Schauspiel - Heidelberg gibt Besuchern „Triggerwarnungen“ – die Dramaturginnen Lea Goebel und Theresa Leopold wissen mehr.

Vorsicht, gewaltiges Theater!

Heidelberg gibt Besuchern „Triggerwarnungen“ – die Dramaturginnen Lea Goebel und Theresa Leopold wissen mehr.

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Ruppig geht es in der für den Jugendstückepreis nominierten Produktion „Krummer Hund“ vom Berliner Theater an der Parkaue zu. Der Stückemarkt setzt daher eine Triggerwarnung an. Claudia Korneev (v.l.n.r.), Tenzin Chöney Kolsch und Nicolas Sidiropulos geben hier szenisch alles. © Sinje Hasheider

An Theatern gibt es einen neuen Trend: Auf den Homepages, Online-Karten-Portalen oder auch ganz analog in Spielzeitheften oder Leporellos informieren die Häuser über Inhalte und Spielweisen, die etwas auslösen könnten: Sie gebe sogenannte Triggerwarnungen. Über dieses Phänomen und darüber, ob und wie sinnvoll es ist, sprachen wir im Vorfeld des Heidelberger Stückemarkts (29. April bis 8. Mai) mit zwei dafür zuständigen Dramaturginnen: Mit Lea Goebel, die den „Netzmarkt“, also die digitale Sparte des Sprechtheater-Festivals, betreut, und mit Theresa Leopold, zuständig für das Junge Theater Heidelberg und den ausgeschriebenen Jugendstückepreis.

Frau Goebel, Frau Leopold, was bedeutet Triggern überhaupt?

Lea Goebel: Der Begriff kommt aus der Psychologie und dem Kontext der Traumatheorie. Dort werden damit Reize bezeichnet, die eine traumatisierte Person spontan in die traumatisierende Erfahrung zurückversetzen und damit einhergehende Stresssituationen auslösen können. Am Theater sollen Triggerwarnungen dazu dienen, Personen vor diesen heftigen Situationen zu bewahren und ihnen die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, ob sie die Inhalte dieser Theateraufführung konsumieren möchten oder eben nicht.

Wie wurde der Begriff bühnenreif?

Goebel: In den USA haben Triggerwarnungen im universitären Kontext bereits vor vielen Jahren eine Debatte ausgelöst. Seit einiger Zeit wird die Triggerwarnung auch in Europa vermehrt im alltäglichen Kontext verwendet, vor allem auf Social Media. Am Theater beobachte ich diese Tendenz seit gut einem bis anderthalb Jahren.

Wie sehen die Warnungen aus?

Theresa Leopold: Sie werden auf den Homepages platziert, direkt bei den Stücken, die es betrifft. Differenziert wird die Triggerwarnung dann bei den auswählbaren kurzen Details zum Stück, also da wo auch Besetzung und Stückbeschreibung stehen.

Dramaturginnen

  • Lea Goebel studierte Vergleichende Literatur- und Kulturwissen-schaft sowie English Studies in Bonn und an der Université Paris-Sorbonne. Sie ist Teil des „dramaturgie-netzwerks“, wo sie sich für faire Arbeits-strukturen und kulturpolitische Erneuerungen am Stadttheater einsetzt.
  • Beim Heidelberger Stückemarkt betreut sie den „Netzmarkt“, also die digitale Sparte des Sprechtheater-Festivals kuratorisch. Aus diesem Festivalbereich sind zwei Produktionen mit Trigger-Warnungen versehen: „Loulou – eine interaktive Fiktion über rechtsextreme und antifeministische Netzwerke im Internet“, die als „Betreutes Spielen“ im App-Format erscheint, sowie der Film „Darkroom revisited“ vom Maxim Gorki Theater Berlin, der am 3. Mai, 20.30 Uhr zu sehen ist.
  • Theresa Leopold studierte Kunst-geschichte, Theaterwissenschaft, Anglistik und Amerika-nistik in Dresden und Berlin. Sie ist Dramaturgin am Jungen Theater Heidelberg und auf dem Stückemarkt für den ausgeschriebenen Jugendstückepreis (6000 Euro) zuständig.
  • Triggerwarnungen erhalten hier „Vater unser“ vom Schauspiel Hannover (5. Mai, 11 und 18,30 Uhr) sowie das oben abgebildete Stück „Krummer Hund“. 

Bei der filmischen Netzmarkt Produktion „DARK ROOM revisited des Berliner Gorki Theater steht: „Triggerwarnung: Nacktheit, Sexualität, sprachliche Ausdrücke sexualisierter Gewalt“...

Goebel: Genau, beispielsweise. Bei anderen Stücken können da eben auch andere Hinweise und Schlagworte stehen, wie körperliche und seelische Gewalt, Kindesmissbrauch, Selbstverletzung, Suizid, Krieg, Essstörung oder Mobbing...

Puh, ein bunter Strauß klassischen Grauens. Aber Traumatisierung ist doch auch eine sehr individuelle Sache... Beschränkt sich das ausschließlich auf die „gängigen Kriminalitätsfelder“?

Goebel: Das entscheiden die Theater individuell. Persönlich bin ich unsicher, wie zielführend Triggerwarnungen am Theater sind. Zum einen müsste konsequenterweise dann der Großteil der Stücke mit Triggerwarnungen versehen werden, da in vielen dramatischen Stoffen mindestens eins der genannten Themen verhandelt wird. Zum anderen werden Menschen von unterschiedlichen Dingen „getriggert“, es ist schwierig, der Vielschichtigkeit des Publikums da gerecht zu werden.

Frau Leopold, stimmen Sie Ihrer Kollegin da zu?

Leopold: Nein. Das sehe ich für das Kinder-und Jugendtheater ganz anders. Hier ist es total wichtig, dass wir eine Art von „Safe space“ für Kinder und Jugendliche kreieren. Vor allem jetzt, wo Studien gezeigt haben, dass diese von der Pandemie deutlich mehr betroffen sind. Zahlen belegen, dass Depressionen, Suizid-Gefährdung, Ess- und Angststörungen in den letzten zwei Jahren angestiegen sind. Wenn wir Triggerwarnungen nicht aussprechen und Kinder und Jugendliche unvorbereitet in die Aufführungen gehen lassen, gehen wir durchaus ein Risiko ein.

Inwiefern erreichen Triggerwarnungen auf Websites Jugendliche?

Leopold: Jugendliche gehen weniger auf die Theater-Websites und lesen sich Stückbeschreibungen durch, sondern das machen eher Lehrerinnen und Lehrer. Diese werden dadurch sensibilisiert für die Frage, ob ein Kind aus der Klasse betroffen sein könnte, und können dann gegebenenfalls im Klassenverband das Gespräch mit den Jugendlichen suchen.

Aber nahm das Kinder- und Jugendtheater seit den 1970ern nicht Abschied von der Verzauberung, um unter theaterpädagogischer Betreuung realitätsbezogener und problemorientierter zu werden?

Leopold: Natürlich, aber es bleibt dennoch ein großer Unterschied, ob wir im Theater über Pubertät, Scheidungen oder Patchwork-Familien sprechen oder über Trigger, die potenzielle Gefahr von Retraumatisierungen sind, die bei Zuschauenden Panikattacken und Ähnliches auslösen können, die sie zwingen könnten, das Theater zu verlassen. Das lässt sich per Triggerwarnung vermeiden. Wenngleich ich auch der Meinung, bin, dass man Kindern und Jugendlichen durchaus etwas zumuten darf. Ich finde, sie sollten selbst entscheiden dürfen, was sie zu sehr belastet und was nicht.

Oft ist es nicht der Stoff, der Trigger-Potenzial hat, sondern ganz einfach auch die Inszenierung. Was sagen Sie dazu?

Goebel: Bisher kenne ich das nicht, dass man differenziert zwischen dem dramatischen Text und der Inszenierungshandschrift. Es gibt aber sehrwohl Theaterschaffende, die über eine Unterscheidung zwischen Trigger- und Contentwarnung diskutieren, eben gerade weil der Begriff Trigger sehr psychologisch geprägt ist.

Das war das Theater durchaus auch mal...

Goebel: Theater sollte ein barrierefreier Ort sein, wo man sich gerne hinbegibt, wo man sich aber auch auseinandersetzt. Theater, die Triggerwarnungen verwenden, möchten den Ort eben auch für ein Publikum zugänglich machen, das auf gewisse Inhalte sensibel reagiert. Durch Vorab-Information weiß es, worauf es sich einlässt – und jede und jeder kann eigenverantwortlich entscheiden, ob er das Stück sehen möchte oder nicht.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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