Es stehen in Deutschland ja noch einige Atomkraftwerke rum. Die meisten sind nach Informationen des Bundesministeriums für Nukleare Sicherheit noch (a) „in Stilllegung“, bei einigen sei (b) die Stilllegung aber schon beendet, andere seien (c) sogar schon am 15. April 2023 „endgültig abgeschaltet“ worden oder (d) sogar schon „endgültig abgeschaltet“. Hä? Bin ich doof? Die Fälle b, c und d scheinen mir nur mit sehr viel Spitzfindigkeit zu unterscheiden zu sein – oder zumindest sehr eng beieinanderzuliegen.
Die Atomkraftnutzung in D-Land ist doch beendet und damit die nukleare Sicherheit deutlich erhöht. Jetzt muss man nur noch schauen, dass das auch die kommenden 300 Jahre so bleibt und die teils verrosteten 55.000 Fässer mit dem ganzen Atommüll nicht unseren Kindern und Kindeskindern in die Schlafzimmer rollen.
Ich hoffe jedenfalls, dass die 1214 Mädels und Jungs um Ministerin Steffi Lemke von den Grünen wissen, was sie tun, ich meine: Mit der atomaren Sicherheit ist nicht zu spaßen. Die gute Nachricht: Immerhin ist Lemke vom Fach. Sie kennt sich mit Verpackungen aus und hat zwei Jahre Briefe ausgetragen. Außerdem ist ihr der deutsche Boden vertraut, wo der strahlende Müll ja gelagert wird, denn sie hat an meiner Humboldt-Uni in Berlin Agrarwissenschaften studiert. Und zu all den positiven Vorzeichen kommt: Drei ihrer Staatssekretärenden haben den Doktor. Das sollte nichts schiefgehen…
Das mit der Sicherheit, das findet Bela übrigens auch. „Man muss da schon aufpassen“, sagte er neulich mal mahnend zum Thema. Ich muss Bela allerdings verpetzen, denn er ist, wen überrascht’s, ein Befürworter der Kernkraft, weil er meint: „Mit Deutschland geht es wirtschaftlich so bergab, weil wir die billige Kernkraft abgeschafft haben und das Produzieren in unserem Land mit teurem Öko-Strom unwirtschaftlich geworden ist.“ Ein Träumer. Ein Kollege meines Vertrauens, den ich in der Sache kürzlich konsultiert hatte, versicherte mir unterdessen, dass Bela „voll auf dem Holzweg“ sei. Kernkraft sei, würde man alles mitrechnen, ganz sicher die teuerste Energieform.
Ich persönlich muss sagen: Angela Merkel hat das richtige getan. Der Ausstieg war aus vielen Gründen fällig und alternativlos. Einer davon: „Die Risiken der Atomkraft sind letztlich unbeherrschbar“ (Ministerin Lemke).
Der für mich aber entscheidende Grund ist: Wie sollen in einem Land die Männer und Frauen, die es nicht schaffen, Busse und Bahnen verlässlich fahren zu lassen, sichere Atomkraftwerke betreiben? Wenn da dann ein Störfall ist, wird dann ins Reaktorgebäude gemeldet: Der zuständige Mitarbeiter kann nicht kommen, weil er eben auf seine Worklifebalance achte, Influenza habe, im Stau oder auf dem Klo feststecke? Oder weil der entsprechende Zug der Deutschen Bahn nicht fahre, weil dort der Lokführer auf seine Worklifebalance achte, Influenza habe, im Stau oder auf dem Klo feststecke. Das wäre exakt jene berühmte Kettenreaktion, vor der Atomphysiker immer gewarnt hatten – und die wir uns beim Betrieb von Kernreaktoren nicht leisten könnten.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/kultur_artikel,-kultur-bahn-und-atomkraft-mit-worklifebalance-_arid,2252966.html