Interview

Buga-Kulturchef Fabian Burstein: „Nur bitte kein Shitstorm!“

Im Buch „Empowerment Kultur“ erklärt der ehemalige Buga-Kulturchef Fabian Burstein, „was Kultur braucht, um in Zeiten von Shitstorms, Krisen und Skandalen zu bestehen - dass das AWO-Ballet da auftaucht - logisch

Von 
Stefan M. Dettlinger
Lesedauer: 
Im vergangenen Jahr noch am Ort seines Wirkens: Fabian Burstein am 6. Oktober 2023 auf der Buga. © Stefan Dettlinger

In seinem neuen Buch arbeitet sich Fabian Burstein nochmals an seiner Entscheidung ab, das AWO-Ballett nicht mit Sombreros und Kimonos auf der Buga 23 auftreten zu lassen. Hart ins Gericht geht der ehemalige Buga-Kulturchef unter anderem mit Journalisten von der „Bild“ und auch dieser Redaktion. Über „Empowerment Kultur“ und die Kulturszene im Allgemeinen spricht er im Interview.

Herr Burstein, Ihr Buch beginnt mit einem Rückblick aufs AWO-Ballett und die Buga. Hat Sie die Sache traumatisiert?

Fabian Burstein: Nein. Das wäre auch fatal. Ich war erst vor Kurzem beim kulturpolitischen Bundeskongress in Berlin und habe mich auf einem Podium mit Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard und der Autorin Seyda Kurt über das Thema unterhalten. Die traurige Conclusio: Shitstorms wie jener rund um das AWO-Ballet gehören längst zum Alltag von Festivals und Kultureinrichtungen. Ließen wir Verantwortlichen uns davon traumatisieren, gäbe es bald kein kulturelles Führungspersonal mehr.

Burstein und sein Buch

Fabian Burstein: 1982 in Wien geboren, studierte er Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Er schrieb Romane und Sachbücher.

Kulturmanager: Nach Jahren in der Region, wo er das Kulturbüro Ludwigshafen und dann den Kulturbereich der Buga 23 leitete, ist Burstein zurück in Wien, wo er weiter die Geschäfte der Wiener Psychoanalytischen Akademie leitet.

Fabian Burstein: Empowerment Kultur. Edition Atelier. 152 Seiten, 20 Euro.

Sie legen nachvollziehbar dar, dass, wer seine koloniale Vergangenheit noch nicht richtig aufgearbeitet hat, nicht mit Klischees anderer Völker spielen darf und zitieren die führende Frau in der Sache derzeit, Bénédicte Savoy. Glauben Sie, dass sich dieser Blick eines Tages entscheidend ändern könnte?

Burstein: Davon bin ich überzeugt. Wichtig ist nur, dass diese Veränderung nicht das Resultat einer Verdrängung, sondern einer konsequenten Weiterentwicklung ist. Kultur wäre das perfekte Experimentierfeld, um so eine Entwicklung spielerisch zu erproben - inklusive aller Umwege, Verwerfungen, Dramen, Erkenntnisgewinne und Happy Ends. Dafür braucht es aber zwei Dinge: einen Kulturbetrieb, der sich dieser Verantwortung stellt, und ein Publikum, das hingeht.

Theater ist seit Jahrtausenden dieses Experimentierfeld. Dort durften immer alle alles sein. Müssen wir dieser Freiheit Adieu sagen?

Burstein: Wir sollten das Theater vom Druck solcher romantischen Zuschreibungen befreien. Theater war immer Spiegel der aktuellen Verhältnisse. In absolutistischen Epochen diente es recht schamlos dem Amüsierbedürfnis der Eliten und war phasenweise sogar Propagandainstrument. In den 1960er Jahren demaskierte es wiederum den Restmief der Nazizeit und machte sich zum Komplizen einer liberalen Gesellschaftsordnung. Wir müssen schlicht und ergreifend laufend Richtungsentscheidungen treffen, die unserer aufgeklärten Demokratie würdig ist. Hier ist insbesondere auch die Kulturpolitik gefragt.

Sie fühlen sich wirklich zu 100 Prozent im Recht?

Burstein: In Bezug auf was?

Auf Ihre Position in der Sache.

Burstein: Den Anspruch, sich in einer heiklen Thematik zu 100 Prozent im Recht zu fühlen, halte ich für ein Grundproblem unserer polarisierten Gesellschaft. Für mich hat sich diese Frage nie gestellt - ich musste meiner Verantwortung für ein Festival mit bundesweiter Strahlkraft und vielen internationalen Gästen gerecht werden. Was das für eine vielschichtige und komplexe Aufgabe ist, habe ich bewusst sehr transparent niedergeschrieben - da kann sich dann jeder selbst ein Bild machen. In der Kultur zählt nicht nur das Ergebnis, sondern insbesondere auch der Prozess dahinter.

Mehr zum Thema

Buga-Gelände

So soll Kultur in die Mannheimer U-Halle kommen

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren
Luisenpark

Das wird im Sommer auf der Seebühne geboten

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren
Gesellschaft

Nach "Kulturelle Aneignung"-Debatte: AWO-Ballett ist "wild" zurück

Veröffentlicht
Von
Katja Geiler
Mehr erfahren

Empowerment - worauf genau bezieht sich der Titel ihres Buches, das sich streckenweise doch liest wie eine Rechtfertigung?

Burstein: Was Sie als Rechtfertigung lesen, würde ich eher als durchaus kritische Selbstreflexion bezeichnen. Selbstreflexion ist ein enorm starkes Instrument des Empowerments. Sie würde auch dem ein oder anderen Akteur guttun, der damals mit rasendem Puls mitgemischt hat. Unabhängig davon geht es mir beim Empowerment um zwei Dinge: Erstens, wir haben mit Kultur die Möglichkeit, die großen Themen unserer Gesellschaft mitzuverhandeln und sollten diese Chance auch nutzen, selbst wenn es auf den ersten Blick furchteinflößend ist. Zweitens, wir dürfen Kultur nicht länger als Nische betrachten, sondern müssen einen breiteren Gestaltungsanspruch stellen. Mir geht es um einen positiven Machtbegriff, den die Kulturpolitik mit Leben füllt.

Das wäre dann das Thema Sender-Empfänger. Das lassen wir mal so stehen. Was Sie zuletzt gesagt haben, liest man immer wieder in vollmundig formulierten Kulturvisionen. Man hört es auch von Politikerinnen und Politikern. Mithin gewinnt man aber auch den Eindruck, dass Kultur unter dem Damoklesschwert des Bedeutungsverlusts sich ins gesellschaftlich Relevante flüchtet und zum rein Soziokulturellen wird …

Burstein: Das ist eine wichtige, die vielleicht alles entscheidende, Frage eines zukunftsfähigen Kulturbetriebs: Schaffen wir es, die Schlagwort-Orgien zu überwinden und in echte Strategien zu überführen. Die Menschen können es nicht mehr hören, wenn ein neuer Intendant die große Öffnung verspricht und sich dann wieder in den Elfenbeinturm zurückzieht. Hier sollte es bei Neubestellungen verbindliche Ziel- und Leistungsvereinbarungen geben, dann haben wir ein politisches Kontrollinstrument.

Da geht es dann wieder ums gesellschaftlich Relevante.

Burstein: Ihr Befund zur Flucht ins Soziokulturelle ist streng, aber nicht von der Hand zu weisen. Weil Institutionen ratlos sind, wie sie Gebäude mit Leben füllen, flüchten sie sich in vermeintlich niederschwellige Ortswechsel, auf die die Beteiligten gar nicht vorbereitet sind. Das Resultat ist ein genervtes künstlerisches Personal, das keinen Bock auf unprofessionelle Rahmenbedingungen hat, und ein potenziell überfordertes Publikum - eine Spirale der wechselseitigen Entfremdung. Dazu dann doch wieder ein Satz für das Phrasenschwein: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

Jetzt sind Sie aber streng. Wie würden Sie’s besser machen?

Burstein: Erstens mit weniger Repräsentationsgehabe. Zweitens mit einer ästhetischen Herangehensweise, die neuen Darstellungsformen nicht mit einem Abwehrkampf sondern mit aufrichtiger Neugier begegnet. Drittens mit zeitgenössischen Stoffen und Themen, die nicht die intellektuellen Diskursblasen eingeweihter Gruppen, sondern Lebensrealitäten quer durch alle Bevölkerungsschichten bedienen - Netflix schafft das ja auch auf hohem Niveau. Und viertens mit bewusst platzierten Oasen, in denen traditionell gewachsene Darstellungsformen völlig unironisch zelebriert werden, bis es kein Publikum mehr dafür gibt. Es gibt schließlich genug Spiel- und Öffnungstage für alle.

Ist das das, was Sie Integrationsfaktor nennen?

Burstein: Ja. Infragestellen und Weiterentwickeln, aber ausdrücklich erwünscht. Nur bitte kein Shitstorm.

Und Sie glauben, dass es für traditionelle Darstellungsformen irgendwann kein Publikum mehr gibt? Erstaunlich ist doch etwa, dass die konservativsten Mannheimer Inszenierungen „Parsifal“ und „Hänsel und Gretel“ die meisten Opernbesucher anlocken…

Burstein: Ich möchte bei dieser Frage gerne auf die Auswertung der Theaterstatistiken der letzten 70 Jahre verweisen, die kürzlich unter dem Titel „Publikumsschwund“ erschienen ist. Kurz zusammengefasst: Die klassische Musik ist stabil, das Publikum aber überdurchschnittlich alt. Das Kinder- und Jugendtheater liefert beim Publikumszuspruch ebenfalls konstant ab. Das Sprechtheater ist seit Mitte der 1960er Jahre in puncto Zuschauer um 50 Prozent eingebrochen. All diese Erkenntnisse müssen wir jenseits von Glaubensfragen einbeziehen. Es soll jedenfalls nichts wegfallen, das gut funktioniert.

Das Problem dabei ist, dass Theater immer noch sehr stark hierarchisch geprägt sind und man mitunter bei manchen Theaterleitern den Eindruck hat, das Wort Publikum wird nur mit spitzen Fingern angefasst …

Burstein: Dem kann ich leider nicht widersprechen. Es gibt aber mittlerweile doch einige positive Rollenmodelle. Ich denke da an Beat Fehlmann in Ludwigshafen, Julia Wissert vom Schauspiel Dortmund oder Marie Rötzer, die designierte Chefin des Theaters in der Josefstadt in Wien. Alle drei haben auf ganz unterschiedliche Art und Weise das Publikum in den Fokus genommen. Das ist sehr erfrischend und macht Mut.

In Ihrem Buch sprechen Sie ja viel über Seilschaften und Machtgehabe …

Burstein: Ja. Seilschaften sind besonders in Österreich ein Riesenproblem. Das Land schlittert wegen der grassierenden Ämterkorruption von einer politischen Krise in die nächste und ist nicht mehr nur geografisch nah an Ungarn dran. Das Schlimme ist: Solche Verwerfungen sind auch integraler Bestandteil des Kulturbetriebs. Gleichzeitig fehlt ein kritisches Gegenüber in Form eines investigativen Kulturjournalismus. In Deutschland ist nicht alles eitel Wonne. Es herrscht aber ein ganz anderes Problembewusstsein, das mich nachhaltig geprägt hat.

Planen Sie also, wo Sie in Ihrem Buch doch mit der „Bild“-Zeitung und auch dem Kollegium dieser Redaktion so vernichtend in die Kritik gehen, dennoch ein deutsches Comeback?

Burstein: Es ist vielleicht ungewohnt, wenn man aus der geschützten Rolle der Vierten Gewalt heraus selbst zum Gegenstand kritischer Betrachtungen wird. Mit „vernichtend“ hat das aber nichts zu tun. Im Gegenteil: Kultur- und Medienpolitik müssten sich viel öfter verzahnen. Was ein Comeback betrifft: Who knows … die Gezeiten der Kultur sind schwer planbar.

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke