Haltet’ endlich den Mund, ich kann das nicht mehr ertragen, dieses ständige, latente oder weniger latente, um nicht zu sagen chronische Meckern, Jammern und Motzen, wer ist hier, in diesem so sehr mit Reichtum und Kultur gesegneten Land, eigentlich noch mit ir-gend-et-was zufrieden, ha, ich kenne fast niemanden, der noch eine positive Energie ausstrahlt, der noch Lust hat auf Freude, Witze, Humor, Lust am Leben und, ja, das muss ich jetzt mal so deutlich sagen: auf Zukunft? Sagt es mir: wer?“
Alya ist, wie ich sie noch nie erlebt habe. Caro schaufelt sich vegane Wurst in den Mund. Sie schaut Alya an, dann zurück zu Bela an, dann wieder zu Alya. „Was ist los mit dir? Schlecht geschlafen?“ Das beruhigt Alya nicht. Sie beginnt – was schon ein bisschen peinlich ist, denn ich muss sagen, dass ja noch mehr Leute da sind als nur wir vier – zu zetern, zu keifen und zu schreien, worauf Caro sagt, sie müsse mal.
Ich spiele also die einfühlsamen Ausgabe Mann und frage Alya, auf welches Erlebnis sich ihre „sicherlich sehr berechtigte Kritik“ beziehe. Ich rede ihr gut zu, äußere aber auch vorsichtig Verständnis für die Menschen, die wegen all der Katastrophen schlecht drauf sind – ich nenne die Stichworte Israel, Ukraine, Libanon und, ja, Jemen, über das kaum jemand spreche, obwohl dort laut Vereinte Nationen eine der größten humanitären Katastrophen unserer Zeit passiere, sage, dass aber die größte humanitäre Katastrophe eher unseren Kindern und Enkeln bevorstehe und durch den Klimawandel ausgelöst werden werde.
„Das ist es ja. Meine Elin wird später eh fürchterlich leiden müssen, das ist ja unumgänglich“, sagt Alya, „aber sie hat doch wenigstens das Recht auf eine unbekümmerte Kindheit. Das ist Teil der Freiheit dieses Landes.“ Ich versuche, Alya zu erklären, dass Elin viel mehr Freiheit in sich trägt, als sie selbst bis jetzt realisiert hat. Da sagt sie, das sei doch der Punkt: „Wir, unsere Generation, erleben doch gerade noch den Höhepunkt des Wohlstands und der Freiheit auf diesem Planeten. Die bedingen sich ja auch. Ich glaube nicht, dass es jemals vorher so viel von beidem gegeben hat und jemals wieder geben wird, auch wenn ich das jetzt nur auf uns hier in Mitteleuropa beziehe. Und trotzdem meckern die Leute. Das ist öde!“
Auftritt Caro: „Ich hab’ auf’m Klo nachgedacht und verstehe dich, Alya. Aber weißt du was? Viel mehr als all die Moserer gehen mir all die Poser und gut gelaunten Porsche-, BMW-, Mercedes- und Was-weiß-ich-Fahrer auf’n Keks, die gut gelaunt pfeifend an ihren Steuerrädern sitzen und fröhlich hinten ihr CO2 raus blasen, während um uns herum langsam aber sicher die Welt immer heißer und wilder wird – und irgendwann ganz sicher untergeht.“
„Das stimmt“, sage ich, „aber obwohl wir doch nur ein Haufen winziger Teilchen sind, Atome, Staub, für den sich die Geschichte oder das Universum nicht interessieren, haben wir Atome doch Verträge untereinander geschlossen, die unsere individuelle Freiheit garantieren. Und gehört zu dieser Freiheit nicht auch die, gute Laune zu haben …“ Plötzlich: Ich blicke in drei ratlose Gesichter.
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