorák: Klar, das ist eine Frage der Deutung. Für mich ist Don Giovanni ein Mensch, der alle überlieferten moralischen Bindungen abgestreift hat. Er ist frei – auch frei, das Böse zu tun. Bloß spricht das nicht gegen die Freiheit, sondern gegen seine Entscheidungen. Kunst braucht Freiheit. Freiheit braucht den Mut, das Richtige zu tun, auch wenn einen keiner dazu zwingt. Ich hoffe, man spürt diesen Geist im Festival …

Dvorák und das Festival

  • Jan Dvorák: Der Operndramaturg wurde 1971 in Hamburg geboren und studierte Komposition, Theorie und Musikwissenschaft. 2016 wurde er Chefdramaturg am NTM. Seit 2019 ist er wieder freischaffend, verantwortet aber in Mannheim weiter das Festival „Mannheimer Sommer“.
  • Mannheimer Sommer: Start am 27. Juni, 18.30 Uhr, Schlossgarten Schwetzingen, ab 19 Uhr „Don Giovanni“ (Regie: Alexander Mørk-Eidem), Schlosstheater (Restkarten). Bis 7. Juli gut 20 verschiedene Produktionen.
  • Info/Karten: 0621/1680 150

 

Dazu müsste es ja erst mal anfangen. Was man aber schon spürt, ist wieder mal ein Geist, mit Unkonventionellem und auch Popkultur ein anderes und jüngeres Publikum zu locken. Sie machen das ja jetzt auch schon lang – Hand aufs Herz: Wie gut funktioniert das?

Dvorák: Ich glaube, man braucht einen langen Atem. Es gab ja in den letzten Jahren mit Corona und Sanierung viele Brüche, da musste man durchhalten. Aber ich bin tendenziell ein optimistischer Mensch, und ich liebe das, was ich hier mache! Daher glaube ich, dass es sich langfristig auszahlt. Was wäre auch die Alternative?

Im Gegenteil, eine Durchdringung der Sphären ist wünschenswert und könnte verstärkt werden – das sehe ich als Alternative: Popkultur, die für einen Großteil der Menschen so wichtig ist, überhaupt ins Musiktheater reinlassen. Mozart und andere nahmen ja auch ganz gezielt Popkultur in ihre Werke auf. Das Verbannen vor die Opernmauern ist ein Problem vor allem der Gegenwart.

Dvorák: Ich sehe das ähnlich. Daher gibt es eine ganze Bandbreite von Cross-over-Projekten im Festival: Die Orchesterkaraoke natürlich, das „Re-Creation“-Konzert mit Get-Well-Soon-Star Konstantin Gropper, die „Mozart Dance Explosion“ mit dem Mumumitch Disko Orkestar oder auch so Sachen wie das „Wooden Elephant“-Streichquintett, die Björk wie eine moderne Kammermusik spielen.

Björk ist aber mittlerweile auch eher was für Leute in Ihrem Alter – auch wenn ich Ihnen da nicht zu nahe treten will. Müsste nicht ganz junges Material auch da rein? In Heidelberg machen Sie Taylor-Swift-Gottesdienste – die Leute rennen dort die Kirchentore ein …

Dvorák: Einspruch: Ich war in Hamburg beim Konzert von Björk – ein diverseres Publikum habe ich lange nicht gesehen! Es muss halt inhaltlich passen, das ist entscheidend, wenn man nicht einfach nur dem letzten Hype nachlaufen will …

Sagen wir so: Nach all den Desastern der letzten zwei Jahre hatte das ganze Team Lust auf ein Motto, das Spaß macht.

Tun Sie das nicht auch mit Luisa Neubauer als Rednerin?

Dvorák: Keinesfalls! Das Umweltthema beschäftigt uns schon seit langem, das letzte Festival und die greeNTO-Konzertreihe standen unter diesem Motto. Bei Luisa Neubauer war für uns interessant, dass sie ihre umweltphilosophischen Betrachtungen in den Rahmen eines Konzertes einbettet. Den aufklärerische Gestus eines Beethoven sozusagen in die Gegenwart fortführt! Bei der Uraufführung gab es dafür Standing Ovations! Es war wirklich berührend.

Okay, ich habe jetzt kapiert, dass alles, was Sie machen, richtig ist. Der Logik entsprechend können Sie sicherlich auch erklären, dass nach dem Rechtsruck bei der Europawahl Ihr Motto „Lasst uns feiern“ das Richtige ist, obwohl ich niemanden kenne, der in Feierlaune ist …

Dvorák: Hmm. Da haben Sie mich erwischt … Natürlich hofft man immer, die Sache richtig zu machen. Aber die Weltlage kann einem da ganz schön einen Strich durch die Rechnung machen. Sagen wir so: Nach all den Desastern der letzten zwei Jahre hatte das ganze Team Lust auf ein Motto, das Spaß macht.

„Der Fremde“ von Camus über einen Todeskandidaten dürfte aber auch als Oper keinen Anlass zum Feiern geben …

Dvorák: Stimmt. „Der Fremde“ ist ja das Ergebnis unseres Kompositionswettbewerbes, also ein neu geschriebenes Musiktheaterstück, das ganz anders ist, als man vielleicht erwartet. Ein Gesamtkunstwerk aus Licht, Klängen, Stimmen, Instrumenten … eine Art Meditation über Camus Idee des „Absurden“. Eine sehr zeitgemäße Idee, scheint mir. Cecilia Arditto komponiert sie mit einer gewissen Leichtigkeit – aber mit „Feiern“ hat das natürlich nichts zu tun.

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Worauf sind Sie im Programm besonders stolz?

Dvorák: Wir sind ja ursprünglich wegen der Sanierung des Stammhauses nach Schwetzingen gegangen, wo sonst immer nur einzelne Veranstaltungen des Festivals waren. Ich hatte anfangs echte Sorgen, dass die überbordende barocke Schönheit und Fülle dort uns erdrücken wird. Ich finde aber nun, dass unser Programm zugleich den Ort feiert und einen Gegenakzent in Richtung Gegenwart setzt. Das macht mich wirklich froh!

Zum Schluss noch: Im Programmheft steht, Sie hätten den Essay dort von Hand geschrieben? Das ist doch eine vollkommen veraltete Kulturtechnik …

Dvorák: Na ja … per Hand klingt jetzt romantischer, als es war. Ich habe ihn ganz konventionell in den Computer getippt, mit meiner Drei-Finger-Technik. Aber wie ich anfangs sagte: Ich schaue mit einer Mischung aus Faszination und Schrecken auf die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz. Ich glaube, sie wird schon bald mehr Einfluss auf unseren Alltag, aber auch auf unsere künstlerische Arbeit bekommen, als wir es uns heute vorstellen können. Vielleicht ein nächstes Festivalthema? (lacht) Umso mehr denke ich dann, dass die direkte Begegnung, die Auseinandersetzung, das gemeinsame Erlebnis von entscheidender Wichtigkeit bleibt. Das ist unser Anspruch, dazu laden wir alle Menschen dieser Region ein!

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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