Mannheim. Es war ein Aha-Moment, irgendwann im Herbst 2006. In einer Pause zwischen zwei Seminaren an der Uni führte der Weg in die Breite Straße, die gerade in den letzten Zügen des Umbaus war. Plötzlich standen dort neu gesetzte Bäume, herbstbunt zwar, aber für eine Neupflanzung von stattlicher Größe. Richtig schön anzusehen waren die Linden dann im folgenden Frühjahr, als sie an ihrem neuen Platz das erste Mal austrieben und einen kräftig grünen Farbtupfer setzten. Überhaupt machte die ganze Straße einen guten Eindruck, nachdem sie mit großem Aufwand und mehr als sieben Millionen Euro Kosten neu gestaltet worden war.
Fast 15 Jahre später ist von diesem Glanz nichts mehr übrig. Das Projekt „Kurpfalzachse“, initiiert zum Stadtjubiläum 400 Jahre Mannheim im Jahr 2007, sah eine Umgestaltung zwischen Altem Meßplatz und Schloss vor, die aber dann bis auf Weiteres am Paradeplatz endete. Bis heute ist die Achse nicht vollendet worden, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass es überhaupt jemals geschehen wird. Deshalb versprühen die Seitenstraßen der Breiten Straße weiterhin den Charme der 1970er Jahre.
Inakzeptabler Zustand
Wenn man böswillig ist, hält man dem entgegen: „Dann sieht man wenigstens den Dreck nicht.“ Die Verschmutzungen, sie sind ein Ärgernis, das mit dem Verlegen des ersten neuen Pflastersteins begonnen hat. Der Granitstein aus China erwies sich schnell als sehr anfällig für Flecken, was über all die Jahre zu einem großen Problem ausgewachsen ist. Inzwischen ist ein Zustand erreicht, der eigentlich nicht mehr akzeptabel ist.
Je älter der Tag, desto schlimmer ist das Bild, das die Straße abgibt. Augen zu und durch, lautet besonders in den Abendstunden die Devise. Wer seine Kleidung nicht in der nächsten Reinigung abgeben will, setzt sich besser nicht auf die versifften Bänke unter den Linden. Abgesehen vom allgemein unansehnlichen Zustand gibt es kaum eine Sitzfläche, auf der nicht ein Ketchup- oder Mayonnaise-Schälchen zurückgelassen wurde, ganz zu schweigen von zertretenen Pommes oder Dönersauce. Undefinierbare Flecken von Speiseresten ziehen sich über das gesamte Pflaster, der Zustand ist widerlich.
Dementsprechend fühlt sich in diesem Umfeld ein etwas sonderbares Publikum wohl, wie Gruppen von Männern, die starrend herumstehen, manchmal auch pöbeln. Frauen berichten immer häufiger, dass ihnen das nicht geheuer ist und sie deswegen die Breite Straße meiden. Wer Besuch bekommt und ihn durch Mannheim führt, macht besser einen Bogen um die Breite Straße, sie ist zum Schämen.
Der Einzelhandel in der Lage hat es seit Jahren schwer. Doch so schlimm wie in den vergangen zehn Jahren war es zuvor nicht. Es gibt kaum noch attraktive Geschäfte, viele andere haben längst aufgegeben. Wenn sogar Läden wie McDonald’s den Rückzug antreten, spricht das Bände. Solide ist nur noch der Abschnitt zwischen Paradeplatz und Marktplatz, von da an bis zum Kurpfalzkreisel regieren dagegen meist Ramschläden mit liebloser Aufmachung und Döner-Buden.
Viele Flops im Handel
Alle größeren Ansiedlungen in den vergangenen Jahren, die als Hoffnungsträger und Zugpferd gefeiert wurden, entpuppten sich schnell als Flop. Nach der Prinz-Schließung sowie jahrelangem Leerstand mit grenzwertigem Erscheinungsbild und Hygienezuständen versuchte es in T 1 Decathlon, das genauso kläglich scheiterte wie in K 1 Mömax, das in die ehemalige Karstadt-Immobilie gezogen war. Die Geschichte scheint sich derzeit auf der anderen Seite von T 1 fortzuschreiben, wo der ehemalige Woolworth-Flachbau eigentlich schon längst einem geplanten Hotelneubau hätte gewichen sein sollen.
Es mag vielleicht anders sein, aber auf Außenstehende macht die Straße den Eindruck, als habe die Stadt sie schon aufgegeben. Soll deshalb jetzt wirklich alles so bleiben? Natürlich sind die Vorgeschichte und der Ist-Zustand kein Bewerbungsschreiben für eine glorreiche Zukunft. Aber irgendwo muss man endlich mal ansetzen, um etwas zum Positiven zu verändern. Im ersten Schritt kann das nur über die Sauberkeit gehen. Das ist sicher unbequem, aber einfach wegsehen ist auch keine Lösung. Als Zweites muss das Sicherheitsempfinden gestärkt werden, mit viel Präsenz des Kommunalen Ordnungsdienstes.
Beides ist die Voraussetzung dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht weiter einen großen Bogen um die Breite Straße machen und sagen: „Was soll ich dort?“ Nur so kann es gelingen, mögliche Interessenten von der Lage zu überzeugen. Ladenansiedlungen kann die Stadt nicht steuern, sie kann sie aber beeinflussen, indem sie die Attraktivität steigert. Das erreicht sie auch, indem sie dort keine weitere Umwandlung von Handels- in Gastronomieflächen genehmigt.
Es fällt schwer, daran zu glauben, dass sich die Breite Straße zum Positiven entwickelt. Doch die Hoffnung auf einen neuen Aha-Moment lebt.
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