Braucht Mannheim ein Konzept für Autos? Die Frage dürfte Stirnrunzeln auslösen: Ist doch der Autoverkehr mit einem Anteil von etwa einem Fünftel nach wie vor einer der drei großen Kohlendioxid-Quellen und muss schon deshalb zur Erreichung der Klimaschutzziele reduziert werden. Von anderen Schadstoffen wie Stickoxid, vom Lärm und vom Flächenverbrauch des Kfz-Verkehrs gar nicht zu reden.
Braucht man also wirklich ein Konzept für Autos in der Stadt? Und wenn, muss das dann nicht heißen: „Autos ’raus“, mehr Grün, mehr Rad- und Fußverkehr, mehr Busse und Bahnen? Und ganz abgesehen davon: Die Stadt will - sobald der vollgesperrte Fahrlachtunnel wieder geöffnet werden kann - den Durchfahrtsverkehr in den Quadraten unterbrechen und erarbeitet einen Masterplan Mobilität 2035, die Metropolregion hat kürzlich einen Mobilitätspakt abgeschlossen. Autos kommen darin durchaus vor, aber ihre Bedeutung nimmt ab.
Weg von der autogerechten Stadt
Vom motorisierten Individualverkehr - soviel galt seit eh und je als gefühlte Sicherheit - hängt für die Mannheimer Innenstadt, das Herz der Einkaufsmetropole, viel ab. Die Erreichbarkeit der Stadt stehe auf dem Spiel, so die Mahner aus der Kaufmannschaft mit Blick auf die vermeintlich hohe Kaufkraft der motorisierten Kundschaft aus dem Umland. Die Zufahrten zur City dürften deswegen nicht gesperrt werden. Parkhäuser und Tiefgaragen müssten jederzeit gut anfahrbar sein und es auch bleiben.
Die Ludwigshafener Hochstraßen-Krise hat in den letzten Jahren gezeigt, dass es auch ein - mitunter beschwerliches - Autofahrerleben ohne breit ausgebaute Magistralen bis mitten in die City hinein gibt. Wir erinnern uns, wie vergleichsweise schnell die Aufregung über den Megastau einer gewissen Gewöhnung wich, nachdem die Ludwigshafener Hochstraße Süd am 22. August 2019 von jetzt auf nachher gesperrt werden musste. Rund 60 000 Autofahrer täglich waren gezwungen, sich - zum großen Teil auch auf der Mannheimer Rheinseite - neue Wege zu suchen. Zeitweise war der Rückstau in die Quadrate hinein so groß, dass die Ausfahrt aus der Mannheimer Marktplatz-Tiefgarage quasi unmöglich wurde.
Gut: die Corona-Krise sorgte dann für Entspannung - das haben die Bewohner der westlichen Innenstadt erlebt, die sich in den Wintermonaten 2019/20 wegen des Schleichverkehrs in ihren zuvor ruhigen Wohnstraßen in einer Bürgerinitiative organisiert hatten. Mit dem Lockdown, vielen Beschäftigten im Homeoffice und dem Stillstand des öffentlichen Lebens ging die Verkehrsbelastung Ende März, Anfang April 2020 schlagartig zurück.
Das lässt sich auch an den Stickoxid-Daten in der Innenstadt deutlich ablesen. Schon vor der Corona Krise im März 2020 wurde an der Messstation am Friedrichsring der kritische Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxide pro Kubikmeter Luft erreicht, die Belastungswerte gehen seither weiter nach unten: Stand September 2021 liegt die NOx-Belastung bei 32 Mikrogramm - und somit weit entfernt von möglichen Fahrverboten. Rückläufig ist auf lange Sicht auch die absolute Anzahl an Autos, die in die Innenstadt hineinfahren - an der Zählstelle Kurpfalzbrücke (rund 30 000 Fahrzeuge in 24 Stunden) sank die Anzahl zuletzt um Größenordnungen bis sechs Prozent im Jahr. Reicht das schon für ein „Auto-Konzept?“
Wohl kaum: Wer alleine mit dem Auto in die Stadt fährt - bei 50 Stundenkilometern - benötigt dafür laut Mobilitätsatlas des Verkehrsclub Deutschland (VCD) und der Heinrich-Böll-Stiftung rund 140 Quadratmeter Verkehrsfläche während der Fahrt und 20 Quadratmeter, wenn der Wagen zum Parken abgestellt wird. Zum Vergleich: Wer den gleichen Weg mit der Stadtbahn (50 Fahrgäste) zurücklegt, beansprucht dabei sieben Quadratmeter pro Person, wer mit dem Rad fährt fünf Quadratmeter und wer zu Fuß geht zwei Quadratmeter.
Weg von der im Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen autogerechten Stadt und hin zu einer lebenswerten Stadt heißt deswegen das politische Ziel, das - inzwischen von einer breiten Koalition von Grün über Rot bis Schwarz - im Gemeinderat verfolgt wird. Bislang allerdings nur mit dem skizzierten, eher mäßigen Erfolg, wie Kritiker monieren. So legen Zahlen einer von der Technischen Universität (TU) Dresden bundesweit ausgeführten Haushaltsbefragung mit dem sperrigen Titel „System repräsentativer Verkehrsbefragungen“ (SrV) nahe, dass der Autoverkehr in Mannheim insgesamt seit 2013 eher wieder leicht zugenommen hat.
In der Studie ebenfalls registrierte leichte Zunahmen bei der Nutzung des Fahrrads als Verkehrsmittel gehen daher zu Lasten des öffentlichen Nahverkehrs bzw. sind verursacht durch Menschen, die zuvor per pedes unterwegs waren. Die Zahlen sind nicht unumstritten, legen sie doch nahe, dass die nicht unerheblichen Anstrengungen der Stadt zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und des Radwegenetzes bislang noch nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben.
Symbolträchtige Schranke
Kann die symbolträchtige und durchaus umstrittene Schranke, die von Ostern bis zum Hochsommer am Wochenende den Durchgangsverkehr aus der Fressgasse verdrängen soll, nun diesen Erfolg bringen? Der Mannheimer Gemeinderat ist mehrheitlich davon überzeugt, die Sperrung der Durchfahrtsstrecken in der Innenstadt ist beschlossene Sache und sollte - zunächst als Versuch für ein Jahr an sieben Tagen in der Woche je 24 Stunden lang ausprobiert werden.
Unterbrochen werden dann die Fressgasse an der Schranke P 1/Q 1 sowie in der Gegenrichtung die Kunststraße Höhe Breite Straße sowie die Marktstraße Höhe E 1/E 2. Reicht das als „Auto-Konzept“? Die Antwort auf diese Frage kann „ja“ lauten - wenn nicht die gleichen Fehler wie Mitte der 1990er Jahre gemacht werden, als man schon einmal Durchfahrten in der Innenstadt sperrte. Und es grandios versäumte, darüber auch so zu informieren, dass es in der Stadt und in der Region wahrgenommen wird.
Mit intelligenten Parkleitsystemen, einer durchdachten Führung für parkende und fahrende Autos könnten vor allem die Anwohner, aber auch Beschäftigte und Kunden des Einzelhandels gut und gerne weiterhin mit dem Auto kommen, sofern sie nicht sowie so lieber aufs Rad umsteigen oder die öffentlichen Verkehrsmittel mit bereits geplanten neuen Linien und bestellten neuen Zügen benutzen. Das kann dazu beitragen, dass in nicht allzuferner Zukunft auch Parkhäuser in der Innenstadt geschlossen und zurückgebaut werden können.
Dass auch ganze Straßen künftig für das Auto wegfallen könnten, scheint dann nur noch im ersten Augenblick überraschend zu sein. Man muss nicht auf amerikanische Großstädte schauen, wenn es um stillgelegte oder ganz verschwundene Stadtautobahnen geht. Nach der Ludwigshafener Hochstraße ist in Mannheim die ohnehin seit vielen Jahren marode Auffahrt zur Konrad-Adenauer-Brücke aus der Bismarckstraße eine der heißesten Kandidatinnen für ein möglicherweise sogar begrüntes Ende ihrer automobilen Nutzung. Ein symbolträchtiger Park auf Stelzen wäre an der zentralen City-Stelle, mitten auf Campus der Universität, etwas Neues, das als Konzept für den Umgang mit dem Auto in der Stadt symbolisch in die richtige Richtung weist.
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