Mannheim. Sebastian, Ihre Spieler bekommen in ihren fünfwöchigen Urlaub einen Trainingsplan mit. Welchen Auftrag gibt sich denn der Trainer für die Sommerpause?
Sebastian Hinze: Entspannen. Das sollen die Jungs aber auch. Es war ein sehr intensives Jahr.
Wie sehr beschäftigen Sie sich schon mit der neuen Saison?
Hinze: Es gibt eine Menge Ideen. Viel wird sich abschließend aber erst in der Saisonvorbereitung klären.
Um welche Fragen kreisen ihre Gedanken?
Hinze: Wie wollen wir welchen Spieler in der Abwehr einbringen? Wie können wir die Belastung innerhalb einer Begegnung besser verteilen? Wie schaffen wir es, über 34 Spieltage konstanter unsere Leistung abzurufen? In welchen Aufstellungen funktionieren wir gut zusammen? Und was fehlt uns grundsätzlich in der Ausstrahlung, in der Präsenz?
Sie suchen aber ganz schön viele Antworten.
Hinze: Zahlreiche Dinge haben wir schon angepackt. Es gibt eine Basis. Aber wir können bei einigen Faktoren besser werden. Wir haben beispielsweise auswärts unfassbar gute Leistungen gezeigt, aber zu Hause zu viele Punkte abgegeben. Das ist ein Thema. Oder wie kann es sein, dass wir vier Spiele in Folge gegen den SC DHfK Leipzig, den HSV Hamburg, den TBV Lemgo Lippe und den VfL Gummersbach verlieren? Da will ich gar nicht die Leistung des jeweiligen Gegners schmälern. Aber unser Anspruch muss es sein, dass uns das einfach nicht passiert.
Sie haben vor der Saison Ihre Mannschaft irgendwo zwischen Rang fünf und zehn eingeordnet. Zwischendurch führten die Löwen die Tabelle an, am Ende wurde es Platz fünf. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Hinze: Wir haben in der Hinrunde sicherlich ein wenig über unseren Verhältnissen gespielt und danach gesehen, dass noch sehr viel Arbeit vor uns liegt, um wirklich ein Spitzenteam zu werden. Als ich hier angetreten bin, habe ich gesagt, dass wir dieses Ziel in drei bis fünf Jahren erreichen wollen. Jetzt haben wir gesehen, dass das eine realistische Einschätzung war. Aber wir befinden uns auf einem sehr guten Weg. Unsere Spielidee war erfolgreich und mit dem Pokalsieg haben wir die Saison hervorragend abgerundet. Deshalb sage ich: Platz fünf und Pokalsieg: Wir sind sehr nah am Maximum in dieser Runde.
Weil die in der Tabelle vor den Löwen stehenden Mannschaften besser sind?
Hinze: Ja. Der THW Kiel, der SC Magdeburg, die Füchse Berlin und auch die SG Flensburg-Handewitt sind noch ein Stück weit vor uns, aber gefühlt sind wir näher dran. Das bestätigen mir auch Spieler, die schon länger als ich in diesem Verein sind.
Was fehlt gegenüber dem genannten Quartett?
Hinze: Um ein echtes Spitzenteam zu sein, das für die Champions League infrage kommt, brauchen wir mehr Qualität und vor allem Konstanz. Deswegen ist die Meisterschaft auch der schwierigste Titel. Man muss 34 Spieltage lang abliefern. Und da hatten wir eine Phase, in der uns das nicht gelungen ist.
Der Pokalsieg war der erste Titelgewinn in Ihrer Karriere. Welchen Wert hat dieser Erfolg für Sie persönlich?
Hinze: Es hat sich cool angefühlt, diesen Titel gewonnen zu haben, und dieser Erfolg bedeutet mir auch etwas. Aber Titel sind mir nicht das Wichtigste. Es war schön, einen zu holen, und ich fände es super, wenn noch ein paar dazukommen. Aber ich definiere erfolgreiche Trainerarbeit nicht über Titel. Das habe ich weder vor dem Pokalsieg gemacht und das mache ich auch jetzt nicht. Ich habe allerdings die Bedeutung dieses Titels für den Verein unterschätzt.
Inwiefern?
Hinze: Mir war zunächst wirklich nicht klar, wie groß dieser Erfolg für die Löwen ist. Recht schnell habe ich aber gespürt, wie gut dieser Titelgewinn dem ganzen Club tut. Und als ich das realisiert habe, hat das auch etwas mit mir gemacht.
Hat dieser Erfolg eine große Wirkung auf dem Transfermarkt? Die Löwen haben schließlich bewiesen, dass man in Mannheim wieder Titel gewinnen kann.
Hinze: Der Name Rhein-Neckar Löwen zieht. Das habe ich schon im Herbst gemerkt, als ich mit unseren Neuzugängen gesprochen habe. Und da waren wir noch kein Pokalsieger. Aber es ist sicherlich hilfreich, dass die Jungs nicht nur erzählt bekommen, dass wir Titel gewinnen wollen, sondern dass sie es auch sehen.
Was sagt es über die Löwen aus, dass Leistungsträger wie Mikael Appelgren, Patrick Groetzki, Juri Knorr und Jannik Kohlbacher dem Verein erhalten bleiben und nicht wechseln?
Hinze: Das spricht für uns und zeigt, dass wir hier ein sehr, sehr gutes Umfeld bieten. Und zwar für Spieler, die zur absoluten Bundesligaspitze, vielleicht sogar zur internationalen Spitze gehören. Wir wollen unseren eigenen Weg finden, wieder nach ganz oben zu kommen. Dazu gehört Identifikation. Und die haben wir hier. Die Jungs fühlen sich wohl. Trotzdem gibt es auch in diesem Bereich noch etwas zu tun. Es muss ein Teil unserer DNA werden, dass man die Löwen ungern verlässt.
Dem Verein erhalten bleibt Torwarttalent David Späth. Auch in die nächste Saison starten die Löwen also mit drei Schlussmännern. Wie sieht der genaue Plan mit Mikael Appelgren, Joel Birlehm und Späth aus?
Hinze: Wir werden in der Saisonvorbereitung mit allen drei Jungs sprechen. Unser klares Ziel ist es, David zu einem Torwart der Rhein-Neckar Löwen aufzubauen. Wir sehen seine Entwicklung. Und die ist gut. Deswegen müssen wir ehrlich sagen: Wir haben drei starke Torhüter und es gibt einen offenen Konkurrenzkampf. Aber selbst im offenen Konkurrenzkampf haben wir genug Spiele, damit alle zum Einsatz kommen. Allerdings werden nicht alle immer zufrieden sein.
Zur Person: Sebastian Hinze
- Sebastian Hinze wurde am 26. April 1979 in Wuppertal geboren. Er ist mit Patrycja verheiratet und lebt in Schwetzingen.
- In seiner aktiven Laufbahn spielte Hinze auf der Kreisläufer-Position.
- Vereine als Spieler: TG Cronenberg, LTV Wuppertal, SG Solingen (bis 2006), Bergischer HC (2006-2011).
- Vereine als Trainer: Bergischer HC (2012-2022), Rhein-Neckar Löwen (seit Juli 2022).
- Erfolge als Trainer: Bundesliga-Aufstieg mit dem Bergischen HC (2013 und 2018), deutscher Pokalsieger mit den Rhein-Neckar Löwen (2023).
In der Nationalmannschaft hängt viel an Juri Knorr, bei den Löwen auch. Oft vergisst man, dass er erst 23 Jahre alt ist. Muss man vorsichtig sein, ihn nicht mit Erwartungen zu überfrachten?
Hinze: Ich werde ihm immer beratend zur Seite stehen, kann aber nur für uns und die Löwen sprechen. Wenn Juri seine Leistung bringt und zu 100 Prozent im System ist, dann wissen wir um seine Bedeutung. Wir glauben an seine Entwicklung und er darf auch weiterhin Fehler machen. Ich versuche, wenig Druck außerhalb des Systems aufzubauen.
Wie machen Sie das?
Hinze: Ich spreche mit ihm immer über das Team, über seine Aufgaben für das Team. Ich bewerte, wie er das Spiel steuert, ob er seine Aufgaben erfüllt und diszipliniert agiert. Die individuelle Leistung ist nichts, was ich bei irgendeinem Spieler voraussetze. Bei Juri und seinen Qualitäten kommt diese aber sehr oft noch dazu. In der nächsten Saison werden wir versuchen, ihn durch Olle Forsell Schefvert, Gustav Davidsson und Arnór Óskarsson zu entlasten. Das wird Juri guttun.
Sie haben ein paar Zugänge angesprochen. Was darf von Gustav Davidsson erwartet werden? Er wurde gerade zum besten Spieler der Saison in Schweden gewählt.
Hinze: Das zeigt, dass er eine gewisse Qualität hat. Aber diese Auszeichnung war nicht absehbar, als wir mit ihm in die Gespräche gegangen sind. Gustav ist seitdem noch einmal besser geworden. Er hat im Spiel ein sehr gutes Gefühl für die Breite und ist eigentlich auf Rückraum Mitte ausgebildet worden. Diese beiden Argumente waren ausschlaggebend, ihn zu holen.
Wie charakterisieren Sie Steven Plucnar, der aus Dänemark von KIF Kolding kommt?
Hinze: Er ist ein Spieler, der sich alles hart erarbeiten musste. Und das zeigt seine Qualität. Steven ist in seiner jungen Karriere schon schnell zu einem Führungsspieler gereift. Er wird alles dafür tun, eine große Rolle bei den Löwen zu bekommen. Diese Bereitschaft und diese Mentalität imponieren mir.
Mit Ausnahme von Albin Lagergren haben wir alle Leistungsträger behalten. Deshalb ist Platz fünf für uns realistisch.
Arnór Óskarsson von Valur Reykjavik hatte keiner so richtig auf dem Schirm. Wie hat er Sie überzeugt?
Hinz: Arnór hat ein sehr gutes Eins-gegen-eins und eine hohe spielerische Qualität. Wir haben auf der halbrechten Position allerdings auch Jon Lindenchrone und Niclas Kirkeløkke. Außerdem ist Oskar bislang kein Mann für die Abwehr gewesen. Da müssen wir mal schauen, wie er sich entwickelt. Wir können ihn auch auf der Mitte einsetzen. Er kennt die Konstellation und weiß, dass er auf seiner Position erst einmal als Nummer drei startet und es passieren kann, dass seine Spielanteile in den ersten Monaten nicht so groß sein könnten. Trotzdem wollte er unbedingt diesen Wechsel. Und ich bin sehr optimistisch, dass Arnór uns etwas geben kann.
Jon Lindenchrone kommt aus Göppingen. Er kennt die Bundesliga…
Hinze: ...und war früh auf unserem Zettel, weil wir gesehen haben: So wie er verteidigt auf der offensiven Halbposition, wie er das Tempospiel forciert und den Außen in Szene setzt – das passt sehr, sehr gut in unser System.
Philipp Ahouansou kommt nach einer Leihe zum Absteiger GWD Minden zurück. Welche Rolle wird er spielen?
Hinze: Wir planen mit ihm. Der Wechsel nach Minden war wichtig für seine Persönlichkeitsentwicklung, weil Philipp dort eine große Rolle und viel Verantwortung bekommen hat. Jetzt habe ich in meiner Funktion als Trainer ganz klar die Aufgabe, für ihn Lösungen zu finden, damit er auch bei uns eine größere Rolle spielen wird. Dann muss Philipp diese Rolle allerdings auch ausfüllen. Er bringt Qualitäten mit, die wir sonst nicht haben. Zum Beispiel seine Wurfgewalt. Da müssen wir in der Vorbereitung gut arbeiten, um diese Fähigkeiten in unser Spiel einzubringen.
Wird es noch in diesem Sommer einen Wechsel von Niclas Kirkeløkke nach Flensburg und somit einen vorgezogenen Transfer von Ivan Martinovic von der MT Melsungen zu den Löwen geben?
Hinze: Das schließe ich aus.
Was trauen Sie Ihrer Mannschaft in der neuen Saison zu?
Hinze: Wir werden auch in den nächsten zwei Jahren eine Mannschaft sein, die bei einer guten Saison zwischen 15 und 25 Minuspunkten einläuft. Mit Ausnahme von Albin Lagergren haben wir alle Leistungsträger behalten. Deshalb ist Platz fünf für uns realistisch. Aber: Wenn sich die Chance ergibt, weiter oben ranzukommen, dann wollen wir da sein.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Handball Die Rhein-Neckar Löwen sind ihrem eigenen Plan voraus