Mannheim. Statt Matinée am Sonntagvormittag eine Soirée am Donnerstagabend. Statt im Mannheimer Nationaltheater am Goetheplatz im Tanzhaus in Käfertal: Vielleicht waren diese Änderungen schuld, dass am ersten von zwei Ballettabenden der Akademie des Tanzes viele Plätze leer blieben. Denn eigentlich sind die traditionsreichen Kooperationsveranstaltungen zwischen AdT und NTM ein Selbstläufer. In einem hat sich allerdings nichts geändert: an der Qualität der Auftritte; an der reifen Leistung von 36 jungen Leuten, denen man nicht anmerkte, dass sie noch in der Ausbildung sind.
Ein Ziel solcher Aufführungen ist es, den Studierenden die öffentliche Präsentation zu ermöglichen, aber auch der Öffentlichkeit Einblicke in die Studieninhalte zu gewähren. Beides ist wieder einmal gelungen - wie der von vielen Bravorufen durchsetzte Beifall bewies. In zwei Stunden sah das Publikum zwar nicht die ganze, aber immerhin doch einen Großteil der tänzerischen Bandbreite von Klassik über Neoklassik bis hin zum zeitgenössischen Tanz.
Schwerpunkt klassische Technik
Weil sie an der Mannheimer AdT als Grundbaustein des Tanzens gilt, liegt ein Ausbildungsschwerpunkt auf der klassischen Technik, also gehört ein Ausschnitt aus einem der großen Ballett-Klassiker einfach ins Programm. Diesmal adaptierte Rosemary Helliwell den „Auftritt der Feen“ aus Tschaikowskis „Dornröschen“. Die 13 Feen bewiesen darin ihre Fähigkeit im Spitzentanz, vermittelten Synchronität, Harmonie, Eleganz und Anmut, die sechs Kavaliere auch Sprungkraft.
Die Akademie des Tanzes - eine Institution mit Tradition
- Die Mannheimer Akademie des Tanzes hat eine bis ins 18. Jahrhundert zurückgehende Geschichte und ist Teil der Staatlichen Hochschule für Musik, Tanz und Kunst (N 7,18).
- Die klassische europäische Balletttradition ist Basis der Ausbildung, Ausgangspunkt für das klassische Repertoire ebenso wie für alle zeitgenössischen Tanzstile.
- Leiterin ist Agnes Noltenius.
- Die Ausbildung umfasst bis zum Bachelor (künstlerische Bühnenreife oder Tanzpädagogik) vier Jahre, ein Masterstudiengang kann sich daran anschließen.
- Parallel kann der Realschulabschluss oder das Abitur abgelegt werden.
- In einem Vorstudium (1. bis 7. Klasse) erhalten Jugendliche ab acht Jahre eine Elementarausbildung.
- Weitere Infos auf der Homepage der Akademie des Tanzes unter www.muho-mannheim.de
Für Folkloristisches ist an der AdT Alexander Kalibabchuk zuständig. Diesmal wählte er die „Polowetzer Tänzer“ aus Alexander Borodins Oper „Fürst Igor“ für eine orientalisch anmutende Geschichte um einen Kahn (Gabriel Capizzi), zwei Offiziere (Leonard Floh, Nikita Gacinovic mit toller Pirouettentechnik), Soldaten und Sklavinnen.
Fünf Programmpunkte moderner Tanz
Dass die Studierenden der AdT aber weit mehr drauf haben als das klassische Repertoire, bewiesen sie in fünf „modernen“ Programmpunkten. Star des Abends war der Ausschnitt aus „In the middle, somewhat elevated“ von William Forsythe, das Akademieleiterin Agnes Noltenius einstudierte. Wer wäre dazu besser geeignet als die langjährige Tänzerin in der Frankfurter Forsythe-Compagnie! Noch heute gilt das 1987 uraufgeführte Werk als Meilenstein in der Tanzhistorie. Es habe das Ballett für immer verändert, vermeldete 2015 die englische Zeitung „The Guardian“, als das Stück vom English National Ballet wieder aufgenommen wurde.
Übrigens betreut von Noltenius. „Forsythe hat uns gebeten, über die geometrische Beziehung zwischen verschiedenen Körperteilen nachzudenken. Er möchte nicht, dass die Menschen als ein Block tanzen, sondern dass jeder Teil des Körpers wirklich artikuliert wird“, sagte sie damals dem „Guardian. Tatsächlich besticht das in engen, grün-schwarzen Kostümen von drei Männern und von sechs Frauen in Spitzenschuhen getanzte Werk durch eine von Thom Willems Musik vorangetriebene, hohe energetische Kraft; durch einerseits klare, dennoch ungemein vielschichtige Bewegungen und durch die immer neue Erforschung von Formen und Räumen.
Internationale Zusammenarbeit
Choreografisches Talent zu entdecken und zu fördern ist eine weitere Aufgabe der AdT. Charlotte Fenn, selbst noch Studentin, erarbeitete mit dem geschmeidigen Lars Gramlich das Solo „Wasted“ (Musik: Trevor Kowalski). Absolventin Teresa Curotti hatte in Anna Lane eine kongeniale Interpretin für ihr beeindruckendes Solo mit dem Titel „Sogno Trascendentale“ (Musik: Coh Plays Cosey).
Auch die Zusammenarbeit mit internationalen Choreografen und Choreografinnen ist ein Standbein in der AdT-Ausbildung. So mit dem Brasilianer Guilherme Carola, der einst selbst AdT-Schüler und Stipendiat der Tanzstiftung Birgit Keil war. Es schuf für ein Oktett das diverse Beziehungen auslotende „California Sunshine“ (Musik: Caroline Shaw, Roomful of teeth, Brad Wells).
Den überzeugenden Schlusspunkt setzte das von der Friederike-Lehrnickel-Stiftung unterstützte „Einklang“ des Norwegers Jon Ole Olstadt. Es handelt von unbekannten Bedrohungen, einer verzweifelten Suche nach einem unverständlichen Etwas und einer großen Gruppe, die einerseits abschirmt, aber immer wieder auch zerfällt.
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