Klimaschutzaktivismus

Luisa Neubauer: Was Beethoven mit der Klimakrise verbindet

Umweltaktivistin Luisa Neubauer hält beim „Mannheimer Sommer“ eine „Rede in Es-Dur“ zu Ludwig van Beethovens Cavatina aus dem Streichquartett op. 130 - was Neubauer die Musik gibt, wie sie denkt und hofft

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Stefan M. Dettlinger
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Luisa Neubauer hält beim „Mannheimer Sommer“ eine „Rede in Es-Dur“. © Kay Nietfeld/dpa

Mannheim. Luisa Neubauer sagt gleich, dass sie wenig Zeit hat. Es täte ihr leid, aber sie müsse parallel noch auf einem Event der Fridays-for-Future-Bewegung reden. Dabei wirkt die 28-jährige Aktivistin, die beim Mannheimer Sommer eine „Rede in Es-Dur“ halten wird, entspannt und plaudert locker drauf los – ein nettes Gespräch entwickelt sich.

Frau Neubauer, darf ich einen Screenshot machen?

Luisa Neubauer: Na, klar.

Ich habe mir Bilder von Ihnen im Netz angesehen. Ich würde sagen, zu 95 Prozent sind Sie ernst darauf, was man angesichts Ihres Themenfelds nachvollziehen kann. Lachen Sie oft – ich meine privat?

Neubauer: Ich lache viel, ja. Ich bin ein fröhlicher Mensch, aber vielleicht ist es auch der Wunsch von Fotografen, dass wir Aktivistinnen wütend oder unzufrieden aussehen sollen, und der Moment dann eher abfotografiert wird. Also da müssen Sie die Kollegen Fotografen befragen.

Sie sind ja wahnsinnig berühmt geworden. Werden Sie eigentlich auch von Paparazzi verfolgt?

Neubauer: Manchmal schon, ja.

In Mannheim geht es hoffentlich friedlich zu, da werden Sie eine Rede in Es-Dur halten…

Neubauer: … mhm.

Wissen Sie, wie viele Vorzeichen die Tonart Es-Dur hat?

Neubauer: (überlegt) Ich würde sagen, so zwei bis drei.

Nicht schlecht, es sind drei b. Sie haben Ahnung. Für Beethoven war Es-Dur heroisch, kaiserlich. Die Cavatina op. 130 ist aber eines seiner empfindsamsten Stücke. Passt das zu dem, was sie dazu „reden“?

Neubauer: Ja, ich habe mich viel mit der Cavatina beschäftigt, mit Beethoven, der Zeit, in der er sie schrieb. Da hilft mir, dass ich viele Jahre Klavier- und Flötenunterricht hatte. Ich habe einen musikalischen Zugang zu ihm. Und ich fand das eine schöne Vorstellung, dass Beethoven, ohne es zu wissen, den Takt für meine Rede vorgibt. Vier von den fünf Akten sind sehr, ja, sanft, traurig, bewegt, und am Schluss nimmt das eine wahnsinnig erleichternde, befreiende Wendung.

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Wie weit haben Sie’s gebracht – also am Klavier?

Neubauer: Ich habe die Handynummer von meinem Klavierlehrer immer noch, ich spiele immer noch.

Was spielen Sie?

Neubauer: Jetzt gerade ist es natürlich Vivaldi, der „Frühling“. Letztens wurde ich gefragt, auf Hochzeiten zu spielen. Also da wünsche ich allen Beteiligten noch viel Erfolg … Ich habe sogar einmal in der ARD Klavier gespielt. Aber die Tonleitern laufen nicht mehr so wie früher, als ich wöchentlich im Unterricht saß.

Sie sind also voll mit klassischer Musik sozialisiert?

Neubauer: Ja, aber ich habe als Jugendliche in Hamburg auch in einer Mädchenband gespielt. Gitarre und Schlagzeug. Klassische Musik hat mich aber stark begleitet. Es ist wie bei vielen jungen Menschen, die an der Musikschule ein Instrument lernen: Man hat dann eine Teenie-Phase, wo man das alles blöd findet, nur noch Pop spielen und improvisieren will. Das war bei mir auch so. Aber irgendwann kommt eben der Weg zurück und man stellt fest, wie viel einem klassische Musik geben kann.

Für eine Karriere als Rockstar ist es fast etwas spät jetzt …

Neubauer: … wie definieren Sie Rockstar?

Stimmt, eigentlich sind Sie Rockstar, ohne Rockmusik zu machen.

Neubauer: Und vielleicht ist das für uns im Klimakampf das Beste, was uns passieren konnte, dass wir es geschafft haben, Klimaaktivismus zu etwas zu machen, was auch cool und schön sein kann, zu etwas, bei dem man sich nicht entscheiden muss zwischen Ästhetik und Werten.

In Hamburg und Berlin haben Sie das Projekt schon einmal gemacht. Wie war die Resonanz?

Neubauer: Na ja, meine Mutter hat geweint.

Wenn Töchter Erfolg haben, weinen alle Mütter…

Neubauer: Nicht meine. Ich war überrascht. Ich habe sie auch gefragt, ob ich da was Falsches in ihr ausgelöst habe. Es ist schon auch ein anstrengendes Stück. Die Kombination aus Beethoven, dem Ensemble Resonanz und der Rede über die Klimakrise und allem, was damit zusammenhängt – wir wollen mit dieser Rede auch ein Überforderungsmoment kreieren. Ich bin auch gefordert, wenn nicht überfordert, weil das sehr viel loslöst, was man im Raum spürt. Und die Herausforderung ist ja, dass wir aus den dunklen Teilen wieder rauskommen. Das ist sportlich.

Sie wollen zurück zum „Frühling“?

Neubauer: Teils, gleichzeitig soll die Rede schon auch etwas Unbequemes auslösen. Die Rede ist kein Spaziergang durch IKEA. Es ist auch ein Moment der Verunsicherung.

Haben Sie an Ihren Worten für Mannheim etwas verändert?

Neubauer: Schon Berlin war anders als Hamburg. Mal sehen, ob ich das noch mal weiterentwickle.

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Gehört so ein Abend zu dem, was Sie schaffen wollen: eine neue politische Bewegung ohne Programme und das Brimborium drumherum?

Neubauer: Das haben wir ja schon geschafft, oder? Wir haben ökologische Bewegungen organisiert. Es bewegt sich überall etwas, Menschen und auch Politik bewegen sich, weil wir es geschafft haben, Klima von einer bestimmten Partei loszulösen und zu einer Frage hinzuführen, die uns alle betrifft und bei der alle mitreden müssen. Und jetzt, wo ich niemandem mehr die Klimakrise erklären muss, müssen wir erklären, was wir der Krise entgegenstellen können. Statt Krisenkommunikation mache ich jetzt mehr Hoffnungskommunikation. Das muss auch unsere Tonlage sein. Da ist die Musik bedeutsam, das Heilende und Ruhende.

Sie sprachen von der Trennung des Themas von einer Partei, den Grünen. Sie sind ja Mitglied. Warum gibt es eigentlich nicht längst eine radikalere grüne Partei?

Neubauer: Das frage ich mich auch.

In Regierungsverantwortung muss man Kompromisse eingehen, aber teils sind die haarsträubend…

Neubauer: … katastrophal, finde ich.

Sie waren mal in einem Podcast von Christian Lindner. Was macht das mit Ihnen, wenn da einer vollen Ernstes gegen Tempolimit ist und auch sonst tut, als gäbe es in erster Linie wirtschaftliche Probleme?

Neubauer: Och, ich denke da: interessante Meinung, aber in diesem Falle Quatsch. Und dann präsentiere ich meine Gegenargumente. Wir müssen über die Sachen reden, und ich glaube, wenn ich jedes Mal die Geduld verliere, wenn jemand mit faktisch falschen Dingen daherkommt, dann würde ich ja zu nichts mehr kommen. Der Podcast hatte große Resonanz auf Youtube. Wir brauchen das: Man setzt sich hin und lässt das zu, dass da jemand neben einem sitzt, dem man an endlos vielen Stellen nicht zustimmt. Das ist Demokratie. Das brauchen wir. Das ist mein Job.

Luisa Neubauers Rede

Luisa Neubauer: Die 1996 in Hamburg geborene Klimaschutzaktivistin ist die Ikone der deutschen Fridays-forfuture-Bewegung. Neubauer hat Geographie studiert.

Die Rede in Es-Dur: Neubauer beendet zusammen mit dem Streichquartett Ensemble Resonanz den Mannheimer Sommer am Sonntag, 7. Juli, um 11.30 Uhr im Mozartsaal des Schwetzinger Schlosses. Sie spricht zu Beethovens Cavatina aus dem Streichquartett op.130 darüber, dass es sich lohnt, für eine bessere Welt zu kämpfen

Infos und Karten unter  0621/1680 150

Warum haben wir kein Tempolimit? Die Auto-Lobby?

Neubauer: Nee, nee, nee, nee! Die FDP, ihr und Christian Lindners Überlebenskampf haben sich da an einer kleinen ideologischen Front aufgehangen. Ich befürchte, Lindner verknüpft seine eigene politische Größe damit, wie schnell die Leute rasen können. Er meint, das sei Freiheitskampf. Ich glaube mittlerweile, das muss man therapeutisch und nicht politisch beantworten.

Das Berliner Dreigestirn aus Rot-Grün-Gelb ist angetreten als Fortschrittskoalition. Wie schätzen Sie die Fortschritte in Sachen Klimaschutz und Emissionen ein?

Neubauer: Woran messen wir das? An der GroKo? Oder können wir sagen: Herzlichen Glückwunsch Ampel, das war jetzt keine kleine Revolution? Wenn wir es daran messen, was gemacht werden müsste – dann Gute Nacht. Vielleicht ist beides gleichzeitig wahr. Was mich neben der Klimabilanz der Welt nachdenklich macht, ist die Klimabilanz der Ampel: Was für ein Diskussionsklima hat sie? Was für ein politisches Klima hat diese Ampel verursacht?

Ich finde das problematisch, wenn Debatten so geführt werden, wie die Ampel das in vielen Teilen gemacht hat. Über Schlagzeilen, Click-Baites, Populismen, die am Ende alle nur ermüden und Menschen dazu bringen, ihr Vertrauen in die Politik zu verlieren. Und das sind die wichtigsten Ressourcen, die wir in allen Krisen haben: Vertrauen in die Politik und keine Ermüdung in Debatten, die Krisen nur noch verwalten können, weil sie alleine schon anstrengend genug sind.

Europa und Teile der Welt kämpfen ums Überleben der Demokratie, die Emissionen steigen weltweit weiter an, die nächsten Kriege werden um Territorien geführt, um Wasser und andere lebenswichtige Stoffe: Was gibt Ihnen die Hoffnung, dass der Mensch das Ruder doch noch irgendwie herumreißen kann?

Neubauer: Die Wissenschaft ist eindeutig: Gerade rasen wir in die falsche Richtung, aber es gibt endlos viele andere Klima-Pfade, die wir noch einschlagen können. Wir wissen auch, dass politisches Handeln und Bewegungen bis heute noch schlimmere Realitäten verhindern konnten. Ich halte es für eine aktivistische Praxis oder sogar einen demokratischen Modus, dass wir eine Art Hoffnungsmanagement betreiben und anerkennen, dass unglaublich viele Dinge erst dann möglich sind, wenn wir loslegen. Im Augenblick, in dem wir sagen, es ist unmöglich, wird es unmöglich.

Die Zukunft liegt in unseren Händen. Im Dezember hätte niemand gedacht, dass eine riesige Demokratiebewegung entsteht, und im Januar war sie auf einmal da. Hätten wir im Dezember alle gesagt: Das wird nichts mehr und wir haben gegen die Faschisten verloren, dann hätte es auch die Bewegung nicht gegeben. Und alle, die mehr Katastrophen sehen wollen, hoffen darauf, dass wir kleinen Leute die Hoffnung aufgeben. Das wäre das Größte und Billigste, was denen passieren könnte. Es gibt Stimmen aus der UN, die sagen, dieser sogenannte „Doomismus”, die patentierte Hoffnungslosigkeit, ist eine neue Form von Klimaresignation und -leugnung, weil unterm Strich immer Nichtstun kommt.

Lässt sich Hoffnung organisieren?

Neubauer: Hoffnung ist harte Arbeit, sie fällt uns nicht in den Schoß. Ich verstehe, dass es leicht ist, auf die großen Krisen zu gucken und dann zu denken: „Was kann ich schon ausrichten?” Aber letztlich ist die Menschheitsgeschichte eine Reihung großer Ereignisse, Krisen und Fortschritte, die meist nur möglich waren, weil viele Menschen beteiligt gewesen sind.

Das konnten wir schon immer, und wir können es auch heute. Nicht einer muss alles für uns machen, sondern alle können etwas tun. Jedes kleine Ding fühlt sich für uns rödelig an – aber wenn Millionen von Menschen es machen, ergibt es Sinn. Klimaaktivismus hat auch mit Vorstellungskraft zu tun, die wir trainieren müssen. Es ist wie bei einer Demo. Ist man alleine da, führt das zu nichts. Wir müssen lernen, dass das Kleine etwas Großes werden kann.

Wie gehen Sie eigentlich mit dem Zwiespalt um, dass wir nachhaltiger leben wollen, aber mit diesem Zoom-Meeting schon wieder neue Emissionen erzeugen?

Neubauer: Solange wir in der Klimakrise leben und auf Nachhaltigkeit hinarbeiten, müssen wir diese Widersprüche aushalten. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Das ist die Phase, in der wir sind. Ich halte es aber für verkehrt, Menschen wegen Kleinigkeiten im Alltag fertig zu machen, wissend, dass 100 Konzerne 70 Prozent der Emissionen ausstoßen.

Ich würde sagen: Chose your battle. Ich lebe meistens vegan, fahre Bahn, Bus und Rad, das ist für mich wichtig und befreiend, möglichst ökologisch zu leben. Aber ich verstehe auch den Opel fahrenden Nachbarn. Meine Frontline verläuft da, wo wir gemeinsam politischen Wandel organisieren, damit mehr Leute sich entscheiden können, nachhaltig zu leben. Weil Bio-Lebensmittel bezahlbar werden, weil der Bus pünktlich kommt, weil der ICE günstiger wird als das Flugticket.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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