Ist es das, was Mannheim wirklich braucht? Ein Fällverbot für Bäume? Wer auf den Rheindamm, in die ehemalige Offizierssiedlung, nach T 5/T 6, in die Feudenheimer Au, in den Kollekturwald und generell in die Stadtwälder blickt, könnte diese Frage eigentlich nur mit Ja beantworten. Aber ist das wirklich so?
„Nein, auf keinen Fall“, sagt beispielsweise Volker Ziesling, einer der profiliertesten Baum- und Forstexperten in der Region. Er setzt sich für den klimagerechten Umbau der Stadtwälder ebenso ein wie für die „Schwammstadt“ – also dafür, dass wir Städte so umgestalten, dass sie wie ein Schwamm Wasser speichern und dann wieder abgeben können, wenn es zu längeren Trockenperioden kommt. Dazu sind vor allem Bäume notwendig, begrünte Fassaden und natürlich die Entsiegelung von Beton- und Asphaltflächen.
„In Zeiten des Klimawandels sollte es für die Stadtverwaltung selbstverständlich sein, so viel Grün wie möglich zu erhalten“, schreibt Baumschützerin Heike Reiser aus Feudenheim auf ihrer Facebookseite. Sie hatte kürzlich mit Gleichgesinnten protestiert, als in der Feudenheimer Au Robinien gefällt wurden. Sie war auch vor Ort, als gegen die Zerstörung einer der ältesten begrünten Fassaden in der Innenstadt protestiert wurde – ausgerechnet die Fassade des stadteigenen Parkhauses in N 2. Es soll dem Neubau der Bücherei weichen. Dass die Stadt selbst mit genau dieser begrünten Parkhausfassade auf ihrer Internetseite für die Bepflanzung von Häuserfronten zur Reduzierung der Temperaturen in der Innenstadt wirbt, gehört zur Ironie des Streits um die Bäume und ums Grün, der in Mannheim mit wachsender Heftigkeit ausgetragen wird.
Wichtig für Klima und Lebensraum
Dabei ist klar, so Ziesling, dass ein gesunder, ausgewachsener, mittelalter Baum so viel fürs Klima, für die Umwandlung von Kohlendioxid in Sauerstoff, für die Verdunstung von Wasser und für den Lebensraum von Kleintieren, Vögeln und Insekten leistet, wie etwa 60 junge Pflanzen. Könnte man so viele junge Bäume für jeden gefällten alten Baum tatsächlich neu setzen? Dazu einige Zahlen: Von ihren etwa 85 000 Bäumen an Straßen und in Grünflächen hat die Stadt Mannheim seit 2017 nach eigenen Angaben 2100 gefällt. Die Gründe dafür sind vielfältig – in der Regel spielen Krankheitsbefall und Verkehrssicherheit eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, ob ein Baum entfernt werden muss.
Neu gepflanzt wurden im selben Zeitraum bislang 1184 junge Bäume, die Pflanzung weiterer 300 ist in diesem Jahr geplant. Macht ein Minus von 616 oder pro Jahr 123,5 Bäumen (etwas mehr als 0,1 Prozent). Doch beim Umgang mit den Zahlen tut sich die Stadtverwaltung schwer. So beeilte sich Rathaus-Sprecher Kevin Ittemann vom Umweltdezernat nach der Veröffentlichung dieser Baumstatistik nachzuschieben, dass im Stadtgebiet viel mehr Bäume gepflanzt würden – etwa von den städtischen Töchtern MWSP und Buga-Gesellschaft. Für 2018 bis 2021 zählte Ittemann zu den genannten 1184 Bäumen noch mal insgesamt 1532 im Taylor-Park, im neuen Stadtviertel Franklin, auf dem Turley-Gelände und im Gartenschau-Park auf Spinelli dazu. Mannheim sei aber, wie viele Städte im Südwesten, „relativ baumlos“, urteilt dagegen Volker Ziesling. Wobei die Frage, ob die 85 000 Stadtbäume nun viel oder wenig sind, nicht so einfach zu beantworten ist.
Vergleich mit Johannesburg
Zum Vergleich: Rechnet man in Mannheim noch rund 10 000 Bäume auf den Friedhöfen zum Bestand, teilen sich drei Mannheimer einen Baum. In Frankfurt am Main mit gut doppelt so vielen Bäumen (ohne Friedhöfe) und doppelt so vielen Einwohnern sind es rund 3,6 Einwohner pro Baum. In Ludwigshafen beträgt das Verhältnis 1,8 Einwohner pro Baum. Die Stadtwälder sind bei diesem Vergleich nicht berücksichtigt. Sind das nun viele oder wenige Bäume?
Die südafrikanische Metropole Johannesburg rühmt sich beispielsweise, mit über zehn Millionen Bäumen – ein großer Teil davon violett blühende Jaccarandas – in ihren Parks und an ihren Straßenrändern den größten, von Menschenhand gepflanzten urbanen Wald zu beherbergen. Für Mannheim wurde die Anzahl der Bäume in den Stadtwäldern auf etwa eine Million geschätzt. Absterbende Kiefern- und zugleich ausufernde Traubenkirschenbestände lassen einen mit der Forderung nach einem Baumfällverbot ratlos zurück – denn die schnellwachsenden, nicht heimischen Traubenkirschen oder auch der Götterbaum müssen gefällt werden. In diesem Punkt sind sich die Experten einig. Auch die toten Kiefern werden in großem Umfang aus dem Wald geholt, nicht zuletzt, um dem Borkenkäfer nicht immer weiter Nahrung zu geben.
Hilft ein Pflanzgebot?
Die städtische Baumschutzsatzung sei gar nicht schlecht, urteilt Volker Ziesling. Seit der Neufassung vor zwei Jahren entscheidet zum einen die Umweltbehörde in jedem Fall darüber mit, ob für Bauvorhaben beispielsweise Bäume gefällt werden dürfen. Und: Wer Bäume fällt, muss unbedingt Ersatz schaffen. Ob damit dem Baumschwund in der City wirksam begegnet werden kann? Dass immer wieder Bäume gefällt werden müssen, sei schon aus Sicherheitsgründen unvermeidlich. Aber, so Volker Ziesling: „Man darf nicht mehr leichtfertig wie bisher darangehen.“ Statt Fällverbots, so sein Fazit, könnte aber ein Pflanzgebot die erhofften Verbesserungen bringen.
In den Stadtwäldern hofft man, mit klimaresistenten Baumarten einen Zukunftsforst zu schaffen. Eichen und andere Laubarten sieht Forstamtsleiter Stefan Wilhelm als dominierende Baumart. Und Waldschützer Volker Ziesling ergänzt: „Stileiche, Hainbuche, Vogelkirsche sollten gepflanzt werden“. Auf nichtheimische Arten sollte seiner Meinung nach unbedingt verzichtet werden: „Das sind Exoten, die für die heimische Insektenwelt völlig wertlos sind.“
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