Dritter Festivaltag

12. Maifeld Derby mit starken Botschaften auf und neben den Bühnen

Der Schlusstag endet auf dem Mannheimer Maimarktgelände mit einem exzellenten Auftritt der Indie-Rock-Ikonen Interpol vor insgesamt 4000 Gästen

Von 
Alexander Müller und Jörg-Peter Klotz
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Der beglisch-ägyptische Songwriter Tamino führte zum zweiten Mal nach 2018 die wohl schönste Stimme in der Maifeld-Derby-Geschichte vor, übertrieb es aber mit der Melancholie. Aber auch das ist ein großer Pluspunkt des Festivals: Es kann nicht alles allen gefallen, aber die grundsätzliche Qualität der Acts ist trotzdem unstrittig. © Markus Mertens

Mannheim. Musikalisch ist es vielleicht nicht das mitreißendste aller Maifeld Derbys gewesen. Aber auch die zwölfte Auflage hat wieder alle Vorzüge des international angesehenen Mannheimer Indie-Pop-Festivals ins Bewusstsein gerückt: vor allem die Erweiterung der individuellen Hörhorizonte, die in unserer algorithmengesteuerten Welt aus auseinanderdriftenden Filterblasen nicht hoch genug geschätzt werden kann. Obwohl die unterschiedlichsten Fan- und Altersgruppen aufeinandertreffen, laufen die drei Tage auf dem Maimarktgelände immer extrem entspannt und friedlich ab. Am Sonntag vielleicht etwas zu friedlich: Nach zwei heißen Sonnentagen ist das Wetter zum Finale schwül. Dementsprechend ermattet wirkt ein Großteil der 4000 Gäste am Ende. Aber glücklich. Viel besser kann ein Festival im Prinzip nicht laufen.

Ex-Sizarr-Sänger aus Landau: Jungstötter beeindruckt solo. © Markus Mertens

Der unbestrittenen Hauptattraktion gehörten die letzten 80 Minuten des dreitägigen Events im zehnmastigen Palastzelt: Über 20 Jahre hat es gedauert, bis sich Interpol – die Indie-New-Wave-Sensation der frühen 2000er – wieder in der Region blicken lassen. Die Älteren erinnern sich, wie die New Yorker mit ihrem (bis heute unerreichten) Durchbruchsalbum „Turn On The Bright Lights“ im Frühjahr 2003 den legendären Heidelberger Schwimmbad Club zum Glitzern brachten.

Lang lang ist’s her, aber ihren Biss haben sich Interpol bewahrt, wie ihr perfekt komponierter 80-Minuten-Gig zum Abschluss des überaus gelungenen Maifeld Derby 2023 beweist. Sänger Paul Banks trägt zwar trotz Dunkelheit im Zelt über die komplette Strecke Sonnenbrille und verzichtet fast schon traditionell auf über vereinzelte Dankbarkeits- und Zuneigungsfloskeln hinausgehende Kommunikation mit dem Publikum.

Zwischen Nostalgie und Relevanz

Aber die knapp 2000 Zuschauerinnen und Zuschauer, bei denen die Beine nach drei anstrengenden Festival-Tagen noch tragen, werden mit einem Konzert belohnt, das tief in die prägenden Tage der Band eintaucht. In „Obstacle 1“ gibt es schon einen ihrer Über-Hits an zweiter Stelle zu hören, insgesamt stellen die ersten Alben „Turn On The Bright Lights“ und „Antics“ mit neun Beiträgen den Kern eines Konzerts, das zwischen wohliger Nostalgie und intakter Relevanz pendelt.

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Wie etwa bei dem fantastischen „Fables“ von der letzten Interpol-Platte „The Other Side Of Make-Believe“, das von „Evil“ und vor allem dem wundervollen „All The Rage Back Home“ würdig umrahmt wird. Gegen Ende ziehen Interpol noch einmal die Zügel an, als es mit „Roland“ und „PDA“ zurück zu ihrem denkwürdigen Gig im Schwimmbad Club geht.

Das furiose „Slow Hands“ sorgt zum Abschluss zu Recht für ein kochendes, tanzendes Zelt. Ein musikalisch wie atmosphärisches stimmiges Servus bis zum nächsten Mal, wenn das Maifeld Derby 2024 seine längst etablierte Dynastie des guten Festival-Geschmacks fortführen dürfte. Zumindest diese eine Auflage ist laut Veranstalter Timo Kumpf gesichert. Bleibt zu hoffen, dass die 13 keine Unglückszahl für Fans anspruchsvoller Popmusik in der Region sein wird und die Derby-Geschichte nicht abbricht.

Mystisch: Die New Wave-Poetin Dillon im Palastzelt. © Markus Mertens

Aber das Festival hat nicht nur wegen seiner Strahlkraft für die Musikstadt Mannheim, der enormen inhaltlichen Qualität und als kurzzeitiger sozialer Schmelztiegel Relevanz. Kumpf hatte im Vorfeld auch das bisher politischste Derby angekündigt. Umgesetzt unter anderem vom radikalen US-Hardcore-Trio Death Grips, Punk-Bands wie Pisse oder der Mannheimerin Listentojules, die am Sonntagnachmittag mit ihren nachhaltigen Songthemen ein großes Publikum auf der Tribüne des Reitstadions bannte.

Viele politische Signale

Wichtig sind auch Kleinigkeiten, die bei oberflächlicher Betrachtung vielen nicht auffallen: Wie immer ist das im Prinzip ja nicht gerade gemütliche Maimarktgelände liebevoll bis hin zu winzigen Details geschmückt, was zumindest unbewusst zur für Rock-Festivals erst langsam üblich werdenden Wohlfühlatmosphäre beiträgt. Das können im Geläuf neben dem Weg zur Derby-Dollar-Ausgabe drapierte Discokugeln sein. Und die Tatsache, dass es das Derby ohne das Engagement von rund 200 ehrenamtlichen Helfern nicht geben würde. Oder die in diesem Jahr auf Diversität gepolten Politplakate der Heidelberger Ausstellung „Mut zur Wut“. Es gibt auf dem Parcours d’Amour auch zweimal ein 75-minütiges Kurzfilmfestival im Festival unter dem Motto „Girls Go Movie“.

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Das spiegelt sich auch im Line-Up, bei dem offensichtlich gezielt viele Frauen das Geschehen auf den vier Bühnen bestimmen: von der Mannheimerin Kiara Mali zu Festivalbeginn über Headlinerin Bat For Lashes bis zur großartigen Dillon und Marcus Wiebuschs Seelenverwandten Katharina Kollmann mit ihrer Band Nichtseattle zum Abschluss parallel zu Interpol.

Der Schlusstag hatte noch einige Höhepunkte und Entdeckungen zu bieten: den durchgeknallten Briten Baxter Dury, Ekkstacy, Glass Beams aus Australien und vor allem den Auftritt des Landauer Ex-Sizarr-Sängers Jungstötter mit Band und den eindrücklichen Songs seines neuen Albums „One Star“.

Würdiger Schluss-Headliner: die Indie-Rock-Ikonen von Interpol. © Markus Mertens

Etwas selbst im Weg steht sich der Sänger mit der wahrscheinlich besten Stimme der Derby-Geschichte: Tamino nutzt die beste Sendezeit auf der Open-Air-Bühne zwischen M83 und Interpol sehr eigenwillig. Natürlich kann man auch bei einem Festival ein sehr ruhiges, Moll-lastiges Programm spielen. Aber der in Belgien geborene Enkel eines ägyptischen Opern- und Filmstars übertreibt es mit der wunderschönen Melancholie in seinen Solo-Vorträgen im Stil eines volltönenden Bob Dylans – gemessen an der Reaktion des nach drei Tagen schon recht erschöpften Publikums.

Der Himmel weint mit Tamino

Ein Großteil hört schlicht nicht mehr zu, während die eingefleischten Tamino-Fans gebannt an seinen Lippen hängen. Dass der 26-Jährige auch anders kann, zeigt er, wenn er seine Band zum Einsatz bringt und Hallo-wach-Musik spielt. Das bleibt leider ein kurzes Vergnügen, so dass sogar der Himmel die Klagsamkeit dieses Supertalents mit ein paar Regentropfen beweint. Aber auch das steht für eine Besonderheit des Derbys: Es muss, ja es kann nicht allen alles gefallen. Aber die grundsätzliche Qualität steht fast nie in Frage.

Redaktion Fußball-Reporter: Nationalmannschaft, SV Waldhof, Eintracht Frankfurt, DFB

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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