Handball

So erlebte Rhein-Neckar Löwe Tim Nothdurft seine Achterbahnfahrt

Möglicher Held, tragische Figur, Retter in der Not – alles innerhalb von 56 Sekunden: Tim Nothdurft erlebte mit den Rhein-Neckar Löwen in Hamburg eine turbulente Schlussminute.

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Marc Stevermüer
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Tim Nothdurft (links) machte in Hamburg sein bestes Spiel im Löwen-Trikot. © Photo: Krause / Rohdiamant.net

Hamburg. Die verschlungenen Flure und Treppenhäuser erschweren in der altehrwürdigen Alsterdorfer Sporthalle schon mal die Orientierung. Hin und wieder reichen in dem 1968 errichteten Bauwerk im Norden Hamburgs aber auch die Ohren, um zu wissen, dass man richtig ist und vor der Kabine der Rhein-Neckar Löwen steht. So wie am Sonntagnachmittag, als hinter einer in die Jahre gekommenen Tür erst eine Ansprache und dann lauter Jubel zu hören ist.

In diesem Moment steht fest: Dahinter befinden sich die verbliebenen gesunden Spieler des stark ersatzgeschwächten Mannheimer Handball-Bundesligisten, der kurz zuvor beim HSV Hamburg mit großer Moral in letzter Sekunde ein 30:30 geholt hatte. Und zwar dank Tim Nothdurft, der mit seinem Treffer den Endstand und somit den Punktgewinn besorgte – in einer dramatischen Schlussminute aber zuvor auch die 30:29-Führung ausgelassen hatte.

Als der 27-Jährige aus der Kabine kommt, muss er zunächst einmal seine Gedanken sortieren. „Nach meinem vergebenen Gegenstoß habe ich mir gedacht, dass ich noch etwas gutzumachen habe, dass das Spiel noch nicht vorbei ist und dass ich mich auch noch in einer Minute ärgern kann“, verrät Nothdurft, was in ihm in den turbulenten letzten Sequenzen des Spiels vorging. Es war ein emotionales Auf und Ab. Der Linksaußen tauchte kurzfristig ein in eine Welt der absoluten Extreme, der maximalen Gegensätze.

Freude und Frust wechseln sich bei den Rhein-Neckar-Löwen ab

Erst möglicher Held, dann tragische Figur, plötzlich Retter in der Not. Was manch einer in 56 Spielen erlebt, machte er in 56 Sekunden durch. So verrückt, so spektakulär und so schnelllebig kann Handball sein. Weshalb es nur allzu verständlich ist, dass der Löwen-Linksaußen diese in Lichtgeschwindigkeit absolvierte Achterbahnfahrt mit doppeltem Looping, gefühltem freien Fall und Glücksgefühlen im Ziel so kurz nach dem Schlusspfiff nur sehr schwer in Worte fassen und kaum einordnen kann. Erst recht mit Blick auf die eigene Leistung.

Den letzten Treffer erzielt und sechs seiner sieben Würfe im Tor untergebracht – das klingt gut. Sehr gut sogar. Doch Nothdurft ist ehrlich. Normalerweise müsse er behaupten, dass ihm der Treffer zum Ausgleich im Kopf bleibe, sagt der Linksaußen. Aber dem sei eben nicht so. Der vergebene Gegenstoß beschäftige ihn mehr, räumt er mit einem Lächeln ein.

Damit aber erst gar kein falscher Eindruck entsteht: Unglücklich verlässt der Rechtshänder die Hansestadt am Sonntag auf keinen Fall. Und das muss er auch nicht. Denn seit seinem Wechsel vom Bergischen HC zu den Badenern im Sommer 2024 machte er in Hamburg sein bestes Spiel im Löwen-Dress. Sogar der sehr selbstkritische Nothdurft sieht das so. Und die Kollegen sowieso.

Löwen-Kapitän Patrick Groetzki hatte lobende Worte für den am Ende entscheidenen Mann, Tim Nothdurft, übrig. © Photo: Krause / Rohdiamant.net

Kapitän Patrick Groetzki attestiert dem Linksaußen eine „überragende Leistung“ und findet Nothdurfts Nervenstärke bemerkenswert: „Er ärgert sich am meisten über den vergebenen Gegenstoß. Deshalb finde ich es fast noch wichtiger, dass Tim dann den letzten Wurf reinmacht.“ Zumal Nothdurft jetzt nicht zwingend vor Selbstvertrauen und Sicherheit strotzte. Im Gegenteil: In den ersten Monaten in Mannheim deutete er sein Potenzial nur an.

„Nicht die einfachste Zeit“ und „immer ein bisschen Wurfpech“ habe der gebürtige Reutlinger in der Hinserie gehabt, meint Groetzki. Ende des vergangenen Jahres erhielt deshalb Eigengewächs David Móré den Vorzug und machte seine Sache sehr gut. Im Januar weilte der 20-Jährige allerdings in der Grundausbildung bei der Bundeswehr und nahm entsprechend nicht immer am Löwen-Training teil. Im Gegensatz zu Nothdurft, der noch dazu ein sehr guter Abwehrspieler ist und auf der Halbposition decken kann.

Drin im Spiel dank Abwehrarbeit

Genau diese Qualitäten waren am Sonntagnachmittag in Hamburg mehr denn je gefragt, weil die Löwen ohne Juri Knorr (Pause nach Erkrankung), Sebastian Heymann und Jannik Kohlbacher (beide im Aufbautraining nach Verletzung) auskommen mussten und Steven Plucnar schon früh rotgefährdet war. Nothdurft musste ran – in Abwehr und Angriff. Und er lieferte ab. Wobei ihm die Schufterei in der Deckung half. Denn so bekam er ein Gefühl für das Spiel: „Als Linksaußen kann es sein, dass du deinen ersten Wurf nach 24 Minuten und deinen zweiten nach 49 Minuten hast. Ich habe diesmal sofort Zweikämpfe geführt, bin Gegenstöße gelaufen. Das ist etwas anderes.“ Wenn man so will, war Nothdurft also von Beginn an mittendrin - und nicht nur dabei.

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Das gilt mit Blick auf den Donnerstag (19 Uhr) vermutlich auch für Knorr und Kohlbacher. Trainer Sebastian Hinze ist zumindest optimistisch, das Duo gegen Aufsteiger SG BBM Bietigheim wieder dabei zu haben. Es gebe „berechtigte Hoffnung“, meint der 45-Jährige, der aber keine Prognose zur Rückkehr von Heymann abgeben kann. Die im Dezember erlittene Fußprellung hält sich hartnäckig, sie macht sich beim Rückraum-Rechtshänder immer noch bemerkbar – weshalb es auf der halblinken Position und im Mittelblock sehr auf Halil Jaganjac und Olle Forsell Schefvert ankommen wird.

Letzterer habe in Hamburg „überragend“ gespielt, lobt Hinze den Schweden, der in der Schlussphase viele richtige Entscheidungen traf, die Abwehr zusammenhielt und mit seinen fünf Treffern ungewöhnlich viel Torgefahr ausstrahlte. Jaganjac wiederum trat nach überstandener Verletzungspause erstmals seit mehr als zwei Jahren auch wieder im Positionsangriff in Erscheinung. „Ihm fehlen Rhythmus und Durchschlagskraft. Man sieht, dass nicht alles eingespielt ist. Aber das kann ich verstehen – und daran werden wir arbeiten“, versichert Hinze mit aller Ruhe. Der Nachmittag in Hamburg war schließlich aufregend genug.

Redaktion Handball-Reporter, Rhein-Neckar Löwen und Nationalmannschaft

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