Theater - Der Heidelberger Stückemarkt steht vor der Tür – Holger Schultze und Jürgen Popig über das Festival für junge Dramatik

Der 39. Stückemarkt steht vor der Tür - junge Kollektive auch

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Auf dem Theaterplatz in der Altstadt wird erstmals das Festival-Zentrum des Stückemarktes stehen. Die Vorfreude auf lebendigen Austausch und neue Dramatik ist Heidelbergs Intendant Holger Schultze (links) und dem Leitenden Schauspieldramaturgen Jürgen Popig anzusehen. © Philipp Rothe

Baurechtliche, finanzielle, verkehrspolitische, feuerpolizeiliche, anwohnerbedingte... An ordnungsamtlichen Gründen, dem Stückemarkt auf dem Theaterplatz die Genehmigung zur Aufstellung eines Festivalzentrums zu versagen, mangelte es der Stadt Heidelberg seit Jahrzehnten nicht. Nun wird das Unglaubliche wahr. Darüber und über das, was es beim 39. Heidelberger Stückemarkt noch zu feiern gibt, sprachen wir mit Intendant Holger Schultze und seinem Leitenden Dramaturgen Jürgen Popig.

Herr Schultze, ein Festivalzentrum auf dem Theaterplatz? Glückwunsch zur historischen Großtat!

Holger Schultze: Wenn Sie meinen, das sei eine - Danke! Wir hatten bei „Adelante!“ (iberoamerikanisches Festival des Theaters, d.Red.) mal einen Container für die Diskussionsveranstaltungen als Versuchsballon, und es ist supergut angenommen worden. Jetzt ist es uns für den Stückemarkt genehmig worden und wir freuen uns sehr.

Warum, meinen Sie, geht das nun?

Schultze: Zum einen sind mir die Problemfelder meiner Vorgänger wohl nicht so im Detail vertraut wie Ihnen, aber es hat ganz direkt auch damit zu tun, dass die von Mäzen und Unternehmer Wolfgang Marguerre finanzierte Neugestaltung des Theaterplatzes nun abgeschlossen ist. In Sachen Stadt ist es aber natürlich auch eine Frage des Vertrauens. Man glaubt uns, dass wir da keine wüsten Partys machen. Vielleicht hat ja die Corona-Zeit geholfen, mehr Toleranz zu schaffen.

...und Raum für Begegnung zuzulassen?

Schultze: Wir merken, dass die Sehnsucht nach Begegnung nun nach den Pandemiebeschränkungen unendlich groß ist. Das ist eine Mega-Chance, in diesen Zeiten einen zusätzlichen Ort für Austausch und Gespräch im Freien zu schaffen.

Es trägt das Theater nach außen?

Jürgen Popig: Sicher, es ist zentraler und sichtbarer als ein Probensaal oder eine Nebenbühne. So ein Treffpunkt draußen weckt Neugier bei Passanten und sorgt dafür, dass Leute das Festival noch stärker wahrnehmen, vor allem bei der Tendenz, dass Kartenkauf immer kurzfristiger wird, spontane Entscheidungsfreude aber zunimmt.

Was gibt es 2022 noch zu feiern?

Popig: Den Nachspielpreis des Stückemarkts gibt es seit zehn Jahren! Die Idee eines Zweitaufführungsfestivals haben wir ja schon aus Osnabrück mitgebracht. Gedanke bei beidem war und ist: Warum soll man immer nur Uraufführungen spielen? Wenn ein Stück gut ist, kann es auch nachgespielt werden.

Andernorts werde ich oft darauf angesprochen. Wahrscheinlich weil es auch ein Alleinstellungsmerkmal unseres Festivals ist. Und es gibt mittlerweile messbar mehr Nachspielinszenierungen.

Der Jugendstückepreis blickt heuer auch auf zehn Jahre.

Schultze: Auch da geht es ja letzten Endes um Sichtbarmachung. Aus drei geladenen Jugendtheatergastspielen ermittelt eine jugendliche Jury einen Gewinner, der nicht nur 6000 Euro erhält, gestiftet von dem Unternehmerehepaar Bettina Schies und Klaus Korte, sondern auch 2023 im Rahmenprogramm der Mülheimer Theatertage gezeigt wird. Stücke werden dafür gemacht, dass sie in möglichst vielen Städten gesehen werden. Das macht Autoren, Themen und die Auseinandersetzung damit bekannter.

Was erwartet uns bei den Gastspielen Herausragendes?

Schultze: Vieles! Aber zwei davon muss man gesehen haben: Es ist uns gelungen, Christopher Rüpings Dante-Überschreibung „Das neue Leben“ vom Schauspielhaus Bochum hierher zu holen, eine Inszenierung, die auch zum Theatertreffen eingeladen ist. Oder die Koproduktion von Schauspiel Leipzig und Deutschem Theater: „White Passing“, ein Stück über Alltagsrassismus, das nach Mülheim eingeladen ist. Dass man solche Produktionen hier sehen kann, macht uns stolz.

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Bildet der diesjährige Autorenwettbewerb einen Trend ab?

Popig: Es fällt auf, dass es mehr Stücke gibt, die mehrere Autorinnen und Autoren haben. Die Tendenz hat sich dieses Jahr verstärkt, Kollektive sind auf dem Vormarsch.

Was sind die Themen?

Popig: Inhaltlich gibt es zwei Schwerpunkte, der erste ist das Nachdenken über Naturzerstörung oder darüber, dass sich die Natur ihren Lebensraum zurückholt. Im Autorenwettbewerb gehen das etwa die Stücke „Wald“ von Miriam V. Lesch oder Philipp Gärtners „OLM“ thematisch an. Aber auch bei den Gastspielen findet es statt, etwa in der Produktion „Revue“ vom Theater Bremen, eine fulminante Trauerfeier für die ausgestorbenen Arten.

Und der zweite Schwerpunkt?

Popig: Kein unbedingt ganz neuer, doch ein wichtiger: das Genderthema. Geschlechtergerechtigkeit, Machtmissbrauch, #metoo, all das spielt eine große Rolle, sowohl in den eingereichten Stücken als auch in den Aufführungen, wobei auch der Kulturbetrieb selbst in den Fokus gerückt wird, wie etwa in Paula Thieleckes Text „Judith Shakespeare rape an revenge“, das ebenso am Theater spielt wie das Gastspiel „R-Faktor“ von den Münchner Kammerspielen.

Die Ukraine spielt auch eine Rolle?

Schultze: Der Stückemarkt war immer eine Standortbestimmung der Gegenwart und durch die Autorenbeiträge auch eine Positionierung dazu. Wir werden am 1. Mai unter dem Titel „Exil und Empowerment“ bei einem Podiumsgespräch mit ukrainischen Kunstschaffenden die Frage stellen „Wie geht’s weiter mit der Kunst in der Ukraine?“

Popig: ...Und dabei teilweise mit den gleichen Menschen und Theatermachern sprechen, die schon 2017, als die Ukraine Gastland des Stückemarkts war, bei uns auf dem Podium saßen - und gut zuhören.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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