Nationaltheater Mannheim

Beindruckende Fotos aus 37 Jahren Theatergeschichte

Zur Abschieds-Ausstellung des Mannheimer Theaterfotografen Hans Jörg Michel ist ein Begleitbuch erschienen, das dessen Bilder lebendig werden lässt - und an Aufführungen im Nationaltheater erinnert

Von 
Alfred Huber
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War 37 Jahre am NTM: Theaterfotograf Hans Jörg Michel. © M. Rinderspacher

Eine Tür öffnet sich. Durch den Spalt blickt eine dunkelhaarige junge Frau (Ulrike Sonntag), bekleidet mit einem Militärmantel. Vorsichtig und ein wenig ängstlich schaut sie in den Nebenraum. Dort stehen, auf dem Dielenboden paarweise nebeneinander aufgereiht, zahlreiche Damenschuhe. Der Anfang oder die Fortsetzung einer Geschichte. Manche Opernbesucher werden sich vielleicht noch an diese Szene aus Nicolas Briegers „Figaro“-Inszenierung von 1988 erinnern.

Seit 1. August ist das Haus auf dem Goetheplatz wegen der anstehenden Sanierungsarbeiten geschlossen. Ein Datum, mit dem dort auch eine bemerkenswerte Bilderschau endete. Sie bot die gewiss nicht schnell wiederkehrende Gelegenheit, jene 37 Jahre Revue passieren zu lassen, die Michel im Mannheimer Nationaltheater als Fotograf verbrachte.

Fotos zwischen Fiktion und Realität

Jetzt ist zur Ausstellung, herausgegeben von seiner ehemaligen Wirkungsstätte, ein Begleitbuch erschienen mit informativen und einfühlsamen Texten, die Claude W. Sui, Leiter des Forum Internationale Photographie an den Reiss-Engelhorn-Museen, und Ralf Carl Langhals, Kulturredakteur des „Mannheimer Morgen“, verfassten.

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Die meist unscharfen, verschwommenen Figuren und Gegenstände auf dem querformatigen Einband scheinen anzudeuten, was Theaterkunst ganz allgemein vermitteln soll: Träume an den Schnittstellen zwischen Fiktion und Realität. Überall Stellen, die wie Nähte aufklaffen, an denen Offenes in die begrenzte Welt hinein weht.

Aufregendes aus Oper, Schauspiel, Ballett oder Schnawwl

Man ist den Dingen und Personen nahe, hält zugleich aber Distanz zu ihnen. Erfahrbar wird so jener Moment zwischen Wahrnehmung und Verschwinden, eine Perspektiven-Verschiebung, auf die sich Hans Jörg Michel fotografierend immer wieder konzentriert hat.

Ein doppelter Rückblick: Schließlich erinnert der Katalog nicht nur an Aufführungen im Nationaltheater zwischen 1984 und 2021, sondern lässt auch Michels kluge Auswahl der Bilder nochmals lebendig werden. Ob Oper, Schauspiel, Ballett oder Schnawwl – es waren aufregende, spannende Jahre, in denen er den Auslöser seiner Kamera betätigte.

Zeitlosigkeit durch die Kamera geboren

Wer den Band durchblättert, begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit, zu längst vergessen geglaubten Erlebnissen, aber auch zu unterschiedlichen inszenatorischen Handschriften. Oft konstruktive Gegensätze, wie man es von einem Theater, das sich spartenübergreifend am Sound der jeweiligen Zeit orientieren will, nicht anders erwarten kann. Die Bilder der beiden „Zauberflöten“-Aufführungen von 2011 und 2020 beweisen es.

Immer wieder bewundernswert Michels Gespür für Stimmungen und gestische Details. Oft sind es winzige Nuancen, die dem raschen Blick des Zuschauers auf das Bühnengeschehen häufig entgehen, aber entscheidend sein können für den weiteren Verlauf der Handlung. Jedes Foto ist ein Dokument mit subjektivem Rückhalt.

Und so wie jede Erinnerung eine andere Klangfarbe, einen anderen Tonfall oder ein anderes Temperament besitzt, so gründlich unterscheiden sich Michels Wahrnehmungen inner- und zwischenmenschlicher Vorgänge. Sie alle waren irgendwann einmal unmittelbare Gegenwart und sind nun durch ihn und seine Kamera zu etwas Zeitlosem geworden.

I: Hans Jörg Michel. Siebenunddreißig Jahre Theaterfotografie. Kehrer Verlag Heidelberg, 126 Seiten, 39 Euro.

Freier Autor Geboren 1941, Studium Musikheorie/Musikwissenschaft, Philosophie, Germanistik, Kunstgeschichte in Mannheim und Heidelberg Volontariat Mannheimer Morgen, Redakteur, anschließend freier Journalist und Dozent in verschiedenen Bereichen der Erwachsenenbildung. Ab 1993 stellvertretender Ressortleiter Kultur, ab 2004 bis zur Pensionierung Kultur-Ressortleiter.

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