Mannheim. Ja, es hat sich verbessert in den vergangenen Jahren. Aber richtig gut ist es noch nicht – das Ansehen der Stadt. Viele Mannheimerinnen und Mannheimer werden das Phänomen beispielsweise aus Urlauben kennen: Oft kommt man in Hotel, Pension oder auf dem Campingplatz mit netten Leuten ins Gespräch. Früher oder später hört man die Frage nach dem Wohnort und weiß sofort, wie die netten Leute gleich schauen und was sie sagen werden, wenn sie ein etwas schüchtern ausgesprochenes „Mannheim“ hören. „Coole Stadt!“ oder „Liebe ich!“ sind jedenfalls selten unter den Antworten. Wenn ein Mannheimer Glück hat, hört er „Ah, interessant“ oder: „Soll ja besser sein als sein Ruf“. Wenn er Pech hat: ein kurzes „Oh“ oder ein langes „Man kann sich’s ja überall schön machen“. Würde das ein Münchner, Hamburger, Heidelberger zu hören bekommen? Eben.
Blicken wir ein bisschen zurück. Auf Liedtexte. Das Badnerlied (vermutlich so um 1865 komponiert) preist bekanntlich andere Städte mit netten Attributen, erwähnt für Mannheim aber nur, dass hier die Fabrik stehe. Dass Heidelberg als Inbegriff einer romantischen Stadt immer besser wegkommt („Alt-Heidelberg, du Feine, du deutsches Paradies“) – geschenkt. Das ist ebenso nachvollziehbar wie in Ordnung.
Aber muss wirklich weinen, wen es länger nach Mannheim verschlägt? Cris Cosmo kriegt in seinem Song von 2012 zwar noch die Kurve: „In Mannheim weint man zweimal: Einmal, wenn man kommt, und einmal, wenn man geht.“ Das mag mal so gewesen sein, aber hat sich die Stadt nicht in hohem Tempo gewandelt? Oder anders gefragt: Hat sie nicht auch schon immer Vorzüge, die man gerne übersieht? Bricht man bei Ankunft wirklich in Tränen aus?
Wildschweine in den Quadraten
Stellen wir uns in Gedanken auf die Friedrich-Ebert-Brücke, auf jene Brücke also, die die Innenstadt mit der Neckarstadt verbindet. Hier steht man supernah zum Trubel der City. Und richtet man den Blick neckarabwärts, bestätigt sich der Eindruck, den offenbar viele Fremde von Mannheim haben: Der Betrachter sieht rauchende Schornsteine und riesige Industrieanlagen (im Wesentlichen die BASF – in Ludwigshafen). Bestenfalls und mit viel Wohlwollen wird er von Industrieromantik schwärmen.
Wendet er sich allerdings um 180 Grad, blickt er ins Grüne. Auf die Neckarufer, auf die mächtigen Bäume links und rechts des Flusses und auf die Hügel der Bergstraße am Horizont. Die einzigen sichtbaren Bauwerke sind der Fernmeldeturm und die Eisenbahnbrücke etwas flussaufwärts. Noch einmal: Der Betrachter steht mitten in der Stadt.
Zwei andere Beispiele: Vom hektischen Treiben am Hauptbahnhof ist man in zehn Minuten an der wunderbaren Rheinpromenade – zu Fuß. Und der Waldpark liegt so nah an der Innenstadt, dass sich immer mal wieder Wildschweine grunzend in den Quadraten verirren. Genau das ist Mannheim: vielfältig, abwechslungs- und kontrastreich, kernig-rustikal und gleichsam sanft-natürlich. Wie in jeder anderen Stadt finden sich hässliche Ecken. Wie in jeder anderen Stadt leben hier unsympathische Menschen, unter denen wiederum auch ausgeprägte Vollpfosten sind. Wie anderswo passieren Pannen, kommen Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen vor, dauern Baustellen länger als geplant oder werden Mülltonnen zu spät geleert. Über all das darf man zurecht schimpfen.
Arbeiterstadt kämpft gegen Image
Aber, Hand aufs Herz, ist es nicht so, dass auch Mannheim mit ganz wunderbaren Stellen punkten kann? Dass die Mannheimerinnen und Mannheimer zwar mitunter „ä freschi Gosch hawwe“ und etwas hemdsärmelig daherkommen – aber alles in allem sehr liebenswürdig und vor allem tolerant sind? Dass die Entwicklung der Stadt trotz der riesigen Herausforderungen wie Strukturwandel, Zuwanderung, Gentrifizierung, die Umwandlung ehemaliger Flächen der US-Armee, Verkehrsbelastung oder Klimawandel eigentlich doch sehr geordnet abläuft? Dass Mannheim alles in allem eine sehr lebenswerte Stadt mit guten Arbeitsplätzen, prima Einkaufsmöglichkeiten, hohem Freizeitwert und großem Kulturangebot ist?
Städte wie Heidelberg oder Freiburg müssen nicht viel tun, damit ihr angestammtes Klassenbesten-Image so bleibt. Andere Städte – dazu zählt Mannheim – betreiben einen großen Aufwand, um ihren uralten Ruf aus der Vergangenheit (laute, dreckige Arbeiterstadt), der mit der Realität nicht mehr so viel gemein hat, abzuschütteln. Auch außerhalb der Stadtgrenzen soll wahrgenommen werden, dass sich Mannheim über viele Jahre hinweg gehäutet hat und nun bunter, hübscher, anziehender geworden ist. Trotz dieser netten Adjektive – es geht vor allem um die inneren Werte. Mannheim wird als nachhaltige Stadt der Zukunft positioniert, die sich ihrer Traditionen und Werte bewusst ist und sie weiter pflegt. In der ehrgeizige Klimaziele definiert werden und in der es ein fruchtbares Umfeld für Start-up-Gründer gibt.
Wer pittoreske Altstadtgassen sucht, wird sich immer noch nicht nach Mannheim verirren. Aber immer mehr Leute haben Lust, den spannenden Wandel dieser unterschätzten Stadt zu erleben. Es fühlt sich gut an, zu merken, dass man über Mannheim seit längerem nicht mehr despektierlich spricht und schreibt (zum Beispiel in Reiseführern), sondern mit einiger Wertschätzung.
Was für uns Mannheimer Bürgerinnen und Bürger eigentlich ja nur eins heißen kann: aufrechter Gang, Kopf nach oben, lächeln. Und wenn die Frage kommt – nicht verschämt nuscheln, nicht leiser werden, sondern selbstbewusst antworten: „Mannheim!“
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