Schillertage

Mut zur gefährlichen Freundschaft

Mit einer iranischen Theaterproduktion von Parnia Shams lässt sich auch Schiller neu lesen

Von 
Nora Abdel Rahman
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Parnia Shams hat für ihr Stück über das geschlechtergetrennte Schulsystem im Iran mit sieben Schulabsolventinnen aus Teheran gearbeitet. © Navid Fayaz

„Alle Menschen werden Schwestern“ ist auch ein Motto auf den 22. Internationalen Schillertagen. Nämlich eines von vielen anderen Motti, die mit dem gleichen Vers aus Friedrich Schillers Ode „An die Freude“ spielen. Und mit dem einen Wort am Ende vom Vers „Alle Menschen werden …“ eine neue Perspektive eröffnen, der auch eine utopische Dimension innewohnen mag. Utopien allerdings sind da, um verwirklicht zu werden. Im Theaterstück „(IST)“ von Parnia Shams werden Freundschaft, Nähe und Komplizenschaft zwischen zwei jungen Frauen – zwei Schülerinnen innerhalb eines Klassenverbunds – verhandelt.

Stück in Muttersprache Farsi

Im Alten Kino auf Franklin versammelt die iranische Theatermacherin sieben fiktive Schülerinnen eines persischen Gymnasiums für Mädchen in Teheran. Sie bilden als Gruppe von Jugendlichen um die 16 Jahre eine Schulklasse. Und genau an diesem Ort beginnt das Stück, das von den Schauspielerinnen in ihrer Muttersprache Farsi gesprochen und dem Publikum dank eingespielter Untertitel in die deutsche und englische Sprache übersetzt wird. Ein Kubus aus Glas bildet auf der dunklen Bühne im Alten Kino den abgeschlossenen Klassenraum nach und verleiht dem Blick von außen eine Art geheime Teilhaberschaft. Wir als Zuschauende können dem Treiben in der Klasse beiwohnen, werden vielleicht zu Komplizen oder zu Schwestern. Hier verteilen sich die sieben Schülerinnen – alle tragen Kopftücher und einfache Tuniken – auf Stühlen an Tischen, treten einzeln nach vorne an die Tafel und mühen sich zu Beginn des Stücks ab mit dem Aufsagen eines Textes aus Wörtern voll blumiger Bilder. Es geht um Perlen, die aus Muscheln fallen, um Herzen die verloren gehen, um Spiegel und 100 Arten sich zu spiegeln und um Gott, der den Gral gibt.

Hier wird die persische Dichtung des Mystikers Hafis (um 1320 geboren) gelesen und gelernt und immer wieder von der lehrenden Instanz korrigiert. Gleichzeitig entschuldigen sich die Schülerinnen andauernd für ihre Fehler oder Versprecher.

Wechsel zwischen den Instanzen

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In der Inszenierung von Parnia Shams bleibt die lehrende und leitende Instanz unsichtbar. Alle Schülerinnen sprechen neben ihrem Part auch den der Lehrerin oder Direktorin oder eines Elternteils. Dadurch unterläuft der Theatertext raffiniert die stereotype Einteilung in Lehrerin versus Schülerinnen und verdichtet sich zugleich in einer Figur, aus der immer mehrere Instanzen sprechen – die eigene Erfahrungswelt und das politische System sowie die sozialen Normen und Regeln. Wenn eine neue Schülerin den bestehenden Klassenverbund durchbricht und mit der besten Schülerin Freundschaft schließt – ein schönes Bild dafür ist der innige Kopftuchtausch der Freundinnen –, ist der Konflikt geboren.

Aus diesen zwei Figuren, die durch ihre Nähe zueinander wie ein Fremdkörper im Verhältnis zur Klasse stehen, lässt Shams das ganze Dilemma einer autokratisch gelenkten Gesellschaft aufscheinen. Jede Art eigenständig gebildete Gruppe oder Verbindung steht für eine Nähe, die dem Staat oder ihren Mitgliedern zum Problem werden können, erklärt Parnia Shams im anschließenden Publikumsgespräch. Wie groß erscheint da der Wurf aus Schillers Perspektive, „... eines Freundes Freund(in) zu sein …“

Freie Autorin

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